Kommentar
08:57 Uhr, 02.10.2015

China ist enttarnt

China versteht die internationale Aufregung um die Wirtschaft nicht. Anstatt jedoch für Transparenz zu sorgen und der Welt mit ehrlichen Daten den Zustand der Wirtschaft zu offenbaren, propagieren das Planungsbüro und Präsident Xi Jinping immer das gleiche: 7% Wachstum werden dieses Jahr erreicht.

Wer wissen will wie es China geht, der schaut auf Taiwan

Da es einfach keine besseren Daten als die der chinesischen Behörden gibt, muss man ihnen als Anleger bis zu einem gewissen Grad glauben. Jeder weiß zwar, dass das keinen Sinn macht, da die Daten aller Wahrscheinlichkeit von der Realität ein ganzes Stück entfernt sind, doch was soll man tun?

Einige Analysten behelfen sich mit alternativen Methoden der Wachstumsberechnung. Dazu gehören Daten über Stromverbrauch und Transportaufkommen. Diese Methode habe ich versucht nachzuvollziehen und bin zu dem Ergebnis gekommen, dass die chinesische Wirtschaft demnach nicht um 7%, sondern vielmehr zwischen 2 und 4% im zweiten Quartal 2015 gewachsen sein dürfte.

Die Berechnung des Wachstums anhand des Stromverbrauchs und der transportierten Waren ist nicht der Weisheit letzter Schluss, da sich die Wirtschaft stark wandelt. Die Produktion wächst deutlich langsamer, da sich die Wirtschaft mehr auf Konsum und Dienstleistungen fokussieren soll. Stromverbrauch und Transportaufkommen erzählen daher gewiss nicht die ganze Geschichte. Letztlich dürfte diese Berechnungsmethode zu ebenso unzuverlässigen Ergebnis führen wie der Blick auf die offiziellen Statistiken.

Als Anleger und Analyst kann man es sich auch etwas einfacher machen und sich Taiwan etwas genauer ansehen. Taiwan versteht sich als eigenes, souveränes Land. Peking sieht das vollkommen anders und bezeichnet Taiwan als Provinz. Diese Situation führt zu interessanten Ergebnissen. Taiwan ist extrem eng mit der festlandchinesischen Wirtschaft verflochten und ist rein wirtschaftlich gesehen tatsächlich mehr eine Provinz als ein losgelöster Staat.

Politisch ist Taiwan relativ souverän. Es verfügt über eine eigene Währung, einen eigenen Zinssatz und eigene Statistikbehörden. Unterstellt man den taiwanesischen Institutionen eine höhere Transparenz als der festlandchinesischen, dann erhält man sehr genaue Daten über ein Land, welches de facto Teil der Volksrepublik ist. Taiwan ist gewissermaßen ein lokaler Indikator für den Rest Chinas.

Vorstellen kann man sich das wie in den USA, wo in verschiedenen Wirtschaftsregionen (Philadelphia, Chicago, New York) Daten zum Zustand der Gesamtwirtschaft erhoben werden. Der Chicagoer Einkaufsmanagerindex gilt als Gradmesser für den Rest der Wirtschaft, obwohl die Chicagoer Region mehr in den Rest der Welt exportiert als in die übrigen Staaten der USA.
So ähnlich verhält es sich mit Taiwan. Ungefähr 40% des Handels finden mit China statt. Das ist eine so enge Verflechtung wie man sie selten sieht. Wenn in China etwas passiert, dann zeigt sich das auch in den taiwanesischen Daten – und zwar deutlich.

Zuletzt sorgten sich viele über die chinesische Industrieproduktion. Alle Daten deuteten auf eine deutliche Reduktion hin. Die offiziellen Daten bestätigen das bisher kaum. Die Produktion wächst mit äußerst robusten 6%. Ist das realistisch, zumal das Transportaufkommen und der Stromverbrauch stagnieren?

Chinesische Wirtschaftsdaten sind nicht komplett erfunden

Realistisch ist das Wachstum von 6% der Industrieproduktion tatsächlich nicht. Grafik 1 zeigt die Wachstumsraten der Produktion in China und in Taiwan. Beide Zeitreihen laufen stark parallel. Die taiwanesischen Daten haben stärkere Ausschläge als die chinesischen. Das lässt darauf schließen, dass China seine Daten über die Monate und Jahre glättet.

