Deka-EZB-Kompass: Der Handlungsdruck nimmt zu
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1. Der EZB-Kompass verzeichnete im Mai seinen 14. Rückgang in Folge und notiert mit nunmehr 27,0 Punkten weit unter der Marke von 50, die mit einer neutralen Geldpolitik in Einklang stehen würde. Wir halten es nach wie vor für wahrscheinlich, dass der Kompass in den nächsten Monaten seinen Tiefpunkt erreichen wird. Aufgrund einiger zuletzt sehr schwacher Konjunkturdaten und der nicht nachlassenden Verwerfungen auf den Finanzmärkten der Eurozone gehen wir nun jedoch davon aus, dass dieser Bodenbildung nur ein langsamer Anstieg folgen wird. Der fortgesetzte Abwärtstrend des Indikators und sein für die Zukunft erwarteter flacherer Verlauf werfen die Frage auf, ob die EZB ihre Geldpolitik nicht doch weiter lockern sollte.
2. Wie schon im April waren die Stimmungsindikatoren der Eurozone eine wichtige Triebfeder für den Rückgang des EZB-Kompass. Die Einkaufsmanagerindizes und das Economic Sentiment haben sich im Mai weiter verschlechtert. Dies ist insofern von großer Bedeutung, als dass die EZB selbst in den vergangenen Monaten die Aufmerksamkeit auf diese umfragebasierten Frühindikatoren gelenkt hatte. So sprach Präsident Draghi seit Anfang des Jahres regelmäßig von einer „Stabilisierung der wirtschaftlichen Aktivität auf niedrigem Niveau“, nachdem vor allem im Unternehmenssektor die Zuversicht zugenommen hatte. An dieser Formulierung hielt er auch auf der Pressekonferenz im Mai fest, fügte aber hinzu, dass der regelrechte Einbruch der Stimmungsindikatoren im April das hohe Ausmaß an konjunktureller Unsicherheit unterstreiche. Mittlerweile sind sowohl die Einkaufsmanagerindizes als auch das Economic Sentiment unter ihre Niveaus vom Herbst 2011 gesunken, die die EZB seinerzeit zum Anlass für eine Senkung der Leitzinsen genommen hatte. Auch dies verdeutlicht den Erwartungsdruck, der auf Präsident Draghi lastet.
3. Zudem spricht die Inflationsentwicklung immer weniger gegen eine weitere Lockerung der Geldpolitik. Zwar haben die von Consensus Economics befragten Volkswirte ihre Inflationsprognosen im Mai erneut leicht nach oben revidiert. Genau wie die EZB selbst gehen sie jedoch davon aus, dass die Preissteigerungsrate im nächsten Jahr wieder unter die Zielmarke von 2 % fallen wird. Die privaten Haushalte reagierten sehr schnell auf den Rückgang des Ölpreises. Ihre Inflationserwartungen gingen laut Umfrage der EU-Kommission im Mai spürbar zurück und liegen nicht mehr allzu weit über ihrem langfristigen Durchschnitt. Auch vorgelagerte Indikatoren wie die Erzeuger- und Importpreise sowie die Lohnkosten deuten auf einen nachlassenden Preisauftrieb hin. Insgesamt wirkten die einfließenden Inflations- und Kostenindikatoren zuletzt dämpfend auf den EZB-Kompass. Dementsprechend dürfte Präsident Draghi auf der bevorstehenden Pressekonferenz die Inflationsrisiken weiterhin als ausgeglichen bezeichnen.
