Deka-Finanzmarktstress-Indikator: Wie lange dauert die Krise?
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1. Wie äußert sich Finanzmarktstress? Finanzmarktstress kennt viele Ausprägungen. Unabhängig auf welchen Teilmärkten die Probleme entstehen, kommt es in der Regel zu schnellen Veränderungen von Vermögenspreisen, Risiko wird neu bewertet und die Volatilität nimmt zu. Die Stressauslöser sind sehr unterschiedlich. Dies können wie im September 2001 politisch militärische sein, wie 1998 Probleme im Hedgefondsbereich (LTCM), oder die Ausfälle von vermeintlich harmlosen US-Subprime-Hypothekenkrediten, die über Kreditverbriefungen ihren Weg in die Bilanzen von Finanzinstitutionen von Washington über Düsseldorf bis nach Sydney gefunden haben. Die Verspannungen innerhalb eines Finanzsystems lassen sich bei ausschließlicher Betrachtung eines einzelnen Teilmarktes nicht erfassen. Denn die Märkte stehen in einem engen Austausch untereinander. Der Stress innerhalb eines Finanzsystems dürfte umso größer sein, je mehr Teilmärkte davon betroffen sind. In der aktuellen Krise ist sogar der deutsche Pfandbriefmarkt nahezu paralysiert, dies war in vorherigen Krisen, beispielsweise der Asienkrise 1997/98, nicht der Fall. Die derzeitige internationale Finanzkrise mit ihren Wurzeln auf dem US-Kreditmarkt, die zu einer erheblichen Vertrauenskrise in Finanzinstitutionen führte, hat mittlerweile alle wichtigen Teilmärkte ergriffen. Zu zentralen Elementen eines Finanzsystems gehören der Geldmarkt, der Aktienmarkt und der Markt für Unternehmensanleihen. Der deutsche Pfandbriefmarkt spielt eine gewisse Außenseiterrolle, ist aber ein guter Stressindikator für die bestehende Vertrauenskrise. Denn auf ihm werden die sichersten Anleihen abgesehen von reinen Staatsanleihen oder staatsgarantierten Anleihen gehandelt. Im Folgenden werden Stressindikatoren auf diesen Teilsegmenten des Finanzsystems kurz vorgestellt. Anschließend wird ein durch ein einfaches statistisches Verfahren hergeleiteter Indikator vorgestellt, durch den die Lage auf allen vorgestellten Teilmärkten gebündelt dargestellt werden kann und der somit als ein Maß für die Verspannung auf den europäischen Finanzmärkten dienen kann. Im letzten Teil werden wir uns der Frage widmen, welche Perspektiven wir sehen gegenwärtig, damit der Finanzmarktstress wieder abnimmt.
2. Geldmärkte sind das Nervenzentrum eines Finanzsystems, weil sie den Ausgangspunkt der volkswirtschaftlichen Liquiditätssteuerung darstellen. Entsteht Stress auf den Geldmärkten, dann zittert das gesamte Finanzsystem. Es gibt unterschiedliche Indikatoren, um Verspannungen auf dem Geldmarkt wiederspiegeln. Eine Möglichkeit ist der Blick auf die Zinsdifferenz zwischen besichertem und unbesichertem Dreimonatsgeld. Für Euroland ist dies der Eurepo (3 Monate) und der Euribor (3 Monate). Der Unterschied war bis zur Krise in Basispunkten (Bp) gemessen vernachlässigbar. Er lag selten über 10 Bp. Mit jeder Schockwelle, die die Märkte seit Ausbruch der Finanzkrise erreichte, reagierten die Geldmärkte mit Vertrauensentzug und ließen die Prämie für unbesicherte Liquidität bis auf 180 Bp im Oktober 2008 ansteigen.
3. Um den Stress auf den Märkten für Unternehmensanleihen zu messen, lohnt sich ein Blick auf die Risikoprämien von Unternehmensanleihen (Investment Grade Rating), insbesondere auch von Finanzunternehmen. Dies kann gemessen werden anhand des iTraxx Europe Main. Er gibt den durchschnittlichen Risikoaufschlag der 125 größten Industrieunternehmen und Banken in Europa an. In den Jahren vor der Krise lagen die Aufschläge im Unternehmenssektor unter 20 Bp. Im Verlauf der Krise hat sich diese Prämie verachtfacht.
4. Der VDAX wird als Stressindikator oder auch "Angstbarometer" des deutschen Aktienmarktes bezeichnet. Zur Berechnung werden die Optionspreise auf DAX-Titel an der Terminbörse EUREX verwendet. Damit drückt er die vom Terminmarkt erwartete Schwankungsbreite des DAX aus. Über fallende oder steigende Kurse, gibt der VDAX keine Information. Bei einem niedrigen Wert werden keine starken Kursschwankungen erwartet und ein hoher Wert weist lediglich auf einen nervösen Markt hin. Der VDAX deutete mit Beginn der Finanzkrise im Juli 2007 auf eine erhöhte Nervosität an den Aktienmärkten hin. Aber erst in der zweiten Jahreshälfte 2008, als die Auswirkungen der Finanzmarktkrise zu einem unerwartet schnellen und starken Absturz der realwirtschaftlichen Indikatoren führten, erreichte der VDAX neue historische Höchststände.
