Kommentar
17:22 Uhr, 13.12.2013

China und der Reformplan: Schöne neue Welt

Das Reich der Mitte steht vor einem neuen Reformschub. Nach vielen Jahren könnten chinesische Aktien für Anleger endlich wieder interessant werden

Die Partei hat im November getagt und einen neuen Reformplan auf den Weg gebracht. Dieser enthält einen 60 Punkte Plan, der es in sich hat. Werden diese 60 Punkte umgesetzt, bleibt kein Stein auf dem anderen. Die Reformen sind einschneidend für die Wirtschaft, die Gesellschaft, aber auch die Partei. Das ist mutig, sollte aber auch reichlich belohnt werden. China kann die Probleme der Vergangenheit hinter sich lassen und hohes Wachstum für das kommende Jahrzehnt sichern. Auch für Anleger sollten sich die Reformen lohnen. Nach jahrelanger Seitwärtsbewegung waren die Reformen der Anstoß für einen Ausbruch nach oben.

Wirtschaftsreformen

Das Problem: Bei einem jährlichen Wachstum von 7,5 bis 10% fragt man sich zunächst einmal, wieso Reformen überhaupt notwendig sind. Kaum ein Land hat so hohe Wachstumsraten über einen so langen Zeitraum vorweisen können. China stößt so langsam aber an die Grenzen des Wachstums auf Basis des derzeitigen Modells. China war bisher die Werkbank der Welt. Durch niedrige Löhne und ausreichend qualifizierte Arbeiter konnte China in vielen Bereichen Exportweltmeister werden. Nun erreicht China aber ein Niveau, bei dem es über kurz oder lang günstiger ist, in anderen Ländern zu produzieren, zumal viele Produkte (Textilien, Spielzeug, einfache technische Geräte) nur über den Preis im Wettbewerb stehen und keine Alleinstellungsmerkmale haben. China muss also einen Weg finden von simplen Produkten auf komplexere umzusteigen, um weiterhin wettbewerbsfähig zu bleiben.

Eine zweite Schwachstelle des derzeitigen Modells ist der Umgang mit natürlichen Ressourcen. Effizienz war kein Thema. Es ging um schnelles Wachstum um jeden Preis. China stieg so nicht nur zum größten Rohstoffverbraucher der Welt auf, sondern auch zum ineffizientesten. Der Verbrauch der Industrie pro Produktionseinheit ist nirgends größer als in China. Das sind unnötige Kosten, die die Wettbewerbsfähigkeit nicht gerade erhöhen und ganz nebenbei auch massive Umweltschäden verursacht haben.

Die dritte große Baustelle der Wirtschaft ist die geringe Produktivität. Chinas größtenteils staatliche Unternehmen haben besonders niedrige ROIs und ROEs (Rendite auf investiertes Kapital bzw. Eigenkapitalrendite). Die Eigenkapitalrendite chinesischer Unternehmen lag bereits 2006 unter jener von US-Unternehmen. Je nach Sektor ist der Unterschied zu Unternehmen aus den USA, aber auch Deutschland, bei 10% Punkten. Grund dafür ist eben der verschwenderische Umgang mit Ressourcen, Personalüberhang, schlechtem Performance Management und überbordender Schulden. Die Margen haben sich so seit 1997 von 30% auf nun 10% reduziert. Da wundert es nicht, dass Aktien in den vergangenen Jahren mehr fielen als stiegen.

Die Lösung: Chinas Führung will diese drei Kernprobleme angehen - und zwar radikal. Die Partei gesteht dem Markt zu, dass er in vielen Fällen besser in der Lage ist, Ressourcen zu allokieren als der Staat. Bisher wurde vom Staat entschieden, wer wie viele Ressourcen erhält. In Zukunft soll die Ressourcenallokation über den ganz normalen Mechanismus von Nachfrage und Angebot stattfinden. Dazu gehört maßgeblich die Abschaffung von Preisfestlegungen. Preise, etwa von Öl, Wasser, Strom, Transportmitteln und Telekommunikation sollen zukünftig Marktpreise sein. Der Staat wird sich mehr auf die Rahmenbedingungen konzentrieren, also Regulation übernehmen, als in den Markt einzugreifen.

