BRIC-Länder: Wachstum in China und Indien wird auch weiterhin über dem Brasiliens und Russlands bleiben
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Externe Quelle: Deutsche Bank Research
Autor: Markus Jaeger
Das Wirtschaftswachstum der Schwellenländer ist insgesamt weniger anfällig geworden. Im Verlauf der Finanzkrise und Wachstumsflaute in den USA haben sich die Emerging Markets bislang als widerstandsfähig erwiesen; dies ist auf die mittlerweile deutlich geringere Anfälligkeit der Schwellenländer gegenüber der Entwicklung an den globalen Finanzmärkten zurückzuführen (zahlreiche Schwellenländer sind heute Nettokapitalexporteure) sowie auf die stärkere Ausrichtung auf die Binnennachfrage oder die Nachfrage aus anderen Schwellenländern anstatt aus den Industrieländern. (Eine leichte Verlangsamung des Wirtschaftswachstums in den Emerging Markets scheint unausweichlich; es ist jedoch weiterhin mit solidem Wachstum zu rechnen.) Wenn überhaupt, so dürfte in den meisten – wenn nicht allen – BRIC-Ländern das Risiko einer konjunkturellen Überhitzung bestehen. Natürlich hat der starke Anstieg der Binnennachfrage eine zyklische Komponente; aber auch strukturelle Faktoren lassen die mittelfristigen Wachstumsaussichten der BRIC-Länder in einem positiven Licht erscheinen. Diese Faktoren können in einer einfachen Wachstumszerlegung dargestellt werden. Wirtschaftswachstum kann in verschiedene Komponenten aufgespalten werden; diese sind Veränderungen des Arbeits- und des Kapitaleinsatzes sowie der totalen Faktorproduktivität. (In der Faktorproduktivität enthalten sind der technologische Fortschritt bzw. Effizienzgewinne und ist somit ein Residuum, das sich nicht mit der Veränderung des Arbeits- und Kapitaleinsatzes erklären lässt.) Die Wachstumszerlegung bietet ein Model, mit dessen Hilfe man die mittelfristige Wachstumsdynamik analysieren kann. Im Hinblick auf ihre Wachstumsperspektiven unterscheiden sich die BRIC-Länder deutlich voneinander.
Das Arbeitskräfteangebot in Brasilien und Indien wird dank der demographischen Trends und einer geringen Verstädterung weiterhin eine positive Dynamik aufweisen. In Brasilien und Indien wird die Erwerbsbevölkerung bis Mitte des laufenden Jahrhunderts weiter wachsen, während die Erwerbsbevölkerung Chinas nach 2015 schrumpfen wird und in Russland die Gefahr eines totalen Zusammenbruchs besteht. (Laut UN-Schätzungen wird die russische Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter bis zum Jahr 2050 auf 47 Mio. sinken (von 97 Mio. 2005)!). Ein geringer Urbanisierungsgrad von 40% im Falle Chinas könnte dem erwarteten Rückgang der Erwerbsbevölkerung entgegenwirken, da dieser den Transfer von Arbeitskräften aus den ländlichen Gebieten in die produktiveren Städte erlaubt. In Brasilien hingegen sollte man sich von einer weiteren Verstädterung nicht zuviel versprechen, da das Land bereits einen höheren Urbanisierungsgrad aufweist als viele der entwickelten Volkswirtschaften der Welt. Aber dank seines relativ besseren demographischen Profils dürfte Brasilien zwischen 2005-20 von einem Wachstum der Erwerbsbevölkerung von etwa 20% profitieren. Dies dürfte das Wirtschaftswachstum stützen. Die russische Erwerbsbevölkerung schrumpft bereits und aufgrund des ohnehin hohen Urbanisierungsgrads ist von "überschüssigen Landarbeitern" nur geringe Abhilfe zu erwarten. Aus rein demographischer Sicht genießt Indien die besten Aussichten, da hier ein solides Bevölkerungswachstum und ein geringer Urbanisationsgrad zusammenwirken. Während dies hinsichtlich der städtischen Entwicklung und Infrastruktur eigene Herausforderungen birgt, dürfte es die Wachstumsdynamik stärken.
China und Indien werden die Nase vorn haben, was die Kapitalakkumulation angeht. Unter der Annahme, dass sich die Investitionsquoten in den kommenden Jahren nicht dramatisch verändern, befinden sich China und Indien in einer erheblich besseren Position als Brasilien und Russland.
