Brasilien: Boom der Kapitalmärkte und der Volkswirtschaft auf Dauer tragfähig?
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Die brasilianischen Kapitalmärkte boomen. Die Aktienemissionen und das Emissionsvolumen an den Anleihemärkten haben historische Höchststände erreicht. Der Zufluss der ausländischen Direktinvestitionen liegt nur knapp unter dem hohen, privatisierungsbedingten Niveau Ende der neunziger Jahre und zu Beginn dieses Jahrhunderts. Der Real gehört zu den Währungen, die sich in den letzten Jahren am starksten aufgewertet haben. Dies wirft die Frage auf, ob es sich derzeit erneut um einen der zahlreichen Boom/Bust-Zyklen handelt, von denen Brasilien seit den siebziger Jahren immer wieder betroffen war. Die Antwort ist ein entschiedenes „Nein“. Die Aussichten für die brasilianischen Finanzmärkte sind außerordentlich positiv.
Die makroökonomische Stabilisierung nach der Krise von 2002 zeigt schon seit langerem eindeutige Erfolge. Die restriktive Haushalts- und Zinspolitik der Regierung Lula ging mit einer boomenden Weltwirtschaft einher. Die Abwertung der Währung (nach der Krise) und die stark steigenden Rohstoffpreise ermöglichten der brasilianischen Volkswirtschaft einen umfangreichen außenwirtschaftlichen Anpassungsprozess. Brasilien hat seine Schulden gegenüber dem IWF und dem Pariser Club getilgt und konnte seine Devisenreserven stark steigern. Das Schatzamt kauft weiterhin Auslandsschulden zurück. 2006 wurde der öffentliche Sektor zum Nettoauslandsgläubiger, und wenn sich die aktuellen Trends fortsetzen, wird sich Brasilien bis 2009 insgesamt zum Nettoauslandsgläubiger entwickelt haben.
Der Marktkonsens sieht das Wachstum 2007 und 2008 bei 4-5%, womit die Wachstumsrate deutlich über dem durchschnittlichen BIP-Wachstum von 2,5% der letzten zehn Jahre läge. Da die Wachstumsdynamik weiter zunimmt und die Nominalzinsen (an brasilianischen Masstabn gemessen) Rekordtiefstände erreichen, verstärkt sich der politische Konsens in Richtung einer „orthodoxen“ Stabilitätspolitik. Dieser Konsens dürfte in der nahen Zukunft nicht in Zweifel gezogen werden. Das rechte politische Lager nahm in den neunziger Jahren den Kurswechsel zu der aktuellen Politik vor, so dass eine populistische Herausforderung nur vom linken Spektrum ausgehen könnte. Dabei hat jedoch gerade die Linke in hohem Maße von dieser Politik profitiert. Auf ihrer Basis wurde ihr im Jahr 2006 eine Verlängerung der Amtszeit des Präsidenten und eine Ausweitung ihrer Wählerschaft auf den Norden und Nordosten des Landes ermöglicht. Der aktuelle wirtschaftspolitische Kurs wird aller Voraussicht nach über das Jahr 2010 hinaus aufrechterhalten werden.
Die Aussichten auf langfristige wirtschaftliche Stabilität, das höhere Wirtschaftswachstum und fallende Zinsen (geringere Kapitalkosten) haben einen bisher nicht gekannten Boom an den brasilianischen Finanzmärkten ausgelöst. Nur der kurzfristige Boom nach dem Real-Plan von 1994 wies eine ähnlich fulminante, wenn auch weniger ausgeprägte Aufwärtsentwicklung auf. Der damalige Boom beruhte jedoch auf einer sich verschlechternden Budget- und Außenhandelsposition. Diesmal erfolgt der Boom dagegen vor dem Hintergrund einer rückläufigen öffentlichen Verschuldung und einer Verbesserung der Außenwirtschaftsposition. Die Verringerung des Länderrisikos hat zu einem starken Zustrom ausländischer Direktinvestitionen geführt. Durch den Zinsrückgang hat sich auch der Anstieg der Investitionen des privaten Sektors verstärkt. Die Kreditvergabe der Banken an den privaten Sektor nimmt zu. Die Anleiheemissionen des privaten Sektors weisen einen starken Anstieg auf. Sogar der Hypothekenmarkt weist zunehmende Dynamik auf, und brasilianische Second Tier-Unternehmen haben angesichts des deutlich verringerten Länderrisikos begonnen, die internationalen Anleihe- und Kreditmärkten in Anspruch zu nehmen. Der Bovespa-Index hat historische Höchststände erreicht. Die Perspektiven für die Finanzmärkte sind exzellent.