Staatliche Unternehmen sollen zumindest teilprivatisiert werden. Dabei dürfen ausländische Investoren höhere Anteile halten als bisher. Die Idee dahinter ist, dass private Unternehmen einfach effizienter sind, weil sie den Anforderungen von Investoren ausgesetzt sind und so weniger Spielraum für Ineffizienz haben. Staatliche Unternehmen sollen zudem zukünftig nicht mehr vom Wettbewerb ausgenommen sein. Der staatliche Schutz fällt weg. Der Wettbewerb soll vor allem durch den Abbau gezielter Diskriminierung gegen private und ausländische Unternehmen gestärkt werden. Unfairer Wettbewerb kann zukünftig zu hohen Geldstrafen führen. Ebenso werden die Unternehmens- von den öffentlichen Finanzen getrennt. Bisher war es staatlichen Unternehmen möglich, aus den Topf öffentlicher Gelder Subventionen zu erhalten, ohne darauf einen tatsächlichen Anspruch zu haben. So lässt sich ein eigentlich defizitäres Unternehmen viel zu lange über Wasser halten.

Zum fairen Wettbewerb gehört auch, dass sich Unternehmen unter einem anderen Währungsregime beweisen können. Gemeint ist die langsame Liberalisierung des Wechselkurses. Von einem starken Wechselkursmanagement soll langsam abgerückt werden. Ziel ist ein komplett freier Wechselkurs. Zu einem freien Wechselkurs gehört auch freierer Kapitalverkehr. Dieser ist momentan noch sehr stark beschränkt. In einigen Jahren sollen viele Einschränkungen im grenzüberschreitenden Kapital- (aber auch Waren und Personenverkehr) wegfallen.

Ganz neu ist der Ansatz im Management. Manager sollen mehr Freiheiten bekommen. Im Gegenzug müssen sie auch Verantwortung für den Erfolg des Unternehmens übernehmen. Es geht hier im Endeffekt um Performance Management. Manager, aber auch Mitarbeiter müssen „liefern.“ Tun sie es nicht, müssen sie eben die Konsequenzen tragen.

Um den Sprung von der Werkbank der Welt zu einer Wirtschaft mit Innovationskraft zu schaffen, die mit Produkten aus Südkorea, Japan und Deutschland konkurrieren kann, werden Eigentumsrechte gestärkt. Dazu gehört vor allem die Achtung geistigen Eigentums, Copyright und die Achtung von Patenten. China ist im Bereich Innovation stark auf ausländische Unternehmen angewiesen. Fühlen sich diese nicht geschützt, ist China im Bereich Forschung und Entwicklung auf sich allein gestellt. Hätte China ewig Zeit, wäre das kein Problem. Das Land muss den Sprung von Produkten, die rein über den Preis gewinnen hin zu Produkten, die auch andere Werte bieten jetzt schaffen.

Die Liste an konkreten Reformen lässt sich noch lange fortführen. Man kann es aber auch kurz und knapp zusammenfassen: Der Markt wird nicht mehr gesteuert, sondern der Markt darf steuern. Der Staat soll lediglich regulieren. Im Detail klingt das alles schlichtweg nach dem Modell sozialer Marktwirtschaft wie es viele Industrieländer bereits praktizieren.

Gesellschaftsreformen

Das Problem: Obwohl China in die ganze Welt exportiert ist die das Land von äußeren Einflüssen recht abgeschottet. Die Akzeptanz anderer Systeme ist begrenzt. Zu starker Einfluss anderer Kulturen wird vermieden. Die Gesellschaft ist stark zentralistisch. Meinungs- und Pressefreiheit sind eingeschränkt. Demokratische Prozesse fehlen größtenteils.

All diese Punkte führen zwar zu einer Gesellschaft, die sich gut managen lässt, gleichzeitig allerdings auch zu begrenzter Innovationskraft und Kreativität. Genau das ist es aber, was China jetzt braucht. Innovation und Unternehmertum entsteht aus größeren Freiräumen, Diskurs und internationaler Vernetzung.

Die Lösung: Die Lösung des Problems ist relativ einfach. Die Partei erlaubt eine Form der Demokratie. Das hat nicht viel mit unserem Verständnis von Demokratie zu tun. Es ist halt die chinesische Interpretation davon. Für China ist das jedoch ein großer Schritt nach vorne. Ein ganz großes Thema ist Chancengleichheit für alle. Eigentlich sollte das ja für ein sozialistisches Land selbstverständlich sein. Praktisch hat das in den vergangenen Jahren immer weniger funktioniert. Es hat sich eine Kaste herausgebildet, die regiert und profitiert. Damit soll Schluss sein. Diskriminierung, welcher Form auch immer, soll zukünftig unterbunden werden. Die Allmacht der Behörden wird begrenzt. Willkür soll verboten werden. Um das zu erreichen, sollen Behörden zukünftig regelmäßig überprüft werden. Es drohen hohe Strafen, wenn gegen Gesetze verstoßen wird. Zudem soll es einen öffentlichen Diskurs geben dürfen. Entscheide der Behörden dürfen diskutiert und angefochten werden. Es wird dazu neue Gerichte geben, die die Beschwerden unabhängig prüfen. Gerichtsverfahren werden generell öffentlicher sein, damit sich Bürger selbst ein Bild von der „Fairness“ machen können. Bei einigen Gesetzesvorhaben sollen die Bürger sogar befragt werden und auf lokaler Ebene mehr Mitspracherechte erhalten. Bürger dürfen sich freier organisieren. Bisher war die Gründung von Organisationen und Vereinen stark eingeschränkt Hier ist eine Liberalisierung geplant.

