Das Ziel Netto-Null-Emission ist der neue Fixstern
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Kaum jemand bestreitet heute noch ernsthaft, dass der Übergang zur Klimaneutralität weltweit dringend beschleunigt werden muss. Der UN-Bericht von Oktober unterstreicht, dass die Welt ausgehend von den aktuellen Emissionszusagen auf eine katastrophale Erderwärmung von 2,7ºC zusteuert. Damit war die UN-Klimakonferenz in Glasgow mit dem klaren Bekenntnis zum 1,5-Grad-Ziel der bislang wichtigste Klimagipfel. Einige der größten Klimasünder wie Indien, China und die USA haben auf der Konferenz ihre nationalen Klimaziele nachgebessert. Indien sorgte mit seiner Zusage zur Klimaneutralität bis 2070 für Schlagzeilen, aber auf kürzere Sicht ist die Verpflichtung des Landes, bis 2030 50 % seines Stroms aus erneuerbaren Quellen zu erzeugen und seine Kohlenstoffemissionen in der Wirtschaft um 45 % zu verringern, ein bedeutender Richtungswechsel.
Wichtig war auch die gemeinsame Erklärung von China und den USA, beim Klimaschutz künftig enger zu kooperieren und die Emissionen stärker zu senken, auch wenn der chinesische Präsident Xi nicht persönlich nach Glasgow gereist war. Ferner gab es neue Erklärungen zur Entwaldung, zu Methan-Emissionen und zur beschleunigten Einführung sauberer Technologien. Der Privatsektor erklärte außerdem verbindlich, Probleme von der Entwaldung bis hin zum Kohleausstieg anzugehen. Hinzu kamen einige öffentlich-private Initiativen. Die stärkere Zusammenarbeit und die Bekräftigung der Rolle des Privatsektors im Kampf gegen den Klimawandel ist ein klarer Paradigmenwechsel.
Die Frage lautet nun nicht mehr weshalb, sondern welche Maßnahmen zur Eindämmung des Klimawandels erforderlich sind. Für viele Unternehmen ist das Ziel von Netto-Null-Emission der neue Fixstern. Als Reaktion auf die veränderten Anforderungen von Stakeholdern und Verbrauchern und nicht nur wegen der politischen und gesetzlichen Vorgaben skizzieren Unternehmen ihre Wege zur Klimaneutralität. Dabei erkennen sie neben den Risiken zunehmend auch die Chancen dieses Übergangs.
Deutlich höhere Investionen des Privatsektors
An der UN-Klimakonferenz waren Investitionen des Privatsektors in die Klimafinanzierung ein wichtiges Thema. Mark Carney unterstrich dies mit seiner Ankündigung, dass die Glasgow Financial Alliance for Net Zero (GFANZ) für den Kampf gegen den Klimawandel 130 Bio. US-Dollar bis 2050 zugesagt hat. Die GFANZ ist hauptsächlich ein Bündnis von Finanzinstituten, die eine Festlegung verbindlicher Ziele zugesagt haben. Entscheidend wird allerdings sein, ob sie eingehalten werden. Der zugesagte Betrag ist allerdings eine deutliche Steigerung gegenüber den 5 Bio. USD, die in Aussicht gestellt wurden, als die britische zusammen mit der italienischen Regierung die Präsidentschaft der UN-Klimakonferenz COP 26 übernahm. Die Höhe des zugesagten Betrags ist ein Hinweis auf das, was vor uns liegt. Nach einer politisch relativ stabilen Phase betreten wir nun mit verstärkten politischen Maßnahmen im Finanzsektor und in der Realwirtschaft Neuland. Wie geordnet dieser Kurswechsel vonstatten gehen wird, hängt davon ab, wie klar und kohärent die politischen Maßnahmen sein werden.
Was bedeutet das für Anleger? Offenlegung und Standards dürften stärker in den Fokus rücken. Die erwartete Harmonisierung der Standards für die nachhaltigkeitsbezogenen Offenlegungspflichten durch das neue International Sustainability Standards Board der IFRS Foundation ist zwar zu begrüßen, wird aber keinen vollständigen Ausblick in die Zukunft liefern.
Die Frage ist, ob dies zu besseren Daten oder einfach nur zu mehr Offenlegung führen wird. Kurz vor Beginn der COP26 gab Großbritannien bekannt, dass es als erstes G20-Land die größten Unternehmen dazu verpflichten wird, ihre klimabezogenen Risiken und Chancen offenzulegen, und zwar in Übereinstimmung mit den Empfehlungen der Taskforce on Climate-related Financial Disclosures (TCFD), die ab April 2022 in Kraft treten sollen. Auf dem Finanztag der Konferenz verkündete der britische Schatzkanzler Rishi Sunak, dass inzwischen 35 andere Länder Termine für die Einführung einer klimabezogenen Berichterstattung festgelegt haben. Bei der Ausrichtung von Investitionen auf das Erreichen der Klimaschutzziele bleibt abzuwarten, ob diese Standards Investitionsentscheidungen prägen oder lediglich zu einer stärkeren Offenlegung führen.
Kennzahlen und Methoden müssen vereinheitlicht und weiterentwickelt werden
In den zehn Jahren bis 2030 muss es um mehr gehen als nur um Maßnahmen. Es muss auch ein Jahrzehnt der Details sein. Die Kennzahlen und Methoden zur Messung des Fortschritts und der Pfade einzelner Sektoren in Richtung Netto-Null-Emissionen müssen weiterentwickelt werden, und wir müssen zusammenarbeiten und uns gemeinsam auf diese Zeit des Wandels einlassen.
Die Devise "Weiter so" ist keine Option. Seit Jahrzehnten missachten wir die Grenzen unseres Planeten und überschreiten diese nun um das 1,6-fache. Das hat bereits tiefgreifende Auswirkungen auf Klima, biologische Vielfalt sowie Wasser und andere natürliche Ressourcen. Die Aussage, dass "der Weg von Glasgow wichtiger ist als der Weg nach Glasgow" ist in mehrfacher Hinsicht richtig. Die nächste UN-Klimakonferenz wird in Sharm El-Sheikh stattfinden. Sie wird noch wichtiger sein, genau wie jede nachfolgende Klimakonferenz, bis die realen Emissionen weltweit sinken und wirksame Maßnahmen ergriffen werden, mit denen sich die Zusagen erfüllen lassen.
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