Fundamentale Nachricht
15:24 Uhr, 22.04.2015

Bei Europas Unternehmen unterschätzt der Markt den operativen Hebel

Die Wirtschaftskrise hat die Unternehmen dazu gezwungen, ihre Fixkosten drastisch zu senken. Die Maßnahmen werden ihre volle Wirkung erst jetzt während der Erholungsphase des Wirtschaftszyklus entfalten.

Paris/Frankfurt (GodmodeTrader.de) - Bessere Konjunkturdaten in der Eurozone, die Abwertung des Euro und der Rückgang des Ölpreises haben Europas Aktienmärkten zuletzt deutliche Kursgewinne beschert. Alle diese Faktoren stellten fundamentale Veränderungen dar, die eine gute Entwicklung der Börsenindizes rechtfertigen. Die Value-Spezialisten der französischen Fondsgesellschaft METROPOLE Gestion sehen jedoch noch einen weiteren Faktor, der vom Markt deutlich unterschätzt werde: das Potenzial einer Margen-Erholung bei Europas Unternehmen.

„Im Gegensatz zu den USA, die bereits vor mehreren Monaten auf den Wachstumspfad zurückgekehrt sind, befindet sich Europas Wirtschaft nach wie vor in einem zyklischen Tief“, erklärt Markus Hampel, Partner und Deutschlandchef von METROPOLE Gestion. „Da das Aktivitätsniveau im Durchschnitt 25 Prozent unter dem Höchststand von 2007 liegt, haben die Unternehmen in Europa noch lange nicht ihre Margen-Niveaus von vor der Krise erreicht. Unter diesem Gesichtspunkt ist das Aufholpotenzial enorm.“

Die Heftigkeit und Dauer der Wirtschaftskrise habe die Unternehmen dazu gezwungen, ihre Fixkosten drastisch zu senken. Das habe unter anderem die Kontrolle der Lohnsumme, die Verlegung von Produktionsstandorten und die Überprüfung der Geschäftsportfolios betroffen. Dadurch sei es den Firmen gelungen, den Margen-Verfall während der Krise zu begrenzen. Diese Maßnahmen würden aber ihre volle Wirkung erst jetzt während der Erholungsphase des Wirtschaftszyklus entfalten.

„Der Anstieg der Gewinnmargen in den USA ist in diesem Zusammenhang sehr aufschlussreich. Genau wie die europäischen Konzerne haben auch die amerikanischen Unternehmen wegen des unsicheren Umfelds in den zurückliegenden Jahren ihre Kosten gesenkt und ihre Strukturen angepasst“, betont Hampel. Das habe zur Folge gehabt, dass die Unternehmen jenseits des Atlantiks dank der Erholung der US-Wirtschaft ihre im vorhergehenden Konjunkturhoch erzielten Rekordmargen sogar übertreffen konnten, obwohl die Geschäftsaktivität immer noch deutlich geringer ist als 2007.

Um das Ausmaß der von den europäischen Unternehmen geleisteten Anstrengungen und ihren operativen Hebel besser einschätzen zu können, haben die Analysten von METROPOLE Gestion besonders die Entwicklung der Fixkosten im Vergleich zum Umsatz seit 2003 unter die Lupe genommen. Dies haben sie insbesondere für Branchen mit hohen Fixkosten oder stark zyklischem Geschäft getan, wie sie auch in ihrem pan-europäischen all-cap Fonds METROPOLE Selection allokiert sind. „Bei Unternehmen wie etwa dem Beratungs- und IT-Dienstleister Capgemini hat sich die Fixkostenbasis grundlegend geändert“, erläutert Markus Hampel die Ergebnisse der Untersuchung. „Dank des Aufbaus von Kapazitäten in Indien und der Entwicklung eines stärker industrialisierten Angebots ist das Verhältnis von Fixkosten zu Umsatz in den letzten 10 Jahren um knapp 6 Punkte zurückgegangen. Daher liegt die operative Marge von Capgemini zu Beginn der Konjunkturerholung nun bei 8,3 Prozent gegenüber 2,7 Prozent im Jahr 2003.“ Vor diesem Hintergrund sei ein Margen-Ziel von mehr als 10 Prozent in der Zyklusmitte durchaus realistisch. Die gleichen Trends seien auch bei den Zementherstellern HeidelbergCement und Lafarge zu beobachten, deren Fixkosten in den letzten 10 Jahren im Vergleich zum Umsatz um 8 Punkte zurückgegangen sind.

Die Dauer der derzeitigen Wirtschaftskrise habe die Unternehmen dazu gezwungen, ihren Fokus stärker auf die Schaffung von Mehrwert zu legen und konsequenter denn je ihre Kosten zu reduzieren, so die Pariser Value-Experten. Dies habe ihnen im aktuellen Konjunkturtief geholfen, ihre Margen in den meisten Fällen zu verteidigen und höhere Gewinnspannen zu erzielen als im vorhergehenden Konjunkturtief. Der operative Hebel vieler europäischer Unternehmen sei deshalb besonders hoch und werde selbst bei einer nur mäßigen Erholung voll zum Tragen kommen.

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Über den Experten

Thomas Gansneder
Thomas Gansneder
Redakteur

Thomas Gansneder ist langjähriger Redakteur der BörseGo AG. Der gelernte Bankkaufmann hat sich während seiner Tätigkeit als Anlageberater umfangreiche Kenntnisse über die Finanzmärkte angeeignet. Thomas Gansneder ist seit 1994 an der Börse aktiv und seit 2002 als Finanz-Journalist tätig. In seiner Berichterstattung konzentriert er sich insbesondere auf die europäischen Aktienmärkte. Besonderes Augenmerk legt er seit der Lehman-Pleite im Jahr 2008 auf die Entwicklungen in der Euro-, Finanz- und Schuldenkrise. Thomas Gansneder ist ein Verfechter antizyklischer und langfristiger Anlagestrategien. Er empfiehlt insbesondere Einsteigern, sich strikt an eine festgelegte Anlagestrategie zu halten und nur nach klar definierten Mustern zu investieren. Typische Fehler in der Aktienanlage, die oft mit Entscheidungen aus dem Bauch heraus einhergehen, sollen damit vermieden werden.

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