5. In der gegenwärtigen Krise, die durch verbriefte Hypothekenkredite ausgelöst wurde, zeigen auch die Märkte mit den sichersten Rentenpapieren nach Bundesanleihen im europäischen Finanzsystem, den Pfandbriefen, Verspannungen. Seit über 100 Jahren ist kein deutscher Pfandbrief ausgefallen. Entsprechend gering waren die zu zahlenden Renditeaufschläge im Vergleich zu deutschen Bundesanleihen. Sie lagen in den vier Jahren vor der Krise selten über 10 Bp. Mit dem Vertrauensverlust auch in die Finanzinstitute, die Pfandbriefe emittieren, und mit veränderten Liquiditätsüberlegungen der Marktteilnehmer hat sich der Zinsunterschied deutlich verändert. Gemessen am Index des deutschen Pfandbriefmarktes (PEX), einem gewichteten Durchschnitt über die Laufzeiten von 1 bis 10 Jahren, und dem REX, einem vergleichbaren Index für den Markt deutscher Staatsanleihen, hat sich dieser Unterschied fast verzehnfacht. Ein geordneter Handel in Pfandbriefen findet derzeit nicht statt.
6. Um die Situation auf den verschiedenen Teilmärkten auf einen Blick erfassen zu können, haben wir die Indikatoren der vier Teilmärkte zu einem Gesamtindikator, den Deka-Finanzmarktstress-Indikator (DFI) aggregiert. Im vorliegenden Fall wurde das statistische Verfahren der Hauptkomponentenanalyse verwendet, um aus den vier Zeitreihen eine neue zu konzipieren, welche möglichst akkurat die Verläufe aller einfließenden Indikatoren wiedergibt. Um die einzelnen Reihen besser miteinander vergleichen zu können, werden sie zunächst derart standardisiert, dass alle für den Zeitraum Juli 2004 bis November 2008 (nur für diesen Zeitraum liegen alle vier Zeitreihen vor) um denselben Mittelwert (0) mit identischer Standardabweichung (1) streuen. Im zweiten Schritt werden diese standardisierten Reihen zu einem gewichteten linearen Mittel addiert, wobei die Gewichtung – vereinfacht gesprochen – unter Berücksichtigung der zugrunde liegenden Korrelationsstruktur erfolgt. Dabei sind die durch die Hauptkomponentenanalyse ermittelten Gewichte für alle einfließenden Variablen nahezu gleich groß. Damit auch vorangegangene Krisen Berücksichtigung finden können, wurde die Reihe der gewichteten Mittelwerte bis 1993 zurückgerechnet, wobei bis Anfang 2002 nur zwei Zeitreihen (VDAX und PEX-REX-Spread) und bis Mitte 2004 drei Zeitreihen (zusätzlich Euribor-Eurepo-Spread) verfügbar sind. Im letzten Schritt wurde die so entstandene Reihe standardisiert, sodass der Wert 0 beim resultierenden DFI dem ‚durchschnittlichen Stressniveau’ seit 1993 entspricht. Eine Einheit stimmt gerade mit der Entfernung von diesem ‚Normalzustand’ um eine Standardabweichung überein.
Durch diese Art der Konstruktion ist es möglich, diverse Finanzmarktkrisen bzgl. ihrer Dauer und der Eskalationshöhe quantitativ miteinander zu vergleichen. So zeigt der DFI z.B. für den ersten Höhepunkt der Asienkrise im Oktober 1997 mit einem Wert von etwa 1,4 noch ein moderates Eskalationsniveau an. Dagegen wird ein Jahr später, als die Russlandkrise und die Probleme um den LTCM-Hedgefonds ihre Höhepunkte erreichten, die bis zur aktuellen Krise stärkste Verspannung an den europäischen Finanzmärkten signalisiert. Der Indikator nimmt hier einen Wert von 3,4 an. Nicht einmal nach den Anschlägen vom 11. September 2001 werden ähnliche Niveaus erreicht (DFI=2,3).
7. Wie reagiert der DFI in der aktuellen Krise? Drei große Schockwellen lassen sich bei Betrachtung des DFI erkennen. Die erste beginnt Mitte Juli 2007. Der DFI verlässt den Entspannungsbereich von unter 0. Zu diesem Zeitpunkt wurden die ersten Probleme europäischer Finanzinstitute im Zusammenhang mit Fehlspekulationen am US-Kreditmarkt bekannt. Die zweite Welle begann im März 2008 mit den schwerwiegenden Problemen bei der US-Investmentbank Bear Stears. Diese fiel als erste große US-Investmentbank der Krise zum Opfer. Zu diesem Zeitpunkt misst der DFI an den Finanzmärkten einen Stressfaktor von 2,9, der annähernd dem Niveau in der Russland- und LTCM-Krise im Jahr 1998 entspricht. Die dritte Schockwelle beginnt in der Septemberwoche dieses Jahres, als die US-Investmentbank Lehman Brothers Insolvenz anmelden musste und mit AIG eine der größten Versicherungen der Welt ebenfalls kurz vor dem Bankrott stand. Im Zuge dieser Ereignisse erreichte der DFI mit einem Wert von 5,8 Ende Oktober seinen Höhepunkt. Der gemessene Stressfaktor ist damit deutlich höher als bei allen zuvor beobachteten Krisen. Am aktuellen Rand signalisiert der DFI mit 5,6 eine geringfügige Entspannung. Die Horrornachrichten aus der Realwirtschaft und die Probleme um eine der größten Banken der Welt, die Citigroup, dürften eine weitere Entspannung im November verhindert haben. Bei Betrachtung der Teilkomponenten des DFI fällt auf, dass nicht alle eine leichte Entspannung anzeigen. Der Markt für Unternehmensanleihen hat sogar ein neues Rekordstressniveau erreicht.
