Kommentar
15:19 Uhr, 19.12.2006

Auch 2007 Wertzuwächse südlich des Rio Grande

Lateinamerika-Investoren erwartet 2007 historisch Einmaliges. Nach vier Jahren mit hohen Wertzuwächsen könnten die Börsen südlich des Rio Grande erstmals ein fünftes aufeinander folgendes Jahr mit positiven Erträgen feiern. Der zuvor für den Kontinent typische Wechsel zwischen Boom- und Krisenjahren würde damit der Vergangenheit angehören. Die Basis dieser Entwicklung sind eine neugewonnene makroökonomische Stabilität, verbesserte Fundamentaldaten der Unternehmen und eine insgesamt erhöhte Liquidität. Der Kontinent ist zudem inmitten einer Phase umfassender Neubewertung. Dass 2007 in Lateinamerika ein Jahr mit hohen Renditen sein wird, dafür sprechen vor allem die folgenden vier Gründe:

1. Attraktives Bewertungsniveau

Das Bewertungsniveau ist attraktiv, sowohl im historischen Vergleich als auch gegenüber anderen Märkten. Noch immer werden Aktien aus lateinamerikanischen Staaten gegenüber Titeln aus anderen Schwellenländern mit einem Bewertungsabschlag gehandelt – trotz ihres anhaltenden Gewinnwachstums und sinkender Risiken. Wir rechnen damit, dass diese Abschläge zurückgehen und sich die Bewertungen lateinamerikanischer Aktien den Bewertungen an den großen globalen Märkten angleichen, ähnlich wie bei Titeln aus anderen Schwellenmärkten.

2. Geringere volkswirtschaftliche Risiken

Die regionalen makroökonomischen Fundamentaldaten haben sich deutlich verbessert. Viele lateinamerikanische Länder verfügen heute über eine strikte Haushaltsdisziplin, betreiben eine auf Inflationsbekämpfung ausgerichtete Geldpolitik und reduzieren ihre Schuldenlast, auch in Bezug auf die US-Dollar-Komponente der öffentlichen Verschuldung.

3. Verbesserte Unternehmensführung

Die Standards in der Unternehmensführung haben sich deutlich verbessert. So verfügt beispielsweise der brasilianische Neue Markt “Novo Mercado” über strengste Anforderungen für eine Notierung, die denen der New Yorker und der Londoner Börse gleichen oder sogar darüber hinausgehen. Finanzielle Disziplin und ein fairer Umgang mit Minderheitsaktionären haben bei den meisten Unternehmen hohe Priorität, und gegen die Regeln guter Unternehmensführen verstoßende Firmen werden vom Markt sofort abgestraft.

4. Größeres Anlageuniversum
Markttiefe und Liquidität haben bedeutend zugenommen. Etliche Börsengänge haben während der vergangenen drei Jahre das Anlageuniversum und die Zahl der investierbaren Branchen vergrößert. Weil viele Unternehmen ihren Fremdkapitalanteil reduzierten, erhöhte sich die Aktienkomponente des heutigen Unternehmenswertes. Infolge dessen wird die Wachstumsfinanzierung erleichtert, sobald die Schuldenkonditionen wieder attraktiver werden.

Attraktives Bewertungsniveau

Die Bewertungen an den Märkten Lateinamerikas gehören zu den niedrigsten weltweit. In einem Umfeld sinkender volkswirtschaftlicher Risiken sollte aber die Bewertungsdifferenz zwischen den entwickelten Märkten und den Märkten Lateinamerikas und anderer Schwellenländer zurückgehen. Vor wenig mehr als zehn Jahren wurden Schwellenländer-Aktien noch mit einem Aufschlag gehandelt, weil man ihnen schnelleres Wachstum prophezeite. Erst nach einigen schweren Krisen verwandelte sich dieser Aufschlag in einen Abschlag, der im Laufe der kommenden Quartale jedoch deutlich sinken dürfte.

Geringere volkswirtschaftliche Risiken

Das verbesserte Risikoszenario Lateinamerikas verdankt sich seinen heutigen Leistungsbilanzüberschüssen, reduzierten Schuldenständen der regionalen Staaten und Unternehmen, frei handelbaren Währungen und kaum vorhandenen US-Dollar-Zahlungsverpflichtungen des öffentlichen Sektors. Früher litten die Staaten der Region dagegen unter ihren hohen Leistungsbilanzdefiziten, die von den globalen Kapitalmärkten finanziert werden mussten und so in deren Abhängigkeit führten. Dass die Kapitalmärkte heute nicht mehr zwangsweise, sondern nur noch taktisch beansprucht werden, verringert die Anfälligkeit der gesamten Region gegenüber externen Schocks.

Abgesehen von attraktiven Wachstumsraten zu günstigen Bewertungen bieten die Aktienmärkte des Kontinents auch im Vergleich zu den regionalen Anleihemärkten ein attraktives Wertpotenzial. Vergleicht man die Renditedifferenz lateinamerikanischer Aktien (ausgedruckt durch das inverse Kurs/Gewinn-Verhältnis) und lateinamerikanischer Anleihen (gemessen am Renditevorsprung des Latin American Emerging Markets Bond Index EMBI), so sehen die lateinamerikanischen Aktien im historischen Vergleich besonders attraktiv aus. Wenn man davon ausgeht, dass die Renditevorsprünge des Kontinents bei Anleihen sich angesichts der positiven Risikoentwicklung weiter einengen und die Unternehmensgewinne künftig stabil bleiben oder sogar wachsen werden, dann ist eine weitere Neubewertung lateinamerikanischer Aktien die logische Konsequenz.

