Kommentar
14:55 Uhr, 10.01.2006

Ausblick 2006 - USA, China, DAX, und Öl

Kein Jahresauftakt ohne Prognose (siehe Editorial). Unsere Meinung zu den wichtigsten Einflussfaktoren auf die Börse.

USA - geht der längste Wirtschaftsboom der Geschichte dem Ende entgegen?

Der Begriff Wirtschaftszyklus scheint in den USA keine Bedeutung mehr zu haben – oder zumindest eine völlig andere als bei uns in Deutschland. Fallen die Amerikaner mal kurzzeitig unter 3% Wachstum, sehen sie das schon fast als rezessiv an. Bei uns sind die für 2006 von einigen Instituten erwarteten 1,8% dagegen eine positive Sensation.
Betrachtet man den Basiseffekt (als ausgehend von einer ohnehin schon sehr großen Ökonomie) ist das Wachstum noch beeindruckender – auch wenn viele Skeptiker die Validität der Daten anzweifeln und den US-Statistikern massive Schönungen vorwerfen.
Deutlich über 3% Wachstum werden in den USA erneut erwartet. Aber so langsam geht die Puste aus. Der Wachstumstreiber Nr.1, der Binnenkonsum, steht von mehreren Seiten unter Beschuss. Der US-Leitzins ist seit 2004 von damals 1,0% auf aktuell 4,25% gestiegen. Der Boom am Immobilienmarkt kühlt sich bereits merklich ab und wird früher oder später zu einem negativen Vermögenseffekt führen, der in seinen Auswirkungen noch schlimmer sein dürfte als der New Economy-Zusammenbruch im Jahr 2000. Die bereits leicht negative Sparquote der Amerikaner lässt keinen weiteren Spielraum nach unten zu. Ein weiteres Wachstum des Konsums ist vermutlich nur noch durch abermals höhere Beschäftigung und/oder höhere Löhne zu bewerkstelligen, was aber wiederum inflationstreibend wäre. Ein weiterer Belastungsfaktor ist das ausufernde Leistungsbilanzdefizit, das 2005 wohl nahe an 800 Mrd. US-Dollar herankam (ca. 6,8% des BIP). Ohne eine massive Abwertung der US-Valuta und/oder eine Verringerung der Importe und damit des Konsums wird sich daran vermutlich auch nichts ändern. Für 2006 wird allgemein mit einem Defizit von 5,5% des BIP gerechnet, was aber momentan eher optimistisch erscheint. Alles in allem stehen die USA vermutlich vor einem weiteren guten Jahr, mit allerdings starken Anzeichen für eine sehr deutliche Abkühlung im Folgejahr.

Wird China die USA als Wachstumsmotor ablösen?

Nach der jüngsten Revision der BIP-Daten ist China jetzt wohl die viertgrößte Wirtschaftsnation der Welt und überholt damit Großbritannien. Dabei muss man aber bedenken, dass die Einwohnerzahl etwa 22mal so hoch liegt ! (1,3 Mrd. vs. 60 Mio.). Diese nackten Daten relativieren das seit Jahren hohe Wachstum im Riesenreich Asiens, das wohl auch 2006 wieder nahe 10% liegen wird. Es ist völlig klar, dass das rasante und konstante Wachstum der Weltwirtschaft in den letzten Jahren (über 4% p.a., für 2006 erwartet ca. 4,3%) ohne den Aufstieg Chinas nicht möglich gewesen wäre. Gleichzeitig hatte China zwei wesentliche Einflüsse auf die weltweite Preisentwicklung. Es trieb die Preise für Rohstoffe nach oben, sorgte aber gleichzeitig durch die überaus günstige Massenproduktion von Gütern für ein Eindämmen der Inflation.
Gemessen an der Bevölkerungszahl und Größe des Landes hat China noch auf Jahrzehnte hinaus Potential für hohes Wachstum – auch wenn es zwischendurch sicher auch mal Einbrüche geben wird. Gleich daneben liegt Indien mit fast ebenso vielen Einwohnern. Hier entsteht mittelfristig ein regionaler Markt, der Europa und die USA irgendwann alt aussehen lässt.

Das Erdöl: Wird der Einfluss überschätzt?

