Fundamentale Nachricht
11:55 Uhr, 19.08.2021

China hat einen (Regulierungs-)Plan

Die regulatorischen Eingriffe Chinas belasten die Märkte schon seit geraumer Zeit, aber die jüngsten Maßnahmen waren besonders energisch. Die Experten der DWS gehen davon aus, dass diese Maßnahmen noch einige Zeit andauern werden. Kurzfristig mögen sie laut DWS schaden, langfristig könnten sie die Stabilität erhöhen.

Mit der verschärften Regulierung von Unternehmen, die Bildungsdienstleistungen anbieten, hat die chinesische Regierung am 23. Juli den Anlegern einen weiteren empfindlichen Schlag versetzt. Einzelne Werte aus dem Sektor verloren über zwei Drittel ihrer Marktkapitalisierung . Es war nicht die erste regulatorische Offensive, bisherige Adressaten waren vor allem große Technologie- und Finanzdienstleister, sowie der Immobiliensektor. Firmen, die sich im Ausland (insbesondere USA) notieren ließen, oder welche ihre Marktmacht missbrauchten sind von Peking schon länger kritisch beobachtet. Wie ernst es die Regierung meint, zeigt das am 11. August von der Kommunistischen Partei und der Regierung veröffentlichte Kommuniqué, welches von einem Zeitraum von 2021 bis 2025 spricht. Es besagt, dass die Behörden „aktiv“ an Gesetzen in den Gebieten Nationale Sicherheit, Technologie und Monopole, arbeiten würden. Weiterhin würden die Gesetze in einer Anzahl von Sektoren wie etwa Nahrung, Gesundheit, Technologie, Finanzen und Versicherungen verschärft würden. Betont wurde zudem, dass die Unternehmen ermutigt würden, die angesprochenen Regulierungsthemen von sich aus zu beheben, da ihnen ansonsten empfindliche Strafen drohen würden.

Auch wenn einzelne Unternehmen den Druck bereits vor einem Jahr spürten, überraschte die jüngste Offensive aufgrund ihrer Schnelligkeit und Tragweite, wie die Marktreaktion zeigte. So verlor der MSCI China Technology Index binnen drei Tagen rund zehn Prozent. Der Zeitpunkt scheint jedoch nicht zufällig. Mit Ablauf der Jubiläumsfeiern zum 100-jährigen Bestehen der Kommunistischen Partei Chinas und der Vorstellung des neuen Fünf-Jahresplans hat Pekings Führung eine Rekalibrierung der Wirtschaftspolitik begonnen. Der Fokus auf rein quantitatives Wachstum ist einem Fokus auf wirtschaftlich nachhaltiges, ausgeglichenes Wachstum gewichen. Ähnliches hat man zwar bereits früher gehört, aber es gibt einige Anzeichen, dass die jetzigen Initiativen hohe Priorität genießen, nicht zuletzt als Reaktion auf externen Druck. So sieht sich Peking aufgrund der US-Außenpolitik gezwungen, seine Autonomie, auch und gerade im Hochtechnologiesegment, zu stärken. Doch die politische Neuausrichtung ist deutlich breiter gefasst. Sie steht im Wesentlichen auf vier Säulen:

Soziale Sicherheit: Peking möchte für die privaten Haushalte das soziale Sicherheitsnetz verbessern und Preisstabilität gewähren. Das Kernbestreben ist, Bildung, Unterkunft und Gesundheitsvorsorge bezahlbar zu machen und das Rentensystem auszubauen. Dazu zählen aber auch Maßnahmen zur Reduzierung der sozialen Ungleichheit und das Unterbinden der Ausnutzung von Marktmacht (hier wieder insbesondere der großen Technologiekonzerne). _

Nationale Sicherheit: Hierunter fällt die strengere Handhabung von Börsengängen im Ausland und der beschleunigte Ausbau von Schlüsseltechnologien wie Halbleiter, um die technologische Unabhängigkeit zu gewährleisten. Auch das Ziel, möglichst große der Teile einzelner Wertschöpfungsketten im eigenen Land abzubilden, fällt darunter.

Finanzmärkte: Reduzierung von Regulierungsarbitrage und Vermeidung von Risiken für die Finanzstabilität.

Nachhaltigkeit: Erreichung von CO2-Neutralität bis 2060. Der Verfolgung dieser Ziele wird kurzfristig nicht nur die Marktstabilität geopfert. Selbst im Wettrennen mit den großen amerikanischen Internetunternehmen, denen einzig die chinesische Konkurrenz das Wasser reichen konnte, nimmt China Rückschläge in Kauf.

