COVID-19 ist nicht an allem schuld
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In der letzten Februarwoche beunruhigte der Coronavirus-Ausbruch die Investoren wie nie zuvor. Die meisten Märkte fielen; nur Staatsanleihen legten trotz ihrer negativen Renditen zu. In einer volatilen Handelswoche und am Wochenende danach mangelte es nicht an Meinungsäußerungen und Prognosen. Wachstums- und Gewinnerwartungen wurden gesenkt, und man rief nach einer noch expansiveren Geldpolitik und koordinierten fiskalpolitischen Maßnahmen. Viele Marktbeobachter scheinen Hellseher zu sein, aber ich muss ohne eine Glaskugel auskommen. Ich möchte Ihnen aber unsere Sicht der Dinge erklären. Dabei zählen für mich die Fundamentaldaten der Unternehmen und das Know-how unseres internationalen Researchteams.
Vor dem Kurseinbruch lagen die Bewertungen amerikanischer Aktien gemessen am Kurs-Gewinn-Verhältnis im obersten Quintil und die Spreads internationaler Investmentgrade- und High-Yield-Unternehmensanleihen im obersten Quartil (auf Yield-to-Worst-Basis). Viele andere Assetklassen waren ebenfalls teuer. Aus meiner Sicht waren die Bewertungen insgesamt überdurchschnittlich, wenn nicht hoch.
Wer erfolgreich investieren will, muss die Bewertungen kennen. Aber das ist nicht alles. Investieren bedeutet, einem Unternehmen oder einer anderen Institution Kapital zur Verfügung zu stellen – um dafür Rückflüsse zu erhalten, die zum Risiko passen. Ein Investor muss also die Qualität und die voraussichtlichen Cashflows eines Unternehmens oder Projekts gegen das Risiko eines ungewünschten Ergebnisses abwägen.
Ich habe schon einmal geschrieben, dass zwar jeder Marktzyklus anders ist, es aber doch wiederkehrende Muster gibt. Wenn ein Zyklus in die Jahre kommt und das Anlegervertrauen steigt, fehlt es irgendwann an Anlagemöglichkeiten für die ertragshungrigen Investoren. Dann überschätzen viele Anleger die Marktliquidität, unterschätzen das Risiko und zahlen für die Cashflows zu viel.
Man kann durchaus geteilter Meinung darüber sein, ob die Bewertungen Mitte Februar, also vor dem Ausverkauf, übertrieben waren. Aber Bewertungsanalyse ist eher Kunst als Wissenschaft. Die Bewertungen zeigen an, was jemand zu zahlen bereit ist, aber jeder hat andere Maßstäbe. Wir meinten schon vorher, dass die Investoren für ihren Kapitaleinsatz zuletzt eine nur unterdurchschnittliche Cashflow-Qualität bekamen. Unseren Aktien- und Credit-Analysten machte die nachlassende Stabilität der Cashflows weltweit Sorgen, gemessen etwa an Margen, Gewinnen und EBITDA. Ein Großteil der vermeintlich hohen Gewinne in diesem Zyklus kam durch Kostensenkungen, höhere Verschuldungsgrade und besseren Kapitaleinsatz zustande. Immer mehr Unternehmen setzten auf Bilanzpolitik statt auf die laufende Geschäftstätigkeit. Sie versuchten gar nicht mehr, Margen und Cashflows etwa durch höhere Absatzmengen und Verkaufspreise zu steigern.
Wir meinen, dass Investoren ihren Portfolioansatz ändern sollten. Statt nur wenig zu differenzieren, sollten sie sehr selektiv vorgehen und Firmen meiden, deren nachlassende Gewinnqualität nicht mehr zu übersehen ist. Wir erwarten, dass Aktien und Anleihen von Unternehmen mit stetigen Cashflows knapp werden und ihre Kurse daher steigen. In solche Titel wollen wir investieren.
Ich weiß nicht, wie Notenbanken und Politiker auf COVID-19, die geringeren Wachstumsprojektionen und anderen drohenden Gegenwind reagieren werden. Aber können sie überhaupt etwas an der aus unserer Sicht schlechten Gewinnqualität vieler Unternehmen ändern?
Die Märkte machen das Coronavirus für die jüngste Stimmungsverschlechterung verantwortlich. Aber ist das wirklich die ganze Wahrheit? Vielleicht hat der Virusausbruch aufgedeckt, worauf wir schon seit einiger Zeit hinweisen: Investoren zahlen überdurchschnittlich viel für ein unterdurchschnittliches Ertragspotenzial. Hat der Markt vielleicht die Risiken unterschätzt, die Unternehmen eingegangen sind, bis sich das Umfeld verschlechterte? Wir meinen, ja.
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