Kommentar
07:22 Uhr, 29.07.2016

Bankenkrise in Italien - wie ernst ist die Lage?

Italienische Banken stecken in der Krise. Viel wird darüber berichtet, doch was wirklich dahintersteckt bleibt im Dunkeln.

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An Dramatik mangelt es der Berichterstattung über die Situation italienischer Banken nicht

Blickt man hinter die Kulissen, dann ist die Lage weitaus weniger brenzlig als man annehmen würde. Es wird zwar von dem Potenzial gesprochen, dass die Probleme in Italien zu einer ausgewachsenen Finanzkrise mutieren könnten, doch das ist unwahrscheinlich. Vielmehr offenbart die Lage ein ganz anderes Problem.

Zunächst muss man die Sachlage kennen, bevor man von einer neuen Finanzkrise ausgeht. Italienische Banken zeigten bis 2008 ein hohes Kreditwachstum (Grafik 1). Seither stagniert die Gesamtsumme aller ausstehenden Kredite. Das ist ungewöhnlich, denn nach der Finanzkrise kam es in den meisten Ländern zu einem Abbau von Schulden bei Unternehmen und Privathaushalten. In Italien war das nicht der Fall.

Italienische Banken sind für die Wirtschaft ungemein wichtig. 800 Mrd. Euro an Kredit sind an Unternehmen vergeben. Unternehmen sind ihrerseits so stark von Bankkrediten abhängig wie sonst in kaum einem anderen Land. Zum Vergleich: in Deutschland sind ebenfalls knapp 800 Mrd. Kredit an Firmen vergeben. Die deutsche Wirtschaft ist jedoch 1,8 Mal größer als die italienische.

Die Wirtschaft in Italien stagniert seit vielen Jahren

Das Konsumwachstum ist schwach. Immerhin liegt es wieder knapp im positiven Bereich, nachdem der Konsum zwischen 2010 und 2015 fast ununterbrochen fiel.

Unternehmen sind auf einen starken Konsum angewiesen, insbesondere, wenn sie kaum exportieren. Das gilt für viele italienische kleinere und mittlere Unternehmen (KMU). Sie sind von der Konsumflaute besonders betroffen. In der Folge können sie ihre Kredite nicht mehr bedienen.

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Grafik 2 zeigt die Höhe der faulen Kredite, die auf Unternehmen entfallen. Laut Statistik der italienischen Zentralbank waren es zuletzt 142 Mrd. Euro. Das entspricht ca. 18 % der ausstehenden Kredite. Das ist international fast einmalig. Im Normalfall sind es vor allem die Privathaushalte, die ihre Kredite nicht mehr bedienen können.

Die Privathaushalte stehen nun auch nicht gerade schuldenfrei und ohne Problemkredite da. Hier liegt die Quote jedoch bei deutlich geringeren 12 %. Das ist immer noch viel, aber für eine Wirtschaft, die sich gerade erst von einer jahrelangen Rezession erholt, nicht ungewöhnlich.

Faule Kredite und ihr Marktwert

Die Zentralbank veröffentlicht neben der Summe der faulen Kredite auch einen geschätzten Marktwert. Der Marktwert ist das, was nach tatsächlichen Ausfällen ungefähr übrigbleiben dürfte. Dieser Wert liegt derzeit bei 85 Mrd. Euro. Von insgesamt 200 Mrd. als faul geltenden Krediten dürften am Ende 85 Mrd. oder 42,5 % tatsächlich ausfallen. Historisch gesehen ist das eine realistische Größe.
In vielen Medienberichten hört man immer wieder, dass an die 360 Mrd. der Kredite als faul gelten. Das sind Schätzungen. Derzeit als tatsächlich nach der international anerkannten Definition faul gelten 200 Mrd. Euro. Im Ernstfall könnte dieser Betrag auf 360 Mrd. ansteigen.

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Wenn man von einer Non-Performing Loan Ratio (faule Kredite im Verhältnis zu allen Krediten) von 17 % hört, dann beinhaltet dies bereits die Schätzung für mögliche, weitere Ausfälle. Die tatsächliche Quote liegt derzeit bei weniger als 10 % (Grafik 3). Der Unterschied zwischen 360 Mrd. und 200 Mrd. ist gewaltig, sodass das Problem der faulen Kredite sehr viel größer erscheint als es ist.

Italienische Banken mit hohem Kapitalpolster

Die Lage ist trotz dieser Klarstellung noch immer nicht gut. Italienische Banken sind allerdings mit einem guten Kapitalpolster ausgestattet. Grafik 4 zeigt die Entwicklung des Kapitals des gesamten Sektors seit 2005 (frühere Daten sind nicht verfügbar). Innerhalb von 10 Jahren haben Banken ihre Eigenkapitaldecke von 200 Mrd. auf 400 Mrd. gestärkt.