4. Auf der Pressekonferenz im Mai beeindruckte EZB-Präsident Draghi seine Zuhörer mit der Aussage, dass auf der vorangegangenen Ratssitzung über eine Senkung der Leitzinsen nicht einmal diskutiert worden sei. Man habe in einem breiteren Kontext über die gesamte Geldpolitik gesprochen und sie als bereits akkommodierend eingeschätzt. Dem stünde zwar eine zunehmende Unsicherheit des wirtschaftlichen Ausblicks gegenüber. Die vorliegenden Informationen reichten jedoch nicht aus, um das bisherige Konjunkturbild der EZB grundsätzlich zu überarbeiten. Sie gehe daher weiterhin von einer moderaten Erholung in der zweiten Jahreshälfte aus. Auf der nun anstehenden Pressekonferenz wird der EZB-Präsident Farbe bekennen müssen, ob sich die von ihm erwähnten Abwärtsrisiken – eine Verschärfung der Anspannung auf den Finanzmärkten mit zunehmenden Effekten auf die Realwirtschaft – nicht bereits zu einem gewissen Grad materialisiert haben und daher ein zusätzliches Handeln der EZB verlangen. Von großer Bedeutung sind in diesem Zusammenhang die neuen Projektionen des Mitarbeiterstabs. Diese gingen im März von einer leichten Schrumpfung der Wirtschaftsleistung in diesem Jahr und einem Wachstum von gut 1 % im nächsten Jahr aus. Da ein Rückgang des Bruttoinlandsprodukts im ersten Quartal dieses Jahres überraschenderweise ausgeblieben ist, dürften sich Korrekturen der Prognose für das Gesamtjahr in Grenzen halten. Ein größerer Signalcharakter kommt demgegenüber den Projektionen für 2013 zu, denn hier zeigt sich am deutlichsten, inwieweit die EZB von ihrer bisherigen Erwartung einer wirtschaftlichen Erholung ab der zweiten Hälfte dieses Jahres Abstand nehmen muss. Wir rechnen jedoch mit einer eher moderaten Abwärtsrevision, die für sich genommen zu klein sein dürfte, um einen zeitnahen Zinsschritt anzudeuten. Draghi würde allerdings mit einer pessimistischeren Konjunktureinschätzung die Tür für Leitzinssenkungen etwas weiter öffnen.
5. Aber die Leitzinsen sind nicht die einzige Dimension, entlang der die EZB ihre Geldpolitik lockern könnte. Mit zunehmenden Verwerfungen auf den Finanzmärkten sind die unkonventionellen Maßnahmen wieder stärker in den Fokus gerückt. Die Zusage der EZB, bei den laufenden Refinanzierungsgeschäften in unbegrenztem Umfang Liquidität zur Verfügung zu stellen, endet im Juli. Präsident Draghi hat angekündigt, sich zu diesem Thema zu äußern, und es ist davon auszugehen, dass die EZB die Vollzuteilungspraxis noch für längere Zeit fortsetzen wird. Gleichzeitig sehen wir bei der EZB jedoch wenig Bereitschaft, sich schon jetzt auf weitere langfristige Refinanzierungsgeschäfte (LTROs) festzulegen. Die Evaluierung ihrer unkonventionellen Maßnahmen ist bei der EZB ein laufender Prozess. Gerade die LTROs haben sehr komplexe Wirkungen. Ein Großteil beruht jedoch darauf, die Refinanzierung von Banken sicherzustellen, dadurch das Vertrauen in das Bankensystem zu stärken und die Risikoaversion an den Finanzmärkten zu verringern. Da sich zahlreiche Banken bereits sehr reichlich mit langfristigen EZB-Krediten eingedeckt haben, ließen sich die Effekte der beiden ersten LTROs wahrscheinlich nicht identisch wiederholen. Zwar haben Nachrichten über erhebliche Mittelabflüsse bei einzelnen Instituten in den vergangenen Wochen für Unruhe an den Finanzmärkten gesorgt und neue Maßnahmen der EZB könnten dieser Entwicklung entgegenwirken. Die EZB dürfte es jedoch vorziehen, wenn die europäische Politik mehr Verantwortung für die Stabilität des Bankensystems übernimmt. So hat sich auch Mario Draghi dafür ausgesprochen, den permanenten Rettungsschirm ESM direkt bei der Rekapitalisierung angeschlagener Finanzinstitute einzusetzen, ohne ihre jeweiligen Heimatländer einzuschalten. Würde die EZB nun mit weiteren Hilfen für Banken vorpreschen, nähme sie im Vorfeld des EU-Gipfels Ende des Monats den Druck von den Regierungen, sich auf eine flexiblere Ausgestaltung des ESM zu einigen.
