Anzeichen für Optimismus
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Volle Entfaltung der Risiken
Die Risiken, die sich in den vergangenen Jahren aufgebaut haben, treten zutage. Geringeres globales Wachstum, höhere Inflation, höhere Zinsen und negative Renditen an den Finanzmärkten. Eine Interpretation von Risiko ist, dass es sich auf die Verzerrungen bezieht, die mit dem Übergang von einem Zustand zum anderen verbunden sind. Unseres Erachtens ist genau das der Fall. Sehr einfach dargestellt bewegt sich die Geldpolitik von dem Covid-Notfallprogramm hin zu einem inflationshemmenden Rahmen. Dieser Übergang ist schmerzhaft, besonders für Anleiheinvestoren. Bislang brachte 2022 die schlechteste Gesamtperformance für globale Anleihen seit den frühen 1970er Jahren mit sich. Schmerzhaft ist es auch für die Aktienmärkte. Die Bewertungen der Covid-Ära, die durch überschüssige Liquidität angekurbelt wurden, sind verschwunden, die höheren Anleiherenditen üben Druck auf die Aktienbewertungen aus und es besteht die Gefahr, dass sich der Gewinnzyklus bald abschwächt. Der MSCI World Aktienindex verzeichnet die drittschlechteste Performance seit den 1970er Jahren – schlechter lief es nur 2008, als das Finanzsystem einfror, und 1974, als das Ölembargo und die Nachwirkungen des Vietnamkriegs zu spüren waren.
Können wir den Höhepunkt erkennen?
Wüssten wir, wie lange die Übergangsphase dauert, könnten wir konstruktiver sein - aber wir wissen es nicht. Jegliche Zuversicht, den Höhepunkt im Inflationszyklus zu erkennen, erlischt durch die April- und Mai-Daten. Jetzt sieht es so aus, als würde der Höhepunkt der Jahresinflationsrate nicht vor dem dritten Quartal erreicht werden. Ohne einen Inflationshöhepunkt können wir nicht mit Sicherheit sagen, dass der Zinszyklus (in Bezug auf die Erwartungen) seinen Gipfel erreicht hat. Wenn wir den Zinshöhepunkt nicht erkennen, können wir auch die wirtschaftlichen Auswirkungen nicht sicher abschätzen. Eine höhere Inflation bedeutet eine restriktivere Politik und ein größeres Rezessionsrisiko. Die Aktienbewertungen haben noch kein Rezessionsniveau erreicht.
Ein Weg zu mehr Optimismus
Es gibt jedoch einen Weg, optimistischer zu sein. So war in den vergangenen Wochen eine gewisse Entspannung am Ölmarkt festzustellen. In den USA gibt es Anzeichen dafür, dass sich die Nachfrage verlangsamt, und es in einigen Teilen der Wirtschaft zum Lageraufbau und zu Preisnachlässen kommt. Der US-Einkaufsmanagerindex (PMI) für das verarbeitende Gewerbe zeigte für Juni einen Wachstumsrückgang. Er fiel von 57,0 auf 52,4 Punkte. Anzeichen für einen nachlassenden Preisdruck und ein langsameres Wachstum sind notwendig, um die Federal Reserve (Fed) dazu zu veranlassen, zu sagen, dass es genug ist. Man darf nicht vergessen, dass die Fed die Inflation mittelfristig auf ihre Zielgröße zurückführen und zugleich eine weiche Landung erreichen will. Das bedeutet, dass sie irgendwann umschwenken wird, sobald sich in den Daten eine deutliche Verlangsamung der Wirtschaft zeigt. Die Fed ist sehr darauf bedacht, einen Zusammenbruch des Immobilienmarktes oder eine Finanzierungskrise im Unternehmenssektor zu vermeiden.
Erneute Euro-Probleme
In Europa mag das anders sein. Die Europäische Zentralbank (EZB) teilt mit der Fed das Ziel, die Inflation wieder auf das Zielniveau zu bringen. Ein schwächerer Euro und die größere Anfälligkeit gegenüber der von Russland ausgelösten Energiekrise machen dies jedoch zu einer größeren Herausforderung. Auch möchte die EZB die „Fragmentierungsrisiken“ eindämmen und eine Wiederholung von 2011/2012 vermeiden. In operativer Hinsicht ist das eine Herausforderung, da sie die Geldpolitik straffen muss, ohne Finanzierungsbedingungen zu schaffen, die das Schuldenprofil von Ländern wie Italien wesentlich verschlechtert. Es ist schwer vorstellbar, dass der Euro vor diesem Hintergrund nennenswert stärker wird. Es ist davon auszugehen, dass die Ankäufe von Vermögenswerten in den kommenden Jahren in irgendeiner Form reaktiviert werden müssen. Im Extremfall, wenn die Käufe an Bedingungen geknüpft sind, könnte es in Teilen des hoch verschuldeten Europas zu einer Rückkehr zur Austerität kommen.