8. Gegenmaßnahmen wirkungslos? Die ersten Maßnahmen zur Bewältigung der Finanzmarktkrise kamen von den Notenbanken in Form einer sehr umfangreichen Liquiditätsversorgung und zum Teil auch drastisch niedrigerer Leitzinsen. Diese Schritte waren hilfreich und notwendig, um einen Dominoeffekt von Liquiditätsengpässen innerhalb des Finanzsystems zu vermeiden und das Vertrauen der Marktteilnehmer nicht weiter erodieren zu lassen. Sie zeigten jedoch enttäuschend wenig Wirkungen auf die gemeinsame Ursache aller Finanzmarktverwerfungen – das Kontrahentenrisiko, sodass ein umfangreicher Einsatz von Steuermitteln letztlich unvermeidbar wurde, insbesondere als einige nationale Bankensysteme im Gefolge des Bankrotts der USamerikanischen Bank Lehmann Brothers kurz vor einem allgemeinen Bank-Run standen. Trotz kleiner nationaler Unterschiede beruhen die staatlichen Hilfsprogramme weltweit im Wesentlichen auf zwei Säulen. Während Eigenkapitalinjektionen die Insolvenz von Finanzinstituten vermeiden und damit das Kontrahentenrisiko ausschalten sollen, dienen staatliche Garantien in erster Linie dazu, das Funktionieren zentraler Refinanzierungsmärkte auch in Gegenwart eines hohen Kontrahentenrisikos zu ermöglichen.
9. Die staatlichen Hilfsprogramme waren insofern erfolgreich, als dass sie auf dem Höhepunkt der Finanzmarktkrise das Vertrauen von Kunden und Unternehmen in die Systemstabilität wieder hergestellt haben. Letztendlich beigelegt sein wird die Finanzmarktkrise aber erst dann, wenn abzusehen ist, dass die aus hypothekenbasierten Wertpapieren und womöglich noch aus anderen Kreditengagements resultierenden Verluste für das Finanzsystem verkraftbar sind. Da die Ausfallrisiken nicht nur von Hypotheken, sondern auch alle Formen von Konsumenten- und Unternehmenskrediten in konjunkturellen Abschwungphasen systematisch ansteigen, bestehen in dieser Hinsicht nicht zu vernachlässigende Rückkopplungseffekte zwischen den Finanzmärkten und der Realwirtschaft. Den staatlichen Hilfsprogrammen sowie den begleitenden Liquiditätsmaßnahmen der Zentralbanken kommt in diesem Kontext die Aufgabe zu, das Ausmaß und die Geschwindigkeit des zu erwartenden Deleveraging-Prozesses im Bankensystem zu mildern und damit seine Auswirkungen auf die Realwirtschaft zu begrenzen. Eine entscheidende Rolle spielt dabei, die Funktionsfähigkeit wichtiger Finanzmärkte aufrechtzuerhalten, um die Fähigkeit und Bereitschaft der Banken zur Kreditvergabe und zur Risikoübernahme im Allgemeinen nicht weiter schwinden zu lassen. Insofern sollte man von den öffentlichen Rettungspaketen keine spontane Heilung des Finanzsystems erwarten. Ihr Beitrag besteht vielmehr darin, eine sich aufschaukelnde Abwärtsspirale zwischen den Finanzmärkten und der Realwirtschaft zu verhindern. Dadurch erhalten die Finanzinstitute mehr Zeit, die in der Vergangenheit aufgebauten Risiken in geordneter Weise abzuarbeiten, wodurch mittelfristig die Voraussetzungen für eine Selbstheilung des Finanzsystems geschaffen werden. Diesen Erholungsprozess werden wir mit dem DFI dokumentieren und analysieren.
Quelle: DekaBank
Die DekaBank ist im Jahr 1999 aus der Fusion von Deutsche Girozentrale - Deutsche Kommunalbank- und DekaBank GmbH hervorgegangen. Die Gesellschaft ist als Zentralinstitut der deutschen Sparkassenorganisation im Investmentfondsgeschäft aktiv. Mit einem Fondsvolumen von mehr als 135 Mrd. Euro und über fünf Millionen betreuten Depots gehört die DekaBank zu den größten Finanzdienstleistern Deutschlands. Im Publikumsfondsgeschäft hält der DekaBank-Konzern einen Marktanteil von etwa 20 Prozent.
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