Zu Jahresbeginn bricht die Produktion normalerweise ein. Das liegt an den vielen Feiertagen rund um das Neujahrsfest. Die Produktion steht für gewöhnlich lange Zeit still. Neben diesen Ausschlägen nach unten und oben, die jedes Jahr vorkommen, sind die taiwanesischen Daten wie man sie erwarten würde: volatil und im Trend des Wirtschaftswachstums.

Seit April 2015 schrumpft die Industrieproduktion in Taiwan. Sie bricht geradezu ein. In China hingegen tut sich gar nichts. Die Produktion bleibt auf einem unerschütterlichen Expansionskurs. Trotz der Glättung der Daten für China ist die Stabilität nicht mehr nachvollziehbar. In Taiwan sinkt die Produktion wie zuletzt 2008. Die chinesische folgte damals dem Trend aus Taiwan. Diesmal tut sich nichts dergleichen. Das lässt auf eine sehr optimistische Einschätzung der chinesischen Behörden schließen.

Was für die Industrieproduktion gilt, das gilt auch für das Wirtschaftswachstum. Grafik 2 zeigt den Vergleich der beiden Länder seit 1951. Die Gleichschaltung der Wirtschaft war nicht immer gegeben. Man kann seit Anfang der 90er Jahre große Parallelen erkennen.

Die taiwanesische Wirtschaft steuert auf eine Rezession zu. Im zweiten Quartal 2015 schrumpfte die Wirtschaft fast 2%. Für das Gesamtjahr wird noch ein Plus von 2% erwartet, doch das erscheint unrealistisch. Vielmehr ist ein Nullwachstum oder eine Kontraktion zu erwarten. Auch hier gilt, dass China sein Wachstum über die Jahre glättet, während das in Taiwan nicht der Fall zu sein scheint. Taiwanesische Daten sind deutlich volatiler, insgesamt aber laufen die Zeitreihen parallel. Befindet sich Taiwan im Abschwung oder in der Rezession, dann muss das irgendwoher kommen. Wegen der großen Verflechtung kann das nur auf die festlandchinesische Wirtschaft zurückzuführen sein, die weniger taiwanesische Waren nachfragt.

Liegt Taiwans Wachstum in diesem Jahr bei 0 bis 2%, dann ist für China ein maximales Wachstum von 5% zu erwarten. Im Worst-Case-Szenario könnte das Wachstum auch bei lediglich einem Prozent liegen.


Zukünftiger Verlauf der chinesischen Währung ist vorhersehbar

Es gibt noch viele weitere Parallelen zwischen den beiden Ländern. Ein Blick auf den neuen taiwanesischen Dollar lohnt sich. Grafik 3 zeigt den Wechselkurs gegenüber dem US Dollar im Vergleich zum USD/Yuan Wechselkurs. Der Yuankurs wird letztlich von der chinesischen Zentralbank bestimmt. Der taiwanesische Dollar ist relativ frei, aber natürlich von den Währungsströmen mit Festlandchina bestimmt. Derzeit wertet der Taiwan Dollar ab. Das ist kein neues Phänomen. Die Tendenz besteht seit gut zwei Jahren. In den vergangenen Wochen erhöhte sich der Abwärtsdruck. Das lässt für den Yuan nichts Gutes hoffen.

Es ist unwahrscheinlich, dass der Taiwan Dollar 10 oder 15% abwertet, ohne dass der Yuan folgt. Die chinesische Notenbank muss stark intervenieren, um den Yuan Kurs zu halten. Das wird sich so schnell nicht ändern. Ein Blick auf den Taiwan Dollar zeigt, wann sich die Lage wieder entspannt.
Zu guter Letzt lohnt noch ein Blick auf das Kreditwachstum. Hier sind Daten für Taiwan schwer zu bekommen. Die Story ist jedoch ohnehin die gleiche wie bei der Währung, der Industrieproduktion und BIP-Wachstum: es gibt große Parallelen. Diese deuten eine massive Verlangsamung an. Sofern Taiwan als Indikator funktioniert muss man für China eine Stagnation oder gar Kontraktion des Kreditwachstums befürchten.

Taiwan ist als Indikator für die chinesische Wirtschaft gut geeignet. Perfekt ist natürlich auch dieser Indikator nicht. Es verdichten sich im Vergleich der beiden Länder die Hinweise, dass China in diesem Jahr eher zwischen 1% und 4% wachsen dürfte als genau 7%.

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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