Grund zur Panik gibt es nicht. Selbst wenn 360 Mrd. letzten Endes ausfallen sind italienische Banken immer noch solvent. Realistischer Weise muss man annehmen, dass nicht 100 % ausfallen, sondern maximal 50 %. Das sind dann 180 Mrd. im Ernstfall. Das Kapital wäre damit zu 45 % weg, doch die meisten Banken würden unter diesen Umständen noch immer die Mindestkapitalerfordernisse erfüllen.

Neue Finanzkrise eher unwahrscheinlich

Man kann angesichts dieser Sachlage nur mit sehr viel Fantasie den Beginn einer neuen Finanzkrise sehen. Dennoch sind die faulen Kredite ein Problem. Solange sich diese Kredite in diesem großen Umfang in den Bilanzen befinden, werden Banken die Wirtschaft nicht mit neuem Kredit versorgen. Es herrscht eine Kreditklemme.

Am besten wäre es, wenn Banken die faulen Kredite verkaufen oder auslagern (Bad Bank) könnten. Darum kämpft die Regierung in Italien derzeit. Das ist nach den neuen Bankrettungsregeln so aber nicht vorgesehen. Man wollte den Steuerzahler nach der Finanzkrise in Europa schützen und hat daher neue Regeln verabschiedet. Bevor Banken ihre faulen Kredite einfach abgeben können (meist an den Staat), müssen zuerst Investoren haften.

Bevor Regierungen also ihre Banken retten dürfen, müssen Investoren einspringen. Diese tun dies über Anleihen. Bestimmte, nachrangige Anleihen gelten als Kapitalersatz. Die Anleihen selbst sind kein Eigenkapital, doch sie können im Falle von Kapitalbedarf in Eigenkapital umgewandelt werden.
Italienische Banken haben knapp 80 Mrd. an diesen Anleihen ausgegeben. 50 % davon befindet sich in der Hand von Privatanlegern. Werden die Anleihen in Eigenkapital umgewandelt, dann müssen sich Anleger auf hohe Verluste einstellen. Diese dürften sich im Bereich von 50 % bewegen, denn der Kapitalbedarf der Banken wird auf 30 bis 40 Mrd. geschätzt (genauere Zahlen gibt es nach der Veröffentlichung des EZB Stresstests). Mit diesem zusätzlichen Kapital dürften Banken dann wieder „komfortabel“ Neukredit vergeben können.
Ein Verlust von 20 Mrd. für Privathaushalte (50 % Verlust auf 50 % der 80 Mrd. an Anleihen) wird das Konsumklima und auch das politische Klima kaum aufhellen. Für die Wirtschaft wäre dieser Verlust für Konsumenten verkraftbar, doch politisch kann sich das die Regierung nicht leisten.

Doch Steuergelder für die "Bankenrettung"?

Die Regierung will entgegen der Regeln, die eigentlich den Steuerzahler und Bürger schützen sollen, Steuergelder für die Kapitalaufstockung der Banken verwenden. Italien will also die gerade erst beschlossenen Regeln brechen. Es ist politisch anscheinend besser Steuergelder zu verwenden, als den Bürger direkt zu belasten, wenn er die entsprechenden Anleihen hält.

In beiden Fällen zahlt der Bürger. Im ersten Fall zahlen alle. Im zweiten Fall nur jene, die entweder unwissend oder renditegierig die hochverzinslichen Anleihen gekauft haben.

Zusammenfassend kann man sagen: der italienische Bankensektor hat grundsätzlich ausreichend Kapital

Für einige Banken gilt das nicht. Sie brauchen Kapital. Dieses wäre problemlos zu beschaffen, wenn die neuen Regeln angewendet würden, die den Steuerzahler schützen sollen. Da dies politisch nicht machbar ist, weil einige Privatanleger Geld verlieren würden, will Italien lieber alle gleichermaßen belasten.

Das, was in Italien vorgeht, ist (noch) keine Bankenkrise. Es ist eine politische Krise.

Clemens Schmale

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8 Kommentare

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  • Andreas Hoose
    Andreas Hoose

    Hallo Clemens,

    eine Quellenangabe wäre in der Tat hilfreich. Sieht man sich etwa Grafik 4 an, fallen einige merkwürdige Beobachtungen auf: Angeblich haben italienische Banken selbst im Mega-Crashjahr 2009 Gewinne (!) verbucht, während seit 2011 massive Verluste eingefahren wurden. Gleichzeitig, also während der Sektor rote Zahlen geschrieben hat, wurde angeblich die Kapitaldecke massiv ausgeweitet (schwarze Linie).

