Fundamentale Nachricht
16:39 Uhr, 24.02.2014

Deflationärer Schock durch Osteuropa-Krise?

Das Schuldenproblem in Osteuropa ist groß genug, um einen mit dem Kollaps von Lehman Brothers vergleichbaren deflationären Schock auszulösen. Der US-Aktienmarkt könnte in der Folge um 70 Prozent einbrechen.

Zuletzt ist es um die Schwellenländerkrise wieder ruhiger geworden. Russell Napier, Makrostratege beim asiatischen Broker CLSA, glaubt aber nicht, dass das Schlimmste bereits überstanden ist. „Das ist erst der Anfang. Die Korrektur der Ungleichgewichte hat gerade erst begonnen“, sagte der Schotte in einem Interview mit der Zeitschrift „Finanz und Wirtschaft“. Viele Schwellenländer haben sich massiv im Ausland verschuldet und leiden unter riesigen Defiziten in der Leistungsbilanz. Die jüngste Verkaufswelle sei die Folge dieser über Jahre aufgebauten Ungleichgewichte.

Eine ausgewachsene Schwellenländerkrise wie in den Neunzigerjahren erwartet Napier aber nicht. Die meisten asiatischen und auch die meisten lateinamerikanischen Länder "stehen besser da als damals", sagte der Experte. Die Zahlungsbilanzen seien gesünder und die Länder seien weniger von ausländischer Finanzierung abhängig. Es werde zwar zu einer Verlangsamung des Wachstums kommen, nicht aber zu Staatspleiten. Die Problemzone seien Osteuropa und die Türkei. "In zehn Jahren werden wir die kommende Krise nur noch als Osteuropakrise bezeichnen", so Napier. Dort habe die Auslandverschuldung am stärksten zugenommen. Gemäß einer Analyse von Carmen Reinhart und Kenneth Rogoff steigt ab einem Auslandverschuldungsgrad von mehr als 30 Prozent das Risiko eines Zahlungsausfalls signifikant. Über dieser Schwelle liegen nach Angaben von Napier hauptsächlich osteuropäische Länder.

Das Schuldenproblem in Osteuropa ist nach Einschätzung von Napier groß genug, um einen mit dem Kollaps von Lehman Brothers vergleichbaren deflationären Schock auszulösen. "Nimmt man an, dass Ungarn, die Ukraine und die Türkei die Schulden nicht bezahlen, sind wir etwa in der Größenordnung der Lehman-Pleite", so der Investmentstratege. Bei einem Zahlungsausfall hätten vor allem europäische Banken, die mit viel Fremdkapital arbeiten, das Problem.

Besonders in Gefahr sei Ungarn, das faktisch schon zahlungs­unfähig gewesen sei, als es Frankenschulden in lokale Währung umgeschrieben hat. Die Ukraine ist ebenfalls bereits auf externe Hilfe angewiesen. Danach werden die großen Schuldner Türkei und Polen angesteckt, glaubt Napier. Die Ansteckung werde über Fonds erfolgen, die Positionen liquidieren müssen, wenn Anleger Fondsanteile zurückgeben. Das werden dann zuerst Positionen in den hochliquiden Märkte Türkei und Polen sein, so Napier.

Eine Zinserhöhung könne die Abwärtsspirale nur in Ländern mit wenig Schulden stoppen. Sonst sei es sogar kontraproduktiv. „Höhere Zinsen schaden nicht nur der Wirtschaft, sondern auch der Solvenz des Finanzsystems. Auch in der Türkei werden höhere Zinsen nicht helfen“, betont Napier. Die Krankheit sei zwar nicht so schlimm wie damals in der Asienkrise, gleichzeitig gebe es aber weniger Medikamente. „Damals half das Fed mit tieferen Zinsen und billigen Dollar. Heute kann es die Zinsen nicht mehr senken“, erklärt der Stratege.

Grund für die Schwellenländerschwäche sei das Tapering der US-Notenbank, der fallende Yen, die politische Lage und die rückläufigen Rohstoffpreise. „Sie bringen die Blase zum Platzen.“ Das Grundproblem seien aber die ökonomischen Ungleichgewichte und die vom Ausland finanzierte Schuldenorgie der Vergangenheit.

Russel Napier geht davon aus, dass der US-Aktienmarkt in der Folge um 70 Prozent einbrechen wird. „Beim S&P 500 gehe ich von einem Boden bei 500 Punkten aus. Ich kann nicht sagen, ob das noch in diesem Jahr geschieht, aber wenn die Marktteilnehmer erkennen, dass die Medizin nicht wirkt, dann werden die Verluste groß sein“, sagte er der „Finanz und Wirtschaft“.

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Über den Experten

Thomas Gansneder
Thomas Gansneder
Redakteur

Thomas Gansneder ist langjähriger Redakteur der BörseGo AG. Der gelernte Bankkaufmann hat sich während seiner Tätigkeit als Anlageberater umfangreiche Kenntnisse über die Finanzmärkte angeeignet. Thomas Gansneder ist seit 1994 an der Börse aktiv und seit 2002 als Finanz-Journalist tätig. In seiner Berichterstattung konzentriert er sich insbesondere auf die europäischen Aktienmärkte. Besonderes Augenmerk legt er seit der Lehman-Pleite im Jahr 2008 auf die Entwicklungen in der Euro-, Finanz- und Schuldenkrise. Thomas Gansneder ist ein Verfechter antizyklischer und langfristiger Anlagestrategien. Er empfiehlt insbesondere Einsteigern, sich strikt an eine festgelegte Anlagestrategie zu halten und nur nach klar definierten Mustern zu investieren. Typische Fehler in der Aktienanlage, die oft mit Entscheidungen aus dem Bauch heraus einhergehen, sollen damit vermieden werden.

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