Regulierung derzeit nicht einziger Gegenwind

Das resolute Vorgehen der chinesischen Regierung mag viele erschreckt haben, insbesondere jene, denen daraus direkte finanzielle Verluste entstanden sind. Es nährt die Ansicht, dass Anlagen in Entwicklungsländern einen Bewertungsabschlag verdienen. Wenn man jedoch einmal von den ultimativen Motiven Pekings für sein Vorgehen abstrahiert, kann man auch den jüngsten regulatorischen Vorstößen Positives abgewinnen: Gewissermaßen genießt China in Sachen Wirtschaftspolitik „die Gnade der späten Geburt“. Es kann studieren, welche wirtschaftspolitischen Fehler andere Länder gemacht haben, um diese zu vermeiden. Während im Westen die marktbeherrschende Stellung (und der geringe Steuerbeitrag) der Technologiegiganten seit Jahren angeprangert, aber nicht wirklich angegangen wird, hat China nun gehandelt. Jedoch erst, nachdem die eigenen Technologiegiganten einen großen Wachstumsbeitrag über die letzten Jahre geliefert haben. Eine der Herausforderungen Pekings wird sein, die Dynamik der Privatwirtschaft nicht völlig zu unterdrücken, aber ihr gleichzeitig Grenzen zu setzen. Eine mögliche Bevorzugung der staatseigenen Großbetriebe (SOEs) würden wir hier jedoch kritisch beurteilen. Wir gehen nicht davon aus, dass die neue Regulierungswelle bereits ihren Höhepunkt erreicht hat. Unseres Erachtens könnten die Initiativen, und damit die Unsicherheit für den Unternehmenssektor, noch bis in das Jahr 2022 anhalten. Ob der Markt mit seiner bisherigen Reaktion übertrieben hat, wird auch davon abhängen, was nun noch folgen wird. Zumal Pekings Regulierungsoffensive nicht der einzige Gegenwind für chinesische Anlagen ist. Dazu gesellen sich unserer Meinung noch:

  • Die unter Joe Biden weiter vorangetriebene Entkopplung der beiden Großmächte, mit der Aussicht, dass Biden mehr internationale Verbündete als sein Vorgänger für dieses Vorhaben gewinnen könnte.
  • Die Gratwanderung auf dem (Immobilien-) Kreditmarkt, wo Peking den Verschuldungsgrad, und damit spekulative Blasen, nicht weiter anheizen will, aber gleichzeitig einen Einbruch der Preise nicht zulassen kann.
  • Die erstmals seit langem gemeldeten dreistelligen Covid-19-Infektionszahlen aus China. Das mag im internationalen Vergleich komplett vernachlässigbar sein, doch mit der Rigorosität, mit der Peking die „Null-Covid-19-Politik“ verfolgt, müsste bei einer weiteren Ausbreitung auch mit wachstumsmindernden Lockdowns zu rechnen sein

Anleger sollten Sektoren und Zeithorizont anpassen

Aus Kapitalmarktsicht hat China neben den oben genannten Herausforderungen dieses Jahr noch mit weiteren Nachteilen, zumal im Vergleich zu anderen Märkten, zu kämpfen:

  • Während vor allem im Westen die staatlichen Unterstützungsmaßnahmen auch dieses Jahr noch großzügig weiterlaufen, hat Peking seiner Wirtschaft die in der Krise gewährte fiskalische oder monetäre Unterstützung schon weitgehend entzogen. _
  • Während China bisher am besten durch die Krise kam, war das Überraschungsmomentum vor allem in Europa und den USA dieses Jahr deutlich höher. So wurden die Konsensschätzungen für das 2021er Bruttoinlandsprodukt- (BIP-) Wachstum der USA seit Jahresanfang von 3,9 auf jetzt 6,5 Prozent erhöht, in China aber nur von 8,2 auf 8,5 Prozent. Für 2022 liegen die Wachstumsschätzungen nur noch um 140 Basispunkte auseinander.

Dazu kommt, dass im Falle Chinas das Markt-Timing, also das kurzfristig richtige Anpassen für den Ein- und Ausstieg umso mehr erschwert wird, wenn Meldungen über neue Regulierungsvorhaben die Aktien ganzer Sektoren über Nacht zweistellig reagieren lassen können.

Für längerfristig orientierte Investoren wiederum gilt unserer Meinung nach: wirtschaftspolitische Maßnahmen, so schmerzvoll sie für einzelne Unternehmen auch sein können, welche das Wachstum auf stabilere Fundamente setzen, sollten langfristig auch dem Aktienmarkt in Summe zuträglich sein.

Aktien: selektiv in China, Rest von Asien bleibt Favorit

Trotz der Markkorrektur der letzten Wochen und des relativ schlechteren Abschneidens chinesischer Aktien gegenüber dem Rest der Welt seit Jahresanfang, würden wir diese Anlageklasse differenziert betrachen. Die Regulierung wird voranschreiten und die Skepsis ausländischer Anleger könnte noch steigen. Folgende Punkte sollten unseres Erachtens in die Überlegungen beim Kauf chinesischer Aktien einfließen:

