Kommentar
09:37 Uhr, 18.07.2022

Das größte Problem der EZB

Die EZB ist im Krisenmodus. Einige der größten Probleme, die sie lösen muss, sind von ihr selbst verursacht.

Nach über einem Jahrzehnt der ultralockeren Geldpolitik beginnt eine neue Ära, die verschiedene Probleme mit sich bringt. Eines davon wird seit Wochen diskutiert. Die Renditen von Staatsanleihen entwickeln sich in den Euroländern sehr unterschiedlich. In Deutschland etwa stieg die Rendite 10-jähriger Anleihen in der Spitze um 2,2 Prozentpunkte. In Italien waren es 3,7 Prozentpunkte. Die Richtung ist zwar die gleiche, das Ausmaß des Renditeanstiegs unterscheidet sich jedoch. Die EZB umschreibt das mit dem Wort Fragmentierung. In der Realität ist es keine Fragmentierung, sondern der natürliche und sinnvolle Verlauf der Dinge. Italien hat eine deutlich höhere Verschuldung als Deutschland. Es macht Sinn, dass die Zinsen dem Risiko entsprechend höher sind. Höhere Zinsen bei höherer Verschuldung führen letztendlich zu einem Teufelskreis. Das Budget reicht nicht aus, um Schulden zurückzuzahlen. Die Verschuldung steigt weiter und mit ihr die Zinsen. Da die Zinslast steigt, wird das Defizit immer größer, die Verschuldung steigt noch schneller und damit auch die Zinsen. Irgendwann kommt es zum Kollaps.

Das will (und muss) die EZB verhindern, wenn sie nicht den wirtschaftlichen Kollaps Europas riskieren will. Ohne gemeinsame Währung und Geldpolitik gäbe es das Problem nicht. Die EZB arbeitet an einem Mechanismus, um die Fragmentierung zu verhindern. Das ist allerdings nicht die einzige Herausforderung.

Eine andere ist hausgemacht. Zu Pandemiebeginn wurden Banken mit Geld überschüttet. Das gezielte Langfristrefinanzierungsgeschäft III (TLTRO III: Target Long Term Refinancing Operation) wartete mit besonders günstigen Bedingungen auf. Die EZB stellte Banken Geld zu einem negativen Zinssatz zur Verfügung, der später sogar auf -1 % gesenkt wurde.

Banken wird Geld gezahlt, damit sie sich Geld leihen. Das Geschäft ist auf drei Jahre ausgelegt. Solange der Einlagensatz negativ ist, hat die EZB kein Problem. Sie zahlt zwar Banken Geld für Kredite, nimmt aber gleichzeitig auch wieder Geld von Banken ein. Wegen der zahllosen Refinanzierungsgeschäfte und den Wertpapierkaufprogrammen haben Banken hohe Überschussreserven. Diese werden bei der EZB geparkt und mit -0,5 % verzinst.

Nun steigen die Zinsen und der Einlagensatz wird vermutlich im September in den positiven Bereich vordringen. Banken zahlen keine Negativzinsen mehr, erhalten aber noch von der EZB Zinsen für das Geld, welches sie sich unter TLTRO III geliehen haben. Dadurch können Banken bis zum Ende von TLTRO III im Sommer 2023 Zinserträge von 12-24 Mrd. erzielen.

Die EZB subventioniert Banken mit zweistelligen Milliardenbeträgen. Das ist schwer zu verkaufen. Daher wird nun daran gearbeitet, dass es nicht zu diesen Erträgen kommt. Die EZB dürfte die Bedingungen von TLTRO III nachträglich verändern oder die Erträge anderweitig abschöpfen.

Zum einen will sie Banken kein Geld schenken, zum anderen müssen die Zinsen auch erst einmal eingenommen werden, um sie Banken zu schenken. Das kann die EZB nicht. Die Erträge des Anleiheportfolios sind zu gering. Die EZB würde Verluste schreiben. Am Ende sind Notenbanken staatlich oder halbstaatlich. Der Steuerzahler würde für Geldgeschenke an Banken aufkommen.

Es ist verständlich, dass die EZB das nicht will. Andererseits bricht die EZB mit einer Veränderung der Bedingungen nicht das erste Tabu. Auch Wertpapierkäufe wurden einmal bis Oktober 2022 garantiert. Wenn die EZB nun regelmäßig ihre eigenen Versprechen und Verträge bricht, wer vertraut den Worten der EZB dann noch? Und ist Vertrauen nicht das Fundament des Finanzsystems?

Clemens Schmale


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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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