Aus dem ETF Magazin: "Das Rendite-Wunschbild"
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Immer mehr ETFs basieren auf Indizes mit zweifelhafter Erfolgshistorie. Für Anleger birgt das mehr Risiken als Chancen, weiß das ETF Magazin.
4. November 2025. MÜNCHEN (ETF Magazin). Für Millionen Anlegerinnen und Anleger sind ETFs heute das bevorzugte Werkzeug, um kostengünstig und diversifiziert in Aktien und Zinspapiere zu investieren. Das Erfolgsgeheimnis der ETF war stets die Einfachheit: ein klar definierter Index, transparente Regeln, niedrige Gebühren. Doch inzwischen ist auch die ETF-Welt nicht mehr so übersichtlich, wie sie einmal war. Hinter dem Begriff „ETF“ verbirgt sich heute ein buntes Spektrum an Strategien – manche schlicht, andere hochkomplex. „Immer mehr ETFs sind heute passiv in dem Sinne, dass sie einen Index nachbilden, aber sie sind aktiv in den Risiken, die sie eingehen, und aktiv in den Erträgen, die sie suchen“, erklärt Daniel Sotiroff, Analyst der US-Fondsratingagentur Morningstar. In der Studie „Mining for Alpha With Index Funds“, die
Sotiroff gemeinsam mit Jonathan Baikov erstellte, werden die Konsequenzen dieser Entwicklung für ETF-Anleger untersucht. Das Untersuchungsergebnis ist kein Traum: Viele neue ETFs bringen nicht die Leistung, die sie versprechen.
Eine Erfolgsgeschichte
Vor 25 Jahren starteten die ersten ETFs in Europa. Seitdem ist das Angebot geradezu explodiert. An Xetra, dem führenden europäischen Handelsplatz für ETFs, werden heute mehr als 2500 ETFs gehandelt. Vor zehn Jahren waren es nicht einmal halb so viele. Weltweit gibt es inzwischen mehr als 14 000 ETFs, berichten die Marktforscher der britischen ETFGI. Allein im ersten Halbjahr 2025 seien rund 1300 neue ETFs an die Börsen der Welt gekommen. Diese unglaubliche Vielfalt wirkt auf den ersten Blick wie ein gewaltiger Fortschritt. Doch sie birgt leider auch einige Fallstricke. „Die Zusammensetzung von Indexfonds hat sich in den vergangenen 25 Jahren dramatisch verändert – und nicht unbedingt zum Besseren“, sagt Sotiroff.
Neue Indexfonds umfassten heute meist deutlich weniger Titel als früher und nutzten zudem verschiedene Gewichtungsmethoden. „Viele ETFs entwickeln sich daher ganz anders als der jeweilige Kategorieindex für ihren Markt“, warnt der Morningstar-Analyst. Früher hielt ein typischer ETF rund fünfhundert Positionen, heute liegt der Median bei weniger als einhundertfünfzig. Zugleich orientiert sich die Gewichtung der Wertpapiere immer seltener an der Marktkapitalisierung. Vor 25 Jahren gewichteten noch 85 Prozent der ETFs die enthaltenen Aktien oder Anleihen nach deren Börsenwert. Ende 2022 setzten nur noch 42 Prozent der ETFs auf die Marktkapitalisierung als Gewichtungskriterium. Stattdessen bestimmen nun vorwiegend alternative Methoden wie Dividenden, Gleichgewichtung oder Faktorstrategien die Zusammensetzung.
Weniger Titel und alternative Gewichtungsregeln bedeuten, dass viele ETFs nicht mehr den breiten Markt abbilden, sondern mehr oder weniger stark davon abweichen. Die Wertentwicklung der ETFs kann sich deshalb erheblich von klassischen Marktindizes unterscheiden. Anders ausgedrückt: Ein beträchtlicher Teil der ETFs verfolgt eher eine aktive Strategie, auch wenn der ETF formal „passiv“ ist. Häufig ist natürlich gerade diese Abweichung vom Markt gewünscht, solange es sich um eine Abweichung nach oben handelt.
Das Problem dabei: Beim Start neuer ETFs können Anleger nur sehr bedingt abschätzen, ob der ETF tatsächlich die erwünschte Überrendite liefern wird. Häufig liegen bei neuen ETFs nämlich keine belastbaren Vergangenheitsdaten vor. Im Median existiert laut Morningstar der zugrunde liegende Index neuer ETFs weniger als vier Monate. Bei jedem sechsten ETF sind es nicht einmal 30 Tage. Weil eine echte Historie fehlt, arbeiten die Anbieter mit Backtests – also hypothetischen Rückrechnungen, die zeigen sollen, wie sich der Index in der Vergangenheit entwickelt hätte. Im Schnitt basierten solche Rückrechnungen auf Daten für zehn Jahre, manchmal auch mehr. Oft waren es aber nur wenige Monate.
Zudem: Backtests klingen meist überzeugend, aber sie entstehen am Reißbrett und spiegeln nicht die Realität wider. Und natürlich ist es kaum verwunderlich, dass viele dieser Indizes in der Rückschau glänzen. Wer würde einen ETF mit einem unbefriedigenden Backtest lancieren? Die Studie verdeutlicht, wie groß die Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis sein kann. Nach der Auflage fiel die Performance häufig weniger gut aus als in der Rückrechnung. „Ein typischer Index übertraf seinen Kategorieindex in den fünf Jahren vor Auflage eines ETF um rund 1,4 Prozentpunkte pro Jahr. Doch dieser Überschuss schrumpfte in den fünf Jahren nach Fondsstart auf nur noch 39 Basispunkte jährlich“, heißt es in der Studie.