Kulturell will sich China weiter öffnen. Kultureller Austausch soll explizit gefördert werden. Das Bildungssystem wird die Themen interkultureller Kommunikation aufnehmen. Auch in China selbst soll die Kommunikation offener werden. Die Beschränkungen der Presse- und Meinungsfreiheit werden gelockert. Ausländische Unternehmen dürfen sogar Medienbetriebe teilweise besitzen.

Die Zentralisierung und Machtkonzentration wird langsam gelockert. Behörden werden weniger in das Leben der Menschen eingreifen. Arbeits- und Umerziehungslager werden abgeschafft. Die Familienpolitik wird verändert. Die Ein-Kind-Politik wird zur Zwei-Kind-Politik.

Politische Reformen

Das Problem: Die Partei ist allmächtig. Sie muss keine Rechenschaft ablegen. Korruption und Vetternwirtschaft haben sich in den vergangenen Jahrzehnten prächtig entwickelt.

Die Lösung: Es wird zukünftig unabhängige Kontrollinstanzen geben, die die Aktionen und Entscheidungen der Parteifunktionäre prüfen werden. Es wird Strafen für Korruption geben. Personen tragen zukünftig mehr Verantwortung für ihr Handeln und müssen Rechenschaft ablegen.

Für die Partei gilt, was für den Rest der Wirtschaft und Gesellschaft auch gelten soll: Transparenz, gleiches Recht für alle und Verantwortlichkeit. Die Führung muss besser werden. Dazu ist geplant, dass Führungspersönlichkeiten nicht mehr nach Herkunft bzw. Parteigeschichte bestellt werden, sondern nach ihren tatsächlichen Qualifikationen ausgewählt werden. Behörden werden schlanker, weniger bürokratisch und Prozesse transparent gestaltet.

Parteientscheidungen sollen demokratischer zustande kommen. Der Basis kommt mehr Bedeutung zu. Innerparteilicher Diskurs wird gefördert. Privilegien der Parteiführung werden abgebaut. Es wird mehr Kontrolle und Aufsicht geben. Ebenso soll ein 4-Augen Prinzip eingeführt werden. Ein Funktionär allein darf wesentliche Entscheidungen nicht mehr alleine treffen. Auch das soll Missbrauch begrenzen.

Die Liste an Reformen ist damit noch lange nicht ausgeschöpft. Die hier beschriebenen Punkte geben aber einen guten Eindruck davon, wohin die Reise geht. Liest man sich alle 60 Punkte durch, kommt man nicht umhin, eine gewisse Begeisterung zu entwickeln. Was für uns teils selbstverständlich wirkt, ist für China revolutionär. Das darf man nicht vergessen. Neben vielen solchen Details sind einige Reformen wirklich groß. Der Sozialismus chinesischer Prägung wird in Zukunft de facto die soziale Marktwirtschaft sein. Das ist ein starker Kurswechsel. Ob das dann wirklich so umgesetzt wird und erfolgreich ist, sei dahingestellt. Die vergangenen Jahrzehnte haben aber gezeigt, dass es China mit Reformen ernst meint und in der Umsetzung erfolgreich ist. Das jetzige Reformpaket ist, wie ich finde, anspruchsvoll und mutig. Dagegen war die Agenda 2010 eine Lappalie.

Damit Sie sich auch noch ein besseres Bild machen können, werde ich das 60-Punkte Programm in den kommenden Tagen auf meinem Desktop (http://go.guidants.com/#c/clemens_schmale) veröffentlichen. Ich persönlich bin nach der Lektüre durchaus beeindruckt und sehe in den Reformen viel Potential. Für Anleger werden chinesische Aktien nach Jahren erstmals wieder interessant.

Viel Erfolg

Clemens Schmale

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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