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10:24 Uhr, 22.04.2013

Deflation - drohen Europa japanische Verhältnisse?

Frankfurt (BoerseGo.de) - „Die Anleiherenditen der europäischen Kernländer sind im vergangenen Jahr auf unter zwei Prozent gefallen und die Inflationsrate ist rückläufig. Das Wachstum ist schwach, die Haushaltspolitik restriktiv und die Geldpolitik zu straff. Zugleich ist die Währung zu stark und die Wirtschaft durch starre Strukturen gekennzeichnet. Deflation ist eine reale Gefahr für Europa. Könnte Europa eine vergleichbar milde Deflation erleben wie Japan?“, diese Frage stellt Chris Iggo, CIO Fixed Income bei AXA Investment Managers.

Die Situation in Europa unterscheide sich insofern von der japanischen, als dass der europäische Anleihenmarkt stark fragmentiert sei. Innerhalb dieses Währungsraums gebe es nur wenige Länder, die dem japanischen Modell mit hohem inländischen Sparvermögen und starkem sozialen Zusammenhalt nahekommen. Das gelte möglicherweise nur für Deutschland und vielleicht Italien. Für Länder wie Spanien, die von Außenfinanzierung abhingen, sei Deflation keine wirkliche Alternative. Ein Merkmal der Eurokrise sei die Rückführung von Investments aus anderen Ländern der Eurozone. Das sei eine Gefahr für jene Schuldnerländer, deren Mittel nicht reichten, um ihre eigenen Haushaltsdefizite zu finanzieren. Daher seien die schwächsten Kandidaten auf dem Höhepunkt der Krise auf ausländische Rettungspakete angewiesen. Die übrigen Wackelkandidaten haben sich seitdem mithilfe einer Kombination aus strikter Ausgabenkontrolle und der Aussicht auf weitere Rettungsaktionen bzw. einen geldpolitischen Kurswechsel der EZB gerade mal über Wasser halten können.

„Die Märkte wissen sehr wohl, wie nötig Risikozuschläge auf europäische Staatsanleihen sind. Setzt Deflation ein, ohne dass diese Prämien gleichzeitig sinken, wird sich die Schuldendynamik verschärfen. Spanien zahlt drei bis vier Prozent Zinsen auf seine Schulden. Das ist mehr als die aktuelle Teuerungsrate. Mit einer weiteren Schrumpfung der Wirtschaftsleistung des Landes würde auch die Inflation zurückgehen. Italiens Inflationsrate liegt bei 1,8 Prozent und ist weiter rückläufig. Die Anleiherenditen des Landes liegen demgegenüber bei drei bis vier Prozent. Die Kombination aus verfehlten Haushaltszielen und Aufwärtskorrekturen der Schuldenstandsprognosen würde die Situation nur verschärfen“, so Iggo.

Deflation lasse sich nur dann nutzen, wenn das inländische Sparvermögen groß und anpassungsfähig genug sei, um den Staatshaushalt zu finanzieren. Zugleich müsse der Regierung dazu ausreichend Zeit zur Verfügung stehen. Dabei dürfe man allerdings nicht vergessen, dass Deflation kein Rezept für Haushaltsstabilität sei, denn die realen Schuldenkosten stiegen weiter. Japan habe schließlich erkannt, dass es so nicht ewig weitergehen könne. Doch nur wenige europäische Länder hätten genug Zeit, um sich aus eigener Kraft aus ihrem haushaltspolitischen Schlamassel zu befreien, heißt es weiter.

„Japan setzt jetzt auf eine massive Reflation. Die Bank of Japan soll in etwa das 1,6-Fache der in den kommenden Jahren voraussichtlich begebenen japanischen Staatsanleihen aufkaufen. Das Land will Inflation in Höhe von 2 Prozent generieren. Für Anleger mit nominal niedrigverzinslichen Anleihen ist das katastrophal, denn die voraussichtlichen Realrenditen werden einbrechen. Der Markt hat darauf bereits mit einem Abverkauf japanischer Staatsanleihen reagiert; potenzielle Investoren in japanische Werte wechseln an andere Anleihemärkte. Sofern die Inflationsaussichten steigen, werden auch die Renditen auf japanische Staatsanleihen steigen. Spricht die Realwirtschaft darauf an, dann wird auch der Unternehmenssektor wieder Kredite aufnehmen und die Credit-Spreads werden sich ausweiten. Kurz: Inflation nutzt dem Schuldner, nicht dem Gläubiger“, so Iggo.

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Über den Experten

Tomke Hansmann
Tomke Hansmann
Redakteurin

Nach ihrem Studium und einer anschließenden journalistischen Ausbildung arbeitet Tomke Hansmann seit dem Jahr 2000 im Umfeld Börse, zunächst als Online-Wirtschaftsredakteurin. Nach einem kurzen Abstecher in den Printjournalismus bei einer Medien-/PR-Agentur war sie von 2004 bis 2010 als Devisenanalystin im Research bei einer Wertpapierhandelsbank beschäftigt. Seitdem ist Tomke Hansmann freiberuflich als Wirtschafts- und Börsenjournalistin für Online-Medien tätig. Ihre Schwerpunkte sind Marktberichte und -kommentare sowie News und Analysen (fundamental und charttechnisch) zu Devisen, Rohstoffen und US-Aktien.

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