Kommentar
11:38 Uhr, 14.07.2020

Corona-Crash: Auch die Computer haben versagt

Schlechte Entscheidungen in Crash-Phasen treffen nicht nur menschliche Anleger, sondern auch ausgeklügelte Computer-Algorithmen. Das zeigt ein Beispiel aus Deutschland.

Der Corona-Crash war nichts für schwache Nerven. Als die Kurse zeitweise so schnell in den Keller rasten wie nie zuvor, da bekam es so mancher Anleger mit der Angst zu tun und verkaufte panisch seine Aktien. Naturgemäß verkauften dabei viele Anleger genau zum falschen Zeitpunkt, nämlich als der Aktienmarkt bereits dabei war, einen Boden zu finden und (im Rückblick) eigentlich ein idealer Zeitpunkt zum Einstieg gekommen war.

Als die Kurse sich dann wieder fast genau so schnell erholten, wie sie zuvor eingebrochen waren, da bekam es so mancher Anleger wieder mit der Angst zu tun, dieses Mal allerdings mit der Angst, etwas zu verpassen ("Fear of missing out", FOMO). Der ängstliche Anleger kaufte wieder, aber erst nachdem die Kurse wieder bereits deutlich gestiegen waren und auch dann nur ganz zögerlich.

Interessanterweise machen nicht nur menschliche Anleger den Fehler, im Crash zu einem ungünstigen Zeitpunk zu verkaufen, sondern mitunter auch Computer. Zwar sind Computer zumindest bisher nicht zu menschlichen Emotionen fähig, doch ihr Reaktionsmuster ist trotzdem oft ähnlich, was natürlich damit zu tun hat, dass die Computeralgorithmen letztlich von Menschen entwickelt werden und damit mitunter auch deren Fehlentscheidungen replizieren.

Für Anleger zumindest kurzfristig ungünstige Entscheidungen hat im Corona-Crash auch das Risikomanagement-System des Robo-Advisors Scalable Capital getroffen. Das Münchner Unternehmen bietet in seiner Vermögensverwaltung den Anlegern die automatische Investition in ein globales ETF-Portfolio an, das in alle wichtigen Anlageklassen wie Aktien, Anleihen und Rohstoffe investiert. Besonderes Merkmal von Scalabe Capital ist dabei ein ausgeklügeltes und dynamisches Risikomanagement-System auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse. Der Kunde legt zu Beginn eine Risikokategorie fest und das System ermittelt auf Basis der jeweiligen Risikokategorie und der aktuellen Volatilität (Schwankungsintensität) der Märkte, in welche Anlageklassen mit welcher Gewichtung investiert wird. Steigt etwa die Volatilität der Aktienmärkte an, wie es oft in Crashphasen der Fall ist, so schichtet das System automatisch in sichere Anlageklassen wie Staatsanleihen um. Sinkt die Volatilität dann wieder, wird wieder verstärkt in risikobehaftete Anlagen wie Aktien-ETFs investiert. Das kann im Idealfall größere Verluste vermeiden helfen, kann aber auch negative Folgen haben.

Im Corona-Crash hat auch das ausgeklügelte Risikomanagement-System von Scalable Capital Entscheidungen getroffen, die für die Anleger alles andere als ideal waren. Wie Prof. Dr. Stefan Mittnik, Professor für Finanzökonometrie an der LMU München und Mitgründer von Scalable Capital in einem Podcast des Unternehmens schildert, mussten die Anleger besonders in den hohen Risikokategorien während des Corona-Crashs empfindliche Verluste aushalten.

Wegen der zuvor äußerst geringen Volatilität an den Aktienmärkten waren die ETF-Portfolios von Scalable Capital zu Beginn des Crashs sehr stark in Aktien investiert. Als dann die Kurse ins Rutschen gerieten und die Volatilität deutlich anzog, verkaufte das Risikomanagement-System von Scalable Capital die Aktien-ETFs nicht sofort, sondern wartete zunächst ab. "Es benötigt eine gewisse Zeit, um überhaupt eine Entscheidung zu treffen, sollte gehandelt werden oder nicht. Und selbst wenn [der Algorithmus] dann sagt, es soll gehandelt werden, dann macht er das nicht mit einer Vorschlaghammer-Methode. Es wird dann nicht gleich in Riesensprüngen umgesetzt, diese Umschichtung, sondern es findet eher schrittweise statt, weil immer die Gefahr einer Überreaktion besteht", erklärt Mittnik im Podcast.