Natürlich ist der gegenwärtige Boom an den Konjunkturzyklus gekoppelt. Die Weltwirtschaft expandiert stärker als in den Jahrzehnten zuvor, die Rohstoffpreise befinden sich auf hohem Niveau, und die international reichlich vorhandene Liquidität hat dazu beigetragen, die Zinsen auf niedrigem Niveau zu halten, was zu einer Belebung der Finanzmarktaktivitäten und einem Anstieg der Vermögenspreise in den meisten Emerging Markets geführt hat. Es spricht jedoch Einiges dafür, dass internationale Faktoren auf mittlere Sicht weiterhin ein positives Umfeld für die brasilianische Vermögenswerte schaffen. Die zunehmende Integration Chinas und Indiens in die Weltwirtschaft werden sich über Finanz- und Handelsströme förderlich auf die brasilianische Wirtschaft auswirken. Der mit dem wirtschaftlichen Aufstieg Chinas einhergehende Rohstoffhunger Chinas wird positiv auf den brasilianischen Rohstoff- und Agrarsektor ausstrahlen. Im Laufe der Zeit könnte der chinesische Export von Industrieprodukten eine Belastung für die brasilianische Industrie darstellen. Innerhalb der nächsten Jahre wird die Integration Chinas in die Weltwirtschaft jedoch sicherlich ein Wachstumstreiber für Brasilien sein.
Außerdem dürfte die brasilianische Wirtschaft vom Anstieg der chinesischen Investitionen profitieren. Chinas Direktinvestitionen in Lateinamerika waren bisher relativ gering. Nur ein kleiner Teil des Betrags von USD 100 Mrd. den Präsident Hu Berichten zufolge bei seinem Besuch in Lateinamerika im Jahr 2004 in Aussicht gestellt hatte, wurde tatsächlich investiert. Im Laufe der Zeit wird China jedoch seine ausländischen Direktinvestitionen steigern, um die zunehmende Rohstoffnachfrage zu erfüllen. Davon dürfte Brasilien als rohstoffreiches Land profitieren.
Da Brasilien weiterhin eine relativ geschlossene Volkswirtschaft ist, muss ein Großteil des Wachstums durch die Nachfrage getrieben werden. Das günstige außenwirtschaftliche Umfeld hat positive Auswirkungen; sobald sich die Aktienkurse und Immobilienpreise jedoch an das geringere Risiko und das niedrigere Zinsniveau angepasst haben, wird ein anhaltender überdurchschnittlicher Anstieg der Preise von Vermögenswerten ein höheres Wirtschaftswachstum erfordern. Es gibt weiterhin große Hindernisse, die einer Belebung des Wirtschaftswachstums auf mittlere Sicht entgegenstehen; hier sind insbesondere die Notwendigkeit der Verbesserung der Infrastruktur und der Regulierungsstrukturen, die Stärkung des Humankapitals und die Sicherung der mittel- und langfristigen Solvenz der öffentlichen Haushalte von großer Bedeutung. Aufgrund des politischen Systems Brasiliens sind rasche Fortschritte der Strukturreformen unwahrscheinlich. Aber selbst wenn nur geringe Reformschritte durchgesetzt werden, bleibt der Ausblick für die brasilianischen Finanzmärkte und Vermögenswerte jedoch weiterhin positiv.
Brasiliens BIP-Wachstum liegt weiterhin deutlich unter seinem Potenzial, und die sozialen und wirtschaftlichen Herausforderungen dürften nur auf mittlere bis längere Sicht zu bewältigen sein. Die Aussichten für den Finanzmarkt und die brasilianische Volkswirtschaft bleiben jedoch aufgrund der höheren wirtschaftlichen Stabilität, des fallenden Zinsniveaus, der stark verbesserten Wachstumsaussichten und der positiven weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen weiter sehr gut.
Quelle: Deutsche Bank
Autor: Markus Jaeger
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