Derzeit betragen die Investitionsquoten für das Inland in China und Indien 40% bzw. 30% des BIP; dem stehen Investitionsquoten von 20% des BIP (oder weniger) in Brasilien und Russland gegenüber. Zukünftige Investitions- oder Sparquoten sind schwer zu prognostizieren; jegliche Veränderungen dürften allerdings relativ geringfügig sein. Dank umfangreicher Ersparnisse aus dem Rohstoffpreisboom dürfte sich die russische Investitionsquote wahrscheinlich erhöhen. Da der Anstieg der inländischen Ersparnisse in Brasilien moderater ausfiel, ist hier auch ein geringerer Anstieg der Investitionsquote zu erwarten (trotz des Wachstumsprogramms PAC). In China werden sowohl die Investitions- als auch die Sparquote auf mittlere Sicht sinken, dürften aber in den kommenden Jahren auf nach wie vor sehr hohem Niveau liegen. Fest steht allerdings, dass die Kapitalakkumulation in China und Indien deutlich rascher fortschreiten wird als in Brasilien und Russland. Unter Einbeziehung der Tatsache, dass Chinas und Indiens Volkswirtschaften stärker wachsen als die Russlands und Brasiliens wird deutlich, dass der Anstieg der Investitionen noch schneller voranschreitet, als die Differenz der Investitionsquoten im Verhältnis zum BIP vermuten lässt. (Im Sinne der Vereinfachung gehen wir davon aus, dass eine höhere Bruttoinvestitionsquote zu einem schnelleren Anstieg des Nettokapitalstocks führt).
Die totale Faktorproduktivität (das so genannte Solow-Residuum) lässt sich nur schwierig prognostizieren. Da die totale Faktorproduktivität (TFP) in Schwellenländern häufig für einen Grossteil des Wirtschaftswachstums verantwortlich ist, stellt dies ein Problem dar. Nimmt man die Ergebnisse der “Doing Business”-Studie der Weltbank als Referenzwert für die Qualität des institutionellen und mikroökonomischen Umfelds sowie für die Effizienz des Einsatzes von Arbeit und Kapital, so zeigt sich, dass in allen BRIC-Ländern großer Spielraum für eine Steigerung der totalen Faktorproduktivität besteht. Als einziges BRIC-Land unter den ersten 100 belegt China Platz 83! Wenn die Regierungen der BRIC-Länder Reformen zur Erhöhung der totalen Faktorproduktivität durchführen, dürften alle vier Länder in der Lage sein, die negativen Auswirkungen der demographischen und/oder Kapitalakkumulations-Entwicklung zu „überkompensieren“. Prognosen der TFP sind zwar schwierig; es sollte jedoch einfacher sein, hohes TFP-Wachstum zu generieren, je weiter eine Volkswirtschaft von der „Technologiegrenze“ entfernt ist. Der wirtschaftliche und technologische Aufholprozess hängt natürlich von der richtigen Kombination wirtschaftspolitischer Maßnahmen ab. Nehmen wir – erneut aus Gründen der Vereinfachung – das Pro-Kopf-Einkommen als Indikator für das Aufholpotential (d.h. das potentielle TFP-Wachstum), so suggeriert das relativ niedrige Pro-Kopf-Einkommen in China (USD 4.700) und Indien (USD 2.500) ein größeres Potential für TFP-Wachstum als in Brasilien (USD 9.000) und Russland (USD 13.000).
Mittels der Wachstumszerlegung werden die Wachstumsbeiträge zwar transparent gemacht, aber nicht erklärt. Eine der grundlegenden Schwierigkeiten, die auch andere Wachstumsmodelle betrifft, ist die Tatsache, dass eine entscheidende Variable, nämlich das TFP-Wachstum, extrem schwer prognostizierbar ist. Ein weiteres Problem stellt die Tatsache dar, dass sogar günstige Trends beim Arbeitskräfteangebot und der Kapitalakkumulation nicht automatisch höheres Wachstum bedeuten (wenn z.B. ein Anstieg der Erwerbsbevölkerung in ländlichen Gebieten mit geringer Produktivität "vergeudet" wird). Allerdings stützen positive Veränderungen des Arbeitskräfteangebots und Kapitals das Wachstumspotential einer Volkswirtschaft. Niedrige Pro-Kopf-Einkommen begünstigen den Aufholprozess; die Realisierung des TFP-Wachstumspotentials hängt jedoch von dem richtigen Mix aus wirtschaftspolitischen Maßnahmen ab. (Daher sprechen Ökonomen gern von “bedingter Konvergenz”). Interessanterweise verzeichnen Brasilien und Russland enttäuschende Wachstumsraten bei der totalen Faktorproduktivität (obgleich hier unlängst ein Anstieg verzeichnet wurde) und liegen damit weit hinter China und Indien. So lange Brasilien und Russland keine Produktivitätsrevolution erleben, wird ihr Wirtschaftswachstum deutlich hinter dem Chinas und Indiens zurückbleiben. Schätzungen für die Faktoren, die das Wachstumspotential einer Volkswirtschaft bestimmen, lassen erwarten, dass China und Indien auch auf mittlere Sicht deutlich stärkeres Wirtschaftswachstum verzeichnen werden als Brasilien und Russland.
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