6. Sicher könnte die EZB auch weitere Langfristtender auflegen, um die Kreditvergabebereitschaft der Banken zu stärken. Dies würde jedoch voraussetzen, dass restriktive Kreditbedingungen ein wesentlicher Grund für die zuletzt schwachen Konjunkturdaten gewesen sind. Die Jahresrate der Buchkredite, die in den EZB-Kompass einfließt, hat sich im April weiter auf 0,3 % verringert. Allerdings verzeichneten die Kredite sowohl an private Haushalte als auch an nicht-finanzielle Unternehmen im Monatsvergleich leichte Zuwächse. Die EZB kann daher durchaus an ihrer These festhalten, dass ihre unkonventionellen Maßnahmen eine gravierende Kreditklemme verhindert haben und die schwache Entwicklung der Kreditvergabe im Wesentlichen ein Spiegelbild der konjunkturell bedingt schwachen Kreditnachfrage ist. Dies würde jedoch bedeuten, dass zusätzliche LTROs nur wenig Einfluss auf die Kreditbedingungen und damit auf die wirtschaftliche Entwicklung hätten.
7. Letztlich bestünde auch die Möglichkeit, weitere LTROs gezielt so auszugestalten, dass sie Carry Trades mit Staatsanleihen der Peripherieländer anregen. Hier wäre zum Bespiel daran zu denken, die Laufzeit der Kredite nochmals auszuweiten, damit die teilnehmenden Banken die immer noch vorhandene Steilheit der Zinskurven auf den italienischen und spanischen Staatsanleihemärkten besser ausnutzen können. Aber auch eine solche Maßnahme würde nur dann Sinn machen, wenn die EZB der Überzeugung wäre, dass die Verwerfungen auf den Staatsanleihemärkten – und nicht etwa der unausweichliche Konsolidierungsbedarf – die zentrale Ursache für die konjunkturelle Schwäche in den Peripherieländern ist. Andernfalls liefe sie Gefahr, durch die gezielte Unterstützung der Staatsanleihemärkte zwar keine nennenswerten konjunkturellen Effekte hervorzurufen, wohl aber den Druck auf die Regierungen in Richtung Konsolidierung und struktureller Reformen zu mindern. Das gleiche Argument lässt sich gegen eine Wiederbelebung des Staatsanleiheankaufprogramms der EZB ins Feld führen. Aber auch andere Überlegungen sprechen gegen Staatsanleihekäufe im großen Stil. Sie würden ihre gewünschte Wirkung wahrscheinlich nur dann auf Dauer erzielen, wenn die EZB explizit auf eine bevorzugte Behandlung im Falle eines Schuldenschnitts nach griechischem Vorbild verzichtet. Dies würde jedoch nicht dem Verständnis des Staatsanleiheankaufprogramms durch die EZB entsprechen. Sie betrachtet es als rein geldpolitisches Instrument, das zum Einsatz kommt, wenn Verwerfungen auf den Staatsanleihemärkten die Wirkung der Geldpolitik konterkarieren. Das Beispiel Griechenlands hat gezeigt, dass die EZB es nicht als fair empfindet, im Rahmen dieses Programms genauso behandelt zu werden wie private Investoren. Insofern gehen wir davon aus, dass die bilanziellen Risiken und die daraus resultierende Vermischung von Geld- und Fiskalpolitik die EZB letztlich davon abhalten werden, das Staatsanleiheankaufprogramm erheblich auszuweiten.
8. Alles in allem hat mit der Eintrübung des wirtschaftlichen Ausblicks die Wahrscheinlichkeit für erneute Leitzinssenkungen zugenommen. Aufgrund des ohnehin extrem niedrigen Zinsniveaus sollte man sich jedoch keine allzu großen Wirkungen versprechen. Leitzinssenkungen können daher nur einen flankierenden Charakter haben, während der Schwerpunkt einer monetären Lockerung auf unkonventionellen Maßnahmen liegen müsste. Wir halten für die kommenden Monate Schritte in diese Richtung für wahrscheinlich, erwarten bei dem bevorstehenden Meeting jedoch noch keine eindeutigen Signale. Zum einen wartet die EZB darauf, dass zunächst die europäische Politik die notwendigen Voraussetzungen für eine weitere Lockerung der Geldpolitik schafft. Dies umfasst neben der direkten Beteiligung des ESM an der Rekapitalisierung angeschlagener Banken vor allem auch ein eindeutiges Bekenntnis zum Fiskalpakt. Zum anderen ist die EZB selbst noch damit beschäftigt zu analysieren, welche Wirkungen sie durch weitere unkonventionelle Maßnahmen erzielen könnte und welche Instrumente sie hierfür wählen sollte. Von daher können durchaus noch einige Wochen vergehen, ehe die EZB aktiv wird.
Quelle: DekaBank
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