Kommentar
09:20 Uhr, 24.05.2016

Auch an der Börse ist die Wahrheit relativ

Kurse werden vor allem von den Erwartungen der Anleger gemacht. Mit der Realität muss das nicht viel zu tun haben.

Börse ist vor allem Psychologie. Der Aktienkurs eines Unternehmens stimmt selten mit dem inneren Wert des Unternehmens überein. Vielmehr spiegeln Kurse die Erwartungen der Marktteilnehmer wider. Ein Unternehmen kann hohe Gewinne erzielen, doch wenn die Perspektive fehlt, dann sinkt der Aktienkurs trotzdem. Apple-Anleger können davon ein Lied singen.

Es geht natürlich auch andersrum. Ein Unternehmen kann hohe Verluste schreiben, doch wenn Anleger erwarten, dass sich der Trend in Zukunft umkehrt, kann ein Kurs schnell sehr hoch steigen. Zu sehen war das zuletzt anhand des Rebounds im Rohstoffsektor.

Was für einzelne Aktien gilt, gilt auch für den Gesamtmarkt - und mehr noch, es gilt auch für die ganze Wirtschaft. Das scheint sich zumindest China derzeit zu denken. Die Zensur greift um sich, so deutlich wie lange nicht. Begonnen hatte dieser Trend bereits vor einem Jahr, als aus dem Höhenflug des Aktienmarktes ein Crash wurde.

Analysten wurden dazu „ermuntert“, positiv über den Markt zu berichten und negative Schlagzeilen zu vermeiden. Warnungen vor einer Fortsetzung des Abwärtstrends waren de facto verboten. In diesem Jahr sind es nicht nur Analysten und Börsenkommentatoren, die eine klare Vorgabe für ihre Berichterstattung erhalten. Inzwischen streckt sich die Verordnung über fast alle Bereiche des Wirtschaftsgeschehens.

In den letzten Wochen rückten Ökonomen in den Vordergrund. Wer sich besorgt über die wirtschaftliche Entwicklung zeigte, wurde abgemahnt. Die Behörden bezeichnen diesen Vorgang positiver. Sie reden davon, dass sie eine positive Berichterstattung fördern wollen, um das Wirtschaftsklima zu verbessern.

Anstatt die wirtschaftliche Lage zu analysieren und kritisch zu hinterfragen, ist nun eine ganz klare Story vorgegeben. Der offiziellen Linie nach geht es der Wirtschaft gut. Sie boomt. Letztlich steht dahinter eine Art Marktpsychologie. Wenn alle Bürger nur positive Nachrichten hören und davon überzeugt sind, dass alles in bester Ordnung ist, dann hellt sich die Stimmung auf. Wer guter Stimmung ist und sich keine Sorgen macht, der versucht weder sein Geld außer Landes zu schaffen, noch lässt er sich vom Konsum abhalten.

Die Logik ist bestechend: Man redet die Lage so lange schön, bis sich diese tatsächlich aufhellt, weil alle daran zu glauben beginnen. Berichte über eine Verlangsamung des Wachstums und Kritik an den Plänen der Regierung sind da nicht zweckdienlich. Verunsicherung soll unter allen Umständen vermieden werden.

So ist es auch nicht weiter verwunderlich, dass das Thema der überbordenden Verschuldung der Unternehmen ein Tabuthema geworden ist. Die Überschuldung soll behoben werden, indem Banken Teile der vergebenen Kredite in Aktien tauschen. Das mag für Unternehmen Sinn machen, nicht jedoch für Banken. Aktien sind weitaus volatiler als Kredite. Wer in Aktien investiert, kann auch einen Totalverlust erleiden. Bei Krediten ist das häufig anders. Fällt ein Schuldner aus, kann der Gläubiger die vorhandenen Sachwerte verwerten und zur Schuldentilgung verwenden.

Der Tausch von Kredit in Aktien ist riskant und begünstigt zunehmendes Risikoverhalten. Hat eine Bank Aktien von Unternehmen wird sie versucht sein, das Unternehmen auch dann noch mit Kredit zu bedienen, wenn es eigentlich schon insolvent ist. Das moralische Risiko ist hoch, denn bevor die Aktien wertlos verfallen, vergibt die Bank lieber noch etwas mehr Kredit.

Die Probleme der Wirtschaftspolitik werden totgeschwiegen. Dadurch verschwinden sie aber nicht. Die Fakten verschwinden auch nicht, wenn man sie einfach unter den Tisch fallen lässt. So geschehen ist das Anfang des Jahres. Bis Ende 2015 veröffentlichte die Notenbank in ihren monatlichen Statistiken den Bestand der Währungsreserven aller Finanzinstitute des Landes. Die Werte sind in der Abbildung dargestellt.

Seit Anfang 2016 wird diese Datenreihe nicht mehr veröffentlicht. Als Außenstehender kennt man nun nur noch die offiziellen Währungsreserven, die von der Notenbank gehalten werden. Die Grafik zeigt, dass beide Zeitreihen größtenteils parallel verlaufen. Es gibt allerdings einige Unterschiede. Die Zeitreihe, die nun nicht mehr veröffentlicht wird, gab Aufschluss über alle Reserven. Eine Veränderung dieser Reserven zeigte gut an wie viel Geld Chinesen in ausländische Währungen tauschten bzw. außer Landes schafften.

Nachdem die Daten nun nicht mehr zur Verfügung stehen ist nur noch bekannt, wie hoch die offiziellen Reserven sind. Sie geben ebenfalls einen gewissen Aufschluss über die Kapitalströme, doch sie beinhalten längst nicht alle Bewegungen. Sie sagen wenig darüber aus wie groß die Nachfrage von Privatpersonen und Unternehmen nach Devisen ist.

Die Datenreihe ist nun also verschwunden. Dass die Kapitalflucht dadurch beseitigt wurde, darf man bezweifeln. Man darf auch bezweifeln, dass die Zensur langfristig einen positiven Effekt hat. Die hinter der Propaganda stehende Logik ist zwar einleuchtend, doch sie birgt auch große Risiken.

Werden Bürger und Anleger davon überzeugt, dass die Wirtschaft in Ordnung ist, obwohl sie es nicht ist, dann werden Risiken eingegangen, die unter vollständiger Information nicht eingegangen wären. Was bedeutet das? Das bedeutet, dass sich z.B. Preisblasen bilden, wo sich unter vollständiger Information keine gebildet hätten. Die Zensur verfälscht das reale Bild und ermuntert nur Fehlallokation von Kapital. Kurzfristig mag das helfen das Wachstum anzuschieben, langfristig erhöht es jedoch die Risiken und kann zu einem viel tieferen Absturz zu einem späteren Zeitpunkt beitragen.

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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