Deka-EZB-Kompass: Lockerungssignale für den neuen Mann auf der Brücke
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1. Im Oktober fällt der EZB-Kompass auf 39,2 Punkte und damit um weitere 4,1 Punkte gegenüber seinem September-Stand. Je weiter sich der Kompass von der neutralen 50-Punkte-Marke nach unten entfernt, umso stärker spricht das makroökonomische Umfeld Eurolands für expansive Reaktionen der EZB. Die 50-Punkte-Marke, der Übergang zum Zinserhöhungsbedarf, dürfte auch noch länger außer Reichweite bleiben. Denn die aktuellen Daten und Prognosen sprechen für nachlassenden Inflationsdruck sowie eine sich weiter abkühlende Wirtschaftsaktivität in Euroland. Solch ein Umfeld eröffnet der EZB Zinssenkungsspielräume, um die Konjunktur zu unterstützten. Einsprechend lassen wir in unsere Prognose je einen Zinsschritt im Dezember und Februar auf dann 1,0 % einfließen. Dies unterstützt unter anderem die Trendwende der Kompassentwicklung im Februar 2012, was gegen ein Rezessionsszenario spricht.
2. Unter den monetären Komponenten, die in die Kompassberechnung eingehen, zeigen in den kommenden sechs Monaten die Importpreise den stärksten Rückgang (von aktuell 6,7 % auf 1,9 % im April). Hierfür sind unter anderem die auslaufenden Basiseffekte der Preiserhöhungen bei Rohstoffen in 2011 verantwortlich. Aber auch die Kernrate der Erzeugerpreise, der Preise des Industriesektors ohne die volatilen Komponenten Bau und Energie, dürfte bis April 2012 deutlich sinken (von aktuell 2,1 % auf dann 1,4 %). Damit wäre auch seitens der Produzentenpreise kein Preisdruck auf die Inflation in Sicht. Die ersten vier Indikatoren in der nachfolgenden Tabelle erfassen das realwirtschaftliche Umfeld Eurolands. Die Stimmung der Einkaufsmanager sowie das Wirtschaftsvertrauen der Konsumenten und Unternehmen (Economic Sentiment) haben sich im Oktober gegenüber September weiter verschlechtert, was die Rückgänge bei beiden Indikatoren zum Ausdruck bringen. Eine Stimmungsaufhellung sehen wir in sechs Monaten derzeit nur beim Einkaufsmanagerindex, während der Rezessionskurs einiger Randstaaten Eurolands das Economic Sentiment der Euroländer wohl weiter auf dann 92,1 Punkte drücken dürfte. Noch deutlicher wird die erwartete Konjunkturverlangsamung bei der Entwicklung der Industrieproduktion. Hier erwarten wir einen starken Rückgang der annualisierten Sechsmonatsveränderung im April auf -4,8 %. Mit nachlassender Konjunktur geht nachlassender Inflationsdruck einher, so dass die Inflationsrate Eurolands im nächsten Jahr wieder unter 2 % fallen dürfte.
3. Zeitenwende bei der EZB. Die kommende Sitzung wird die erste unter Leitung des neuen Präsidenten Draghi sein. Große Neugier stellt sich bei Marktbeobachtern und der interessierten Öffentlichkeit ein. Wird er die Positionierung der EZB innerhalb der Euro-Schuldenkrise verändern? Wird er durch seine Herkunft aus einem unter großen Kapitalmarktdruck stehenden Land besonderen geldpolitischen Puritanismus an den Tag legen? Wie wird er in praktischen Fragen agieren? Wie wird sich die Kommunikation der Bank ändern? Mario Draghi ist kein EZB-Neuling: Seit 2006 steht er an der Spitze der italienischen Notenbank und hat damit die gesamte Zeit der Finanzmarktkrise aus EZBSicht verfolgt. Wir rechnen nicht damit, dass Draghi die EZB auf einen völlig neuen Kurs in der Staatsschuldenproblematik führen wird. Weiterhin wird gelten, dass die EZB zwar als „letzter Mann“ die Finanzmarktstabilität verteidigen muss, und damit gezwungen ist, für die mangelnde Fähigkeit der europäischen Finanzpolitik zum Schuldenabbau einzustehen. Es wird allerdings nicht zu einer geldpolitischen „Staubsaugerpolitik“ wie in den USA oder im Vereinigten Königreich kommen, wo die Notenbanken in ungleich größerem Ausmaß Staatsanleihen aus dem Markt nehmen, um den ebenso hoch verschuldeten Staaten Zeit zur Konsolidierung zu erkaufen. Seine Äußerungen vom 26. Oktober, dass die EZB das Anleiheprogramm weiterführen würde, war in der Öffentlichkeit bereits fast zu einem Kurswechsel der EZB stilisiert worden, bevor am Wochenende der scheidende Präsident Trichet klarstellte, dass Draghi lediglich eine bekannte Position der EZB wiedergegeben hätte. Draghi ist wohl so gut wie sonst kein EZB-Ratsmitglied geeignet, Druck auf die italiensche Politik auszuüben. Bei der Zinspolitik gilt Draghi weder als Falke noch als Taube; wir rechnen hier nicht mit Zurückhaltung bei Zinssenkungen, wenn es die Lage erfordert, wie dies in den kommenden Monaten der Fall sein kann. Bei der Kommunikationspolitik kann man zurzeit wenig sagen. Es spricht einiges dafür, dass die vollkommen präsidentenzentrierte Kommunikation der Trichet-Ära nicht unbedingt Draghis Stil ist, es mag also ab dieser Woche auch der Vizepräsident in der Pressekonferenz zu Wort kommen. Ob Draghi die Codewörter seines Vorgängers zur Signalisierung von Zinsschritten übernimmt, darf bezweifelt werden, hier haben die beiden bisherigen Präsidenten ihre eigenen Akzente gesetzt.
4. Wir rechnen aufgrund der abnehmenden Wirtschafts- und Inflationsdynamik in Euroland weiterhin mit zwei Zinssenkungen in den kommenden drei Monaten. Zwar haben die jüngsten Wirtschaftsdaten, insbesondere aus den USA, die Furcht vor einem Lehman-ähnlichen Absturz der Konjunktur besänftigen können. Das ändert allerdings nichts daran, dass die Zeichen in Euroland auf eine deutliche Abschwächung der wirtschaftlichen Dynamik ab dem vierten Quartal stehen, nachdem das dritte Quartal noch einmal überraschend stark ausgefallen sein dürfte. Sollten sich die teilweise recht spontan zu aktuellen Gipfelterminen ausgefallenen finanzpolitischen Konsolidierungspläne in einer Reihe von EU-Mitgliedsstaaten tatsächlich konkretisieren, so haben wir im kommenden Jahr mit einem deutlicheren negativen Fiskalimpuls zu rechnen als bislang angenommen. Dies erfordert eine expansivere geldpolitische Begleitung durch die EZB, ohne dass sie hierbei auf die außergewöhnlichen Maßnahmen der Staatsanleihekäufe zurückgreifen kann. Diese sind aufgrund der Anreizwirkungen für den Club von 17 sparunwilligen Finanzministern für die Währungsunion eine zu gefährliche geldpolitische Droge.
Quelle: DekaBank
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