    Das wirft etliche Fragen auf: Woher stammt dieses Geld? Aus Steuergeldern? Aus Verlusten? Aus „Zuwendungen“ der Europäischen Zentralbank?

    Meiner Einschätzung nach widerspricht die Beobachtung allen unternehmerischen Gepflogenheiten und spricht sehr für kreative Buchführung oder andere statistische „Kunststückchen“.

    Und blicken wir einmal zurück: Der US-amerikanische Bankensektor galt auch bis Sommer 2007 als „stark und gesund“. Trotzdem haben zwei Dominosteine gereicht, um den gesamten Sektor in die Tiefe zu reißen: Bear Stearns und Lehman Brothers.

    Ich würde vermuten, dass die Probleme heute ganz woanders zu suchen sind als im italienischen Bankensektor: Während die Lage dort hohe Wellen schlägt, positionieren sich Hedgefonds ganz woanders: Sie wetten verstärkt auf den Untergang der Deutschen Bank.

    http://www.mmnews.de/index.php/wirtschaft/79602-us-hedgefonds-wetten-auf-deutsche-bank-untergang

    Dort geht es um einen Derivateberg in Höhe von rund 75 Billionen (!) US-Dollar. Das entspricht in etwa der Weltwirtschaftsleistung eines Jahres. Diese Zahlen sagen alles über den Zustand des Weltbankensystems, denn die Deutsche Bank ist ja nicht alleine mit diesem Problem.

    http://www.goldseiten.de/artikel/284991--Die-Banken-in-der-Derivate-Krise---weltweit.html?seite=1

    Meiner Einschätzung nach führt kein Weg an der Erkenntnis vorbei, dass uns statistische Kunststücken und andere Taschenspielertricks nicht mehr weiter bringen.

    Jetzt ist „Zahltag“ für dieses Geldsystem - und das wird in den kommenden Jahren immer deutlicher werden.

    15:45 Uhr, 29.07.2016
  • Ridicule
    Ridicule

    Na endlich mal ein Bericht, der das Thema Italien-Banken mal etwas realistischer und nicht schlagzeilen-heischend darlegt. Das liest sich bei vielen Vertretern der Schreiberzunft ja ganz anders. Guter Artikel

    12:31 Uhr, 29.07.2016
  • Manfred Riedl
    Manfred Riedl

    Super Beitrag,

    wo bekommt man sonst solche Analysen. Lese Ihre Analysen immer. Sie sind sehr informativ.

    Bitte weiter so.

    Danke

    11:09 Uhr, 29.07.2016
  • wolle271
    wolle271

    Klasse Vorschlag, faule Kredite verkaufen oder auslagern (Bad Bank). Das ist die LÖSUNG ! Ihr habt echt alle den Schuss nicht gehört oder wollt ihn nicht hören. Das KREDITSYSTEM ist am Ende, da hilft auch "auslagern" nichts ! Aber macht weiter so, nehmt neue Kredite, die ihr nicht bezahlen könnt + rollt die Schneemannkugel immer größer ...

    10:22 Uhr, 29.07.2016
  • Peter Zumdeick
    Peter Zumdeick

    ... natürlich müssen und sollen diejenigen in Haftung genommen werden, die die Anleihen halten.

    Geht ja nicht an, dass man die Gewinne / Rendite privatisiert und die Verluste dann sozialisiert ... - damit muss endlich mal Schluss sein ... !!!!

    09:07 Uhr, 29.07.2016
  • Gone Fishing
    Gone Fishing

    Danke für den interessanten Bericht. Die allgemein verfügbare Information ist in der Tat spärlich.

    Zur rein praktischen Seite der Anwendung (oder nicht) europäischer Regeln der Investorenhaftung in Italien (die bei konsequenter Anwendung in ein oder zwei grösseren Fällen mit Sicherheit durch den europaweiten Abzug von Investorengeldern von Banken die Krise insgesamt beschleunigen) gehe man einfach mal davon aus, dass einer dieser Investoren Goldmann-Sachs heisst.

    08:31 Uhr, 29.07.2016
  • Sascha2012
    Sascha2012

    Sehr guter Artikel! Könnten Sie in Zukunft auch die jeweiligen Quellen nennen, aus denen eine Vielzahl Ihrer Zahlen und Fakten stammen?

    07:51 Uhr, 29.07.2016

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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