Es gab eine Zeit, in der war der Ölpreis in den Wirtschaftsnachrichten nicht mal eine Randnotiz wert (abgesehen von der Ölkrise in den 70er Jahren). Öl war billig, reichlich verfügbar und kein Thema, das die Börse beeinflussen konnte. Das hat sich gründlich geändert. Und doch muss man zwei Dinge feststellen:
1. Die Verdreifachung des Preises seit 2002 konnte nicht die Börsenhausse bremsen, obwohl in Analysen immer wieder die negative Wirkung des hohen Preises beschworen wurde.
2. Die Preisexplosion hat den Sinn dafür geschärft, dass das Petrozeitalter seinem Ende entgegenläuft und Alternativen geschaffen werden müssen. In einer weitgehend freien Marktwirtschaft gibt es keinen stärkeren Innovationstreiber als den Preis. Und so ist nicht verwunderlich, dass Ideen an allen Fronten entwickelt und wiederentdeckt werden. Denken Sie an Solarkraft, Brennstoffzellen, Biokraftstoffe und sogar die Verflüssigung von Kohle wird wieder interessant (Vorräte reichen noch deutlich über 100 Jahre vs. Ca. 40 Jahre beim Öl). Diese Entwicklung schiebt der weiteren Verteuerung des Erdöls einen natürlichen Riegel vor – weil alle Substitute dank technologischem Fortschritt einerseits immer billiger werden und andererseits beim aktuellen Ölpreis schon die Konkurrenzfähigkeit erreichen. Noch gibt es natürlich ein Mengenproblem – aber man schaue nur, wie Brasilien sich dank seiner Ethanol-Vorreiterrolle schon vom Erdöl emanzipiert hat. Die Tatsache, dass das Zeitalter des Erdöls dem Ende entgegen geht ist niemandem bewusster als den Ölscheichs. Fieberhaft investieren Sie ihre Petrodollars weltweit und sorgen für die Zeit nach dem Versiegen des Erdöls vor. Ein Trend von dem auch Deutschland profitiert.

Deutschland: Besser als wir glauben und noch Potential

Auch wenn Sie hier von mir oft kritische Untertöne hören: Unsere Heimat ist stärker als wir uns alle eingestehen möchten. Drittgrößte Wirtschaftsnation der Welt (nach den USA und Japan) und Exportweltmeister. Ein Arbeitslosigkeitsproblem, das faktisch fast nur Ungelernte oder Geringqualifizierte betrifft, und eine hervorragende Infrastruktur. Unsere Großunternehmen produktiv und profitabel wie nie zuvor, und bei all dem Gejammere über Globalisierung und steigende Ölpreise bitte nicht vergessen: Wir profitieren davon! Petrodollars fließen in den deutschen Anlagenbau, und die immensen Investitionen in China beflügeln die traditionell starken deutschen Industrien auch enorm. Es ist gar nicht auszudenken was für ein sensationelles Wachstum wir haben könnten, wenn die regulatorischen Fesseln z.B. am Arbeitsmarkt gesprengt würden. Fazit: Du bist der DAX!
V.a. im ersten Halbjahr dürften deutsche Standardwerte noch gefragt sein. Im Laufe des Jahres könnten natürlich auch Ängste aufkommen. 2007 wird nämlich ein schwieriges Jahr: Möglicherweise Konsumeinbruch in den USA, Abschwächen der Weltkonjunktur (mit Auswirkungen auf den Export) – und wenn es wirklich dieses Jahr zu Vorzieheffekten durch die 2007 kommende 3%ige Mehrwertsteuererhöhung kommen sollte – dann wird dies natürlich einen praktisch gleich hohen neg. Effekt im Folgejahr haben. 2007 ist also ein ökonomisch gefährliches Jahr, und der Antizipationsmechanismus der Börse sollte dies vorwegnehmen. Sell in May and go away könnte sich daher dieses Jahr als richtig erweisen, die Situation muss aber in einigen Monaten erneut analysiert werden.
Abseits vom DAX tut sich derzeit auch wieder was: Small-und Microcaps werden wieder gespielt – Monatelang lagen sie brach und mussten den DAX-Gewinnen zusehen. Eine Höhergewichtung der tradionell risikoreicheren Small-Caps ist daher wieder anzuraten – mit derselben Restriktion wie beim DAX.

TJ-Fazit: Momentan steht alles auf Grün – das ist schön, aber auch riskant. Denn wo kein Pessimismus am Markt, da kann er völlig unvermittelt drehen. Ökonomisch drohen 2007 erhebliche Risiken, die aber typischerweise an der Börse vorweggenommen werden. Somit könnte das zweite Halbjahr sehr schwierig werden. Hinzu kommen politische Unwägbarkeiten: Eine Eskalation des Iran-Konflikts ist jederzeit möglich und vermutlich nicht aufzuhalten: Die USA werden iranische Atomwaffen niemals zulassen. Die entscheidende Frage ist, ob es einige kosmetische Bombenangriffe gibt oder aber einen sich ausbreitenden Konflikt incl. Israel. Eine solche Auseinandersetzung wäre wesentlich dramatischer als der Irakkrieg. Noch wichtiger: Der Zeitpunkt wäre anders: Der Irakkrieg markierte den Tiefpunkt einer mehrjährigen Abwärtsbewegung, während wir uns aktuell in einer beinahe schon 3-jährigen Hausse befinden. Tradingaffine Anleger sind jetzt im Vorteil, langlaufende Aktienanlagen werden zu rsikant. Seien Sie auf der Hut und jederzeit handelsbereit!

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