Willkommen in der Wirklichkeit
Vor dem Start eines ETFs erzielten etwa drei Viertel der Indizes eine höhere Rendite, oft mehr als ein Prozent pro Jahr. Nach Auflage war nur noch die Hälfte dieser Indizes beziehungsweise ETFs besser als der Markt. Noch deutlicher zeigt sich der Unterschied bei der Verteilung der Ergebnisse: Vor dem Start war die Performance klar positiv verzerrt. Nach der Börsennotierung glich die Verteilung eher einer Normalverteilung. Es gab also genauso viele ETFs, die den Markt schlugen, als solche, die weniger Rendite schafften. Diese Ergebnisse machen deutlich, dass Überrenditen aus der Vergangenheit keine verlässliche Orientierung für die Zukunft bieten.
Noch präziser wird das Bild, wenn man die risikoadjustierte Überrendite betrachtet, also jenen Teil der Performance, der nicht auf das Marktrisiko zurückzuführen ist. Morningstar berechnete diese Überrendite (Alpha) für mehrere Hundert Indizes über jeweils fünf Jahre vor und nach ETF-Start. Ergebnis: Vor Fondsstart lag die risikoadjustierte Überrendite im Median bei rund 2,1 Prozent jährlich. Mehr als 80 Prozent der Indizes wiesen in dieser Phase ein positives Alpha auf – ein scheinbar eindrucksvoller Befund.
Doch nach Fondsstart sank dieser Wert drastisch. Nur noch etwa zwei Drittel der Indizes zeigten dann überhaupt noch ein positives Alpha, und der Medianwert fiel auf lediglich 0,64 Prozent. Die vormals eindeutige positive Schiefe der Verteilung wich einer breiteren, nahezu symmetrischen Verteilung um die Nulllinie.Das sind ernüchternde Zahlen.
Offensichtlich werden viele Indizes auf einen bestimmte Marktzyklen der Vergangenheit optimiert und so konstruiert, dass sie bei dieser vergangenen Marktentwicklung gut aussahen. Sobald sie jedoch unter realen Marktbedingungen bestehen müssen, geht ihre Fähigkeit zur Erzielung von Überrendite weitgehend dahin. Das Alpha des Backtests verdampft, sobald echtes Geld im Spiel ist. Was bleibt ist die Erkenntnis, dass vermeintlich hohe Überrenditen oft statistische Artefakte sind und in der Realität schnell erodieren. Anleger sollten sich nicht von beeindruckenden Zahlen in Marketingunterlagen blenden lassen sollten.
Neue Risiken
Die Studienautoren deuten zudem an, wohin sich der Markt entwickelt. Immer mehr Indizes entstehen, um Nischen zu bedienen: ESG-Varianten, Themen wie künstliche Intelligenz oder erneuerbare Energien sowie Smart-Beta-Konzepte. Anleger erhalten damit unzählige Möglichkeiten, spezifische Trends zu nutzen. Doch je spezialisierter die Produkte, desto höher das Risiko, dass sie schwächer abschneiden als erhofft. Viele ETFs seien zudem so konzipiert, dass sie genau in einer bestimmten Marktphase glänzen, häufig bei einem aktuell beliebten Thema, wie zuletzt Rüstungsaktien oder künstliche Intelligenz. Sobald sich das Umfeld ändert, können solche stark fokussierten ETFs jedoch schnell ihren Vorteil verlieren. Zu beobachten war dieser Effekt beispielsweise bei den Clean-Energy- und den Blockchain-ETFs. Auch dieser Faktor erklärt, warum der anfängliche Vorsprung vieler neuer ETFs verpufft.
Die Lehre aus der Morningstar-Analyse lautet daher: Vielfalt ist gut, aber Vorsicht ist besser. Nicht jeder ETF ist wirklich so passiv, wie er scheint. Je kleiner die Zahl der Titel und je kreativer die Gewichtungsmethode, desto größer das aktive Risiko. Backtests sind mit Skepsis zu betrachten. Sie sind nützlich, um eine Strategie zu verstehen, aber keine Garantie für künftige Ergebnisse. Und Kosten bleiben ein entscheidendes Kriterium. Breit aufgestellte, günstige ETFs haben bislang die meisten Spezialkonstruktionen geschlagen.
Viele ETF-Investoren haben das offensichtlich schon erkannt. Laut Morningstar erklären nämlich weder Alpha noch Backtests noch Tracking Error, in welche ETFs das meiste Geld fließt. Der eigentliche Magnet waren niedrige Kosten. „Die historische Index-Performance ist weder ein verlässlicher Indikator für künftige Ergebnisse noch für den Erfolg bei der Mittelbeschaffung in der Frühphase eines ETF. Stattdessen hatten die Indexfonds, die nach Auflage am meisten Geld einzogen, ein viel stärkeres Merkmal für ihren Erfolg: niedrige Gebühren“, berichten Sotiroff und Baikov.
Von Uli Kühn, Oktober 2025, © ETF Magazin
Der Artikel stammt aus der aktuellen Ausgabe des ETF Magazins, dem Fachjournal für Profis und informierte Anleger*innen.
