Kommentar
10:47 Uhr, 14.10.2010

China: Eine unglaubliche Studie

Es wird immer sichtbarer, dass China zunehmend seinen eigenen Kurs einschlägt, auf den der Westen keinen Einfluss mehr nehmen kann, außer mit schädlichen Maßnahmen wie neuen Handelsschranken. China habe die Schwächephase der westlichen Volkswirtschaften in den vergangenen beiden Jahren genutzt, um mit subventionierten Krediten Marktanteile zu sichern, meint der Vorsitzende des Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft, Klaus Mangold, in einem Positionspapier, das am Mittwoch vorgestellt wurde. Dabei spielt Mangold auf die zunehmende Sicherung von Rohstoffvorkommen durch China an. Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) bezeichnete speziell die Sicherung der Vorkommen von seltenen Metallen als „unfreundlichen Akt.“

China kontrolliert mehr als 90% der seltenen Metalle wie Wolfram und Germanium, was Windkraftanlagenbauer, IT-Fertiger und Autokonzerne bedroht, schreibt die „Financial Times Deutschland“ auf ihrer Webseite. Für Rohstoffinvestoren ist schon lange klar, dass China bei den Preisen von Metallen, Agrargütern und Energieressourcen grundsätzlich eine, wenn nicht sogar die maßgebliche Preisdeterminante geworden ist. Kauft China, steigen die Preise – bleiben die Chinesen dem Markt fern, zum Beispiel wenn die eigenen Lager ausreichend gefüllt sind, kommen die Preise der Rohstoffe wieder zurück.

Robert W. Fogel, Nobelpreisträger für Volkswirtschaftslehre und Professor an der Universität von Chicago, wartet hierzu mit einer Studie auf, die den protzigen Titel trägt: „"$123,000,000,000,000: Warum Chinas Volkswirtschaft bis 2040 auf $123 Billionen angewachsen sein wird.“ Seine These: Chinas Wirtschaftsleistung wird bis dahin auf die dreifache Größe des US-BIPs angewachsen sein. Fogel zieht daraus zahlreiche Schlüsse. Das Pro-Kopf-Einkommen Chinas wird dann bei 85,000 Dollar liegen, was mehr als das doppelte dessen ist, was für die Europäische Union für das Jahr 2040 vorhergesagt wird. Bis dahin wird es dem durchschnittlichen Chinesen doppelt so gut gehen wie einem Europäer – und dieser Wohlstand wurde in nur vierzig Jahren erreicht. Im Jahr 2000 war China noch ein relativ armes Land und erhält heute noch Unterstützungszahlungen aus Deutschland, die normalerweise nur Entwicklungsländern zugedacht werden.

Der Anteil des chinesischen Bruttoinlandsprodukts im Jahr 2040 am weltweiten BIP wird auf 40% gestiegen sein, was die USA mit 14% und die europäische Union mit 5% weit abgeschlagen hinter sich lassen wird. Noch vernichtender wird die Prognose, wenn man Fogels Prognosen für die USA und die westlichen Volkswirtschaften zu jenen für China in Relation setzt. In nur einer Generation in der Zukunft wird China zur neuen Weltmacht aufgestiegen sein, schreibt Fogel, während die Generationen in den USA damit beschäftigt sein werden, die Schuldenberge abzutragen, die seit dem Jahr 2000 angehäuft wurden.

Fogel identifiziert sechs Gründe, warum die USA das Rennen gegen China verlieren werden:

  • Die „lange unterdrückte Liebe der Chinesen zum Konsum“ sei entfesselt worden. „In vielerlei Hinsicht ist China heute das kapitalistischste Land der Erde.“ In den großen Städten Chinas liegt das Pro-Kopf-Einkommen auf einem Niveau, das die Weltbank als „gehobenen Mittelstand“ klassifizieren würde, wobei die Affinität, mehr Kleidung, Elektronikgeräte, Fast Food und Autos zu kaufen, klar erkennbar ist. Die neue Regierung hat sich dem Ziel, den Binnenkonsum anzukurbeln, verschrieben und heute regt eine Vielzahl von Maßnahmen die Konsumlust der Chinesen an.
  • Die meisten erfolgreichsten und tief greifenden Wirtschaftsreformen hatten ihren Ursprung auf lokaler oder regionaler Ebene. Entgegen der Wahrnehmung des Westens, dass China ausschließlich zentral regiert wird, ist das eine interessante Erkenntnis. Fogel fügt hinzu, dass die Debatten und Kritik innerhalb der KP in China heftiger seien, als wir das im Westen für möglich halten.
  • China investiere massiv in Ausbildung. Auch in China habe man erkannt, dass „ausgebildete Arbeiter die produktiveren sind.“ Arbeiter mit einem Universitätsabschluss sind dreimal und jene mit einem Oberschulabschluss sind 1,8 Mal produktiver als ein Arbeiter, der nur die neunte Klasse besucht hat. In den kommenden dreißig Jahren, so schätzt Fogel, wird China die Zahl der Einschreibungen auf Oberschulen um 100% und jene auf Universitäten um 50% steigern können. Dies allein wird laut Fogel die jährliche Rate des chinesischen Wirtschaftswachstums um sechs Prozentpunkte steigern können. Amerika, im Gegensatz, verschwende Milliarden von Dollar für Kriege, die Anhäufung von Schulden und die Kürzung von Bildung.
  • Auch die ländlichen Regionen werden in den kommenden dreißig Jahren vom Aufschwung profitieren. 700 Millionen Menschen, die Hälfte der Gesamtbevölkerung Chinas, werde in dieser Zeit eine steigende Produktivität erfahren. Schon heute ist das chinesische Land für ein Drittel der chinesischen Wirtschaftsleistung verantwortlich.
  • Ähnlich optimistisch geht Fogel auch bei dem fünften Grund vor: Die chinesische Regierung unterschätze, nicht überschätze das chinesische Wirtschaftswachstum. Die ausgewiesenen Wirtschaftsdaten seien nicht über-, sondern untertrieben. Sie würden die Fortschritte in Sachen Bildung und Dienstleistungsgewerbe nicht eskomptieren. Dieses Problem gebe es weltweit, so Fogel, doch in der schnell wachsenden chinesischen Wirtschaft seien sie besonders groß.
  • „Für den Westen ist die Tatsache, dass das Zentrum der Wirtschaftsmacht um Asien zentriert ist, unvorstellbar. Aber das wäre nicht das erste Mal. China war die größte Volkswirtschaft der Erde in 18 der vergangenen 20 Jahrhunderte. Während Europa im Mittelalter und religiösen Kriegen verheddert war, kultivierte China die höchsten Lebensstandards der Erde. Heute ist der Aufstieg Chinas – aus chinesischer Sichtweise – alleinig eine Rückkehr zum Status Quo.“

Autor: Jochen Stanzl – Chefredakteur Finanznachrichten BoerseGo.de

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