Verbesserte Unternehmensführung

Eine gute Unternehmensführung und der Schutz der Rechte von Minderheitsaktionären sind wesentliche Anliegen von Investoren auf der ganzen Welt. Anleger, die nie zuvor in Lateinamerika investiert haben, stellen diese Themen oft an die Spitze der Tagesordnung. Denn viele Unternehmen in der Region verfügen über verschiedene Aktienkategorien mit unterschiedlichen Stimmrechten. Dies lässt vor allem den Schutz kleinerer Anteilseigner fraglich erscheinen. Doch inzwischen hat fast jeder Markt in Lateinamerika ein gewisses Niveau beim Anlegerschutz erreicht, indem Minderheits- und nicht stimmberechtigten Aktionären im Falle der Veräußerung von Anteilen ein Mitverkaufsrecht eingeräumt wird. Allerdings erhalten sie nicht immer denselben Preis wie die stimmberechtigten Aktionäre.

In Brasilien müssen Unternehmen mit stimmberechtigten und stimmrechtslosen Aktien im Falle einer kontrollverändernden Transaktion den nicht stimmberechtigten Aktionären entweder Mitverkaufsrechte in Höhe von 70 Prozent oder eine gegenüber den stimmberechtigten Aktien um zehn Prozent erhöhte Dividende anbieten. Zusätzlich hat die brasilianische Leitbörse São Paulo Stock Exchange (Bovespa) spezielle Regeln für die gute Unternehmensführung aufgestellt, anhand derer Firmen mit einem hohen Anlegerschutzniveau identifiziert werden können. Vorreiter dabei ist der brasilianische “Neue Markt” Novo Mercado. Die meisten Börsengänge der letzten drei Jahre fanden dort statt, abgesehen nur von staatlich konzessionierten Firmen und Unternehmen aus Branchen, in denen eine Kontrolle durch ausländische Aktionäre verboten ist.

Insgesamt sind heute mehr als 40 Unternehmen am Novo Mercado notiert. Wichtigste Bedingung ist, dass Unternehmen nur eine Aktienkategorie haben, die alle Anteilseigner in Bezug auf Stimmrechte, Dividenden und Mitverkaufsrechte auf die gleiche Stufe stellt.

Größeres Anlageuniversum

In den vergangenen drei Jahren erhöhte sich die Markttiefe und Liquidität an den lateinamerikanischen Aktienmärkten deutlich. Die Unternehmen der Region emittierten vor allem in den letzten zwei Jahren Aktien im Rekordtempo, was zusammen mit zahlreichen Börsengängen und dem Wertzuwachs des Marktes von über 300 Prozent die Liquidität deutlich ansteigen ließ. Interessanterweise brachten die lateinamerikanischen Firmen trotz ihrer rekordverdächtigen Aktienemissionen unterm Strich selbst Liquidität in den Markt. Denn eine strikte Finanzdisziplin, die steigende Ertragskraft und höhere Cash-Flows führten zu Dividendenerhöhungen und verstärkten Aktienrückkäufen.

Quelle: BlackRock MLIM

BlackRock Merrill Lynch Investment Managers ist eine der größten börsennotierten Investment-Management-Firmen weltweit. Per Ende Juni 2006 beliefen sich die verwaltete Kundengelder von BlackRock und MLIM insgesamt auf 1,046 Billionen US-Dollar. Das Unternehmen verwaltet Vermögenswerte für institutionelle und private Investoren weltweit mit einer breiten Palette von Anlageprodukten aus den Bereichen Aktien, festverzinsliche Wertpapiere, Geldmarkt- und alternativen Investments.

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Über den Experten

Thomas Gansneder
Thomas Gansneder
Redakteur

Thomas Gansneder ist langjähriger Redakteur der BörseGo AG. Der gelernte Bankkaufmann hat sich während seiner Tätigkeit als Anlageberater umfangreiche Kenntnisse über die Finanzmärkte angeeignet. Thomas Gansneder ist seit 1994 an der Börse aktiv und seit 2002 als Finanz-Journalist tätig. In seiner Berichterstattung konzentriert er sich insbesondere auf die europäischen Aktienmärkte. Besonderes Augenmerk legt er seit der Lehman-Pleite im Jahr 2008 auf die Entwicklungen in der Euro-, Finanz- und Schuldenkrise. Thomas Gansneder ist ein Verfechter antizyklischer und langfristiger Anlagestrategien. Er empfiehlt insbesondere Einsteigern, sich strikt an eine festgelegte Anlagestrategie zu halten und nur nach klar definierten Mustern zu investieren. Typische Fehler in der Aktienanlage, die oft mit Entscheidungen aus dem Bauch heraus einhergehen, sollen damit vermieden werden.

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