Erst in der Woche ab dem 9. März begann der Algorithmus von Scalable Capital damit, von Aktien in andere, sicherere Anlageklassen umzuschichten. Da war ein Großteil des Kurseinbruchs aber bereits Geschichte. Die Umschichtung nahm außerdem eine längere Zeit in Anspruch, was für die Anleger in diesem Fall ebenfalls nicht ideal war. "Im Corona-Fall hat das das System 19 Handelstage gebraucht, um diese Einstufung vorzunehmen, dass es sich hier um einen längerfristigen Regime-Wechsel handelt, und hat dann eben angefangen, schrittweise umzuschichten. Weil in den ersten beiden Wochen schon sehr viel verloren wurde an den Aktienmärkten, wäre es da natürlich vorteilhafter gewesen, wenn diese Einstufung schneller stattgefunden hätte", gesteht Mittnik ein. "Das hat gerade in diesen hohen Risikoklassen bei uns, die auch eine hohe Aktienquote zulassen, Rendite gekostet und schnelleres Reagieren wäre sinnvoll gewesen", sagt der Finanzprofessor.

Doch das Leiden der Anleger war da noch nicht zu Ende. Denn als die Aktienmärkte sich fast wieder so schnell erholten, wie sie zuvor eingebrochen waren, da profitierten die Anleger von Scalable Capital kaum davon. Der Scalable-Algorithmus hatte die Gewichtung von Aktien-ETFs schließlich gerade erst deutlich reduziert. Da die Volatilität an den Märkten auch nach dem Einbruch sehr hoch blieb, blieben die Scalable-Portfolios sehr defensiv ausgerichtet. Anleger hatten nicht nur Verluste im Crash zu verdauen, sondern profitierten auch kaum von der anschließenden Erholung der Märkte, da der Aktienanteil weiter gering blieb.

"Die Risikolage ist weiter sehr angespannt", betont Mittnik in der Podcast-Folge, die vor rund drei Wochen aufgezeichnet wurde. So liege der VIX, der die implizite Volatilität im S&P 500 misst, immer noch ungefähr doppelt so hoch wie zu normalen Zeiten. "Die Turbulenzen sind weiter sehr hoch und es ist fraglich, ob die aktuelle Erholung nachhaltig ist", sagt Prof. Mittnik. "Statistisch betrachtet ist die Wahrscheinlichkeit für einen Rückschlag weiter sehr hoch. Man muss natürlich klar sagen, dass diese Vorsicht, mit der der Algorithmus agiert hat, natürlich bei einer so schnellen Erholung auch (...) einfach Performance kostet. Also die Vorsicht hat auch ihren Preis. Ob man da jetzt wirklich darauf setzen sollte, dass der Bullenmarkt wieder eingesetzt hat und die Kurse nur nach oben gehen, also das halte ich für eher unwahrscheinlich, und das ist eben auch das, was das Modell einschätzt", sagt Prof. Mittnik.

Die vergleichsweise eher schwache Performance des Scalable-Risikomanagement-Systems im Corona-Crash bedeutet aber natürlich nicht, dass das System für Anleger längerfristig keinen Vorteil bietet, wie auch Prof. Mittnik betont. Ganz im Gegenteil beweise die Tatsache, dass auch institutionelle Anleger ähnliche Systeme häufig einsetzen gerade deren Wert, betont Mittnik. Da jeder Crash anders verläuft und der Corona-Crash in gewisser Weise ein eher untypisches Geschehen war, muss eine vorübergehend auftretende Unterperformance nicht bedeuten, dass das System langfristig keine sinnvollen Entscheidungen trifft – zumal das System von Scalable Capital fortlaufend weiterentwickelt wird und auch die Erkenntnisse aus dem Corona-Crash in das Risikomanagement-System einfließen werden.

Für Privatanleger bleibt die Erkenntnis, dass auch sehr ausgefeilte Risikomanagement-Systeme in Crash-Phasen mitunter keinen Vorteil gegenüber einer einfachen Buy-and-hold-Strategie versprechen. Nicht nur das Bauchgefühl, sondern auch komplexe finanzmathematische Algorithmen können mitunter ein schlechter Ratgeber für Anlageentscheidungen sein.

Link: Podcast von Scalable Capital mit Prof. Dr. Mittnik


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