  • Nach den Kursrückgängen erscheint der Markt überverkauft, was mittelfristig Potential bieten könnte. Positionierungsumfragen legen nahe, dass viele Investoren ihr Übergewicht in Schwellenländer Aktien abgebaut haben und mittlerweile sogar unterinvestiert sind.
  • Aus Anlegersicht besteht die Herausforderung der chinesischen Reforminitiative darin, dass sie nicht nur unterschiedliche Sektoren unterschiedlich stark berührt, sondern dass es auch innerhalb eines Sektors Gewinner und Verlierer geben kann. Das erfordert große Sorgfalt bei der Einzelaktienauswahl. Ansonsten gilt es, sich bei der Auswahl der Aktienindizes das relative regulierungsabhängige Risiko anzuschauen.
  • Vorsicht ist unseres Erachtens bei Sektoren angebracht, die im Fadenkreuz Pekings stehen: große Technologie-, Immobilien-, oder Bildungsunternehmen. Auch für Gesundheitsanbieter könnten die regulatorischen Schrauben noch enger gezogen werden. Überhaupt dürften Unternehmen mit einer Marktmacht, die sich in Preissetzungsmacht umsetzt, im Visier der Regierung bleiben.
  • Was die Teilmärkte angeht, so denken wir, dass die im Ausland notierten Unternehmen (allen voran die in den USA gehandelten ADRs) weiterhin dem größten Risiko ausgesetzt sind. Hier drohen sowohl von chinesischer wie auch von amerikanischer Seite weitere Einschränkungen. Das führt dazu, dass wir auch den MSCI China Index nicht sehr mögen, da er zu über 30 Prozent ADRs enthält, zumal aus dem Internetsektor, welche besonders der Regulierung unterworfen sind. _
  • Wie bevorzugen Shanghais A-Aktien. Sie werden nur in geringem Maße von internationalen Anlegern gehalten, weshalb das Risiko der Anlegerflucht uns hier geringer scheint. Der Index hat zudem ein größeres Gewicht an Nebenwerten aus Sektoren, die besonders von den Reformen profitieren sollten: Erneuerbare Energien, Elektische Autos, Halbleiter, Software, Industrieautomation und weitere.
  • Wir bevorzugen auch den Hang Seng Index (HSI) gegenüber dem MSCI China Index, da wir denken, dass die in ihm besonders prominent vertretenen Sektoren wie etwa Immobilien und Versorger, den Regulierungsrisiken weniger stark ausgesetzt sind. Zudem haben sie zuletzt durch gutes Gewinnwachstum überzeugt.

Regional sehen wir Asien nach wie vor als besonders attraktiv an, auch wenn wir China differenzierter betrachten würden. Zwar mögen hier einzelne Segmente kurzfristig überverkauft sein, doch solange die regulatorische Unsicherheit bleibt, könnten die Aufwärtsbewegungen begrenzt bleiben.

Anleihen: unserer Meinung nach noch zu teuer

Auch am Anleihemarkt gingen Pekings Reformvorstöße nicht spurlos vorbei, zumal er von einigen Schieflagen bei größeren Immobilienunternehmen ohnehin schon etwas angeschlagen war. Schaut man etwa auf den J.P. Morgan Asia Credit Index (JACI), bei dem chinesische Anleihen fast die Hälfte des Wertes ausmachen, so hat er seit Jahresbeginn 0,5 Prozent an Wert verloren. Der J.P. Morgan JACI China Index hat 2 Prozent verloren, allein 1,3 Prozent in der letzten Juli-Woche. Insbesondere das von Immobilienwerten dominierte Hochzins-Segment verzeichnete bereits seit Mai Verluste, nachdem Peking die Regulierung des Immobilienmarktes verschärfte.

Wir denken, dass die Regulierungsvorstöße Pekings auch am Anleihemarkt längerfristige Spuren hinterlassen dürften. Gerade die Geschwindigkeit, mit der ganze Geschäftsmodelle im Handumdrehen ins Wanken gebracht wurden, dürfte Anleger längerfristig nervös machen, was sich in höheren Risikoprämien insbesondere in einigen Sektoren im Hochzinssegment niederschlagen dürfte. Bereits seit Anfang Juni ist die Risikoprämie (vs. US-Staatsanleihen) von 340 Basispunkten auf fast 400 Basispunkte per Ende Juli angestiegen. Seitdem, per 11. August, sind die Risikoprämien etwas wieder gesunken auf 378 Basispunkte, was unserer Meinung zeigt, dass die Anleger sich in ausgesuchten Segmenten des Marktes wieder reinbewegen. Die höheren Risikoaufschläge der Hochzinsanleihen haben auf andere asiatische Märkte ausgestrahlt. Allerdings nicht nur einer Richtung. Vielmehr haben Anleger Mittel aus China rausgezogen und in Anleihen soliderer Unternehmen in der Region investiert. Die unterstreicht unsere Meinung, dass Diversifikation auch innerhalb Asiens gut funktioniert. Unserer Ansicht nach sind chinesische Anleihen immer noch relativ teuer, allerdings scheint das der hohen Nachfrage keinen Abbruch zu tun. Der Risikoaufschlag, insbesondere im Investment-Grade-Segment, dürfte sich unserer Ansicht nach auf dem jetztigen Niveau stabilisieren. Die Spaltung zwischen den von Peking ungeliebten Sektoren und den staatseigenen Konzernen dürfte noch andauern.

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