Besser Nachrichten für Anleiheinvestoren
Der kumulierte Rückgang bei globalen Anleihen in den vergangenen Monaten kann als der stärkste jemals bewertet werden. Vor einem Monat waren wir der Ansicht, dass das Schlimmste des Rückgangs bei der Gesamtrendite hinter uns liegt. In dieser Woche sind die Renditen von US-Anleihen gefallen. Während der Erstellung dieses Kommentars liegt die Rendite zehnjähriger US-Staatsanleihen 43 Basispunkte (BP) unter dem jüngsten Höchststand. Der Total Return Index erreichte seinen Tiefpunkt am 14. Juni. Neu emittierte Anleihen kommen mit Kupons auf den Markt, die zwischen 120 und 300 BP über den durchschnittlichen Kupons bestehender Anleihen liegen. Vorausschauend sind dies gute Nachrichten für Anleiheinvestoren.
Bei Anleihen sind die Einnahmen entscheidend
Selbst in Zeiten fallender Zinsen dominieren bei festverzinslichen Anlagen die Einnahmen die Gesamtrendite. Offenbar versuchen aktive Fondsmanager die Volatilität bei den Kursen zu nutzen, um bessere Renditen als die Vergleichsindizes zu erzielen. Langfristig aber sind die Einnahmen entscheidend. Betrachtet man repräsentative Indizes für globale, US-amerikanische, europäische und britische Unternehmensanleihen, so machte die Ertragskomponente an der Gesamtrendite von Anleihen seit dem Jahr 2000 zwischen 95 und 100 Prozent aus. Angesichts höherer Renditen sollten Anleiheinvestoren in den kommenden Monaten und Jahren auf gesündere Gesamtrenditen hoffen. Kurzfristig ist die Rendite nicht gleichbedeutend mit dem Ertrag, langfristig aber schon - so dass die Aussichten bei Renditen von fünf Prozent für US-Unternehmensanleihen und vier Prozent für ihre britischen Pendants viel besser sind. Höhere Renditen verbessern auch die Absicherungsfähigkeit von Anleihen in Multi-Asset-Portfolios, da die Duration mehr Spielraum für eine gute Entwicklung bietet beziehungsweise die Renditen fallen können, wenn Risikoanlagen unter Druck geraten.
Schlechtere Daten in der Pipeline
Kurzfristig ist der Weg zu mehr Optimismus noch holprig. Die offiziellen Wirtschaftsdaten sind derzeit weit davon entfernt, eine Rezession anzuzeigen, auch wenn wir die Auswirkungen höherer Energie- und Lebensmittelpreise, steigender Kosten für den Schuldendienst und negativer Vermögenseffekte erkennen können. Die Daten werden wahrscheinlich noch schlechter, bevor sie besser werden. Die Finanzmarktteilnehmer sind ungeduldig, wenn es darum geht, die Auswirkungen von Veränderungen der Finanzvariablen auf die Realwirtschaft abzuwarten. Diese Verhaltensweise bedeutet, dass viele den Wendepunkt an den Märkten verpassen werden, weil sich die Echtzeit-Wirtschaftsdaten noch verschlechtern. Kommen schlechtere Daten, dann könnte sich das immer noch auf die Credit-Spreads und die Aktienbewertungen auswirken.
Aktien passen sich noch an…
Der Weg zu Erholung ist bei Aktien länger. Ein Höchststand bei den Anleiherenditen ist entscheidend, da dies den Druck auf die Aktienbewertungen verringern wird. Die erwarteten Gewinnrenditen sind in den meisten Märkten noch höher als die Anleiherenditen, aber in den USA hat sich dieser Abstand verringert, und ein weiterer Rückgang des Kurs-Gewinn-Verhältnisses könnte notwendig sein, damit Aktien günstig sind. Die Gewinnerwartungen sind ebenfalls recht hoch, da der Konsens immer noch ein Wachstum von zehn Prozent für das kommende Jahr voraussagt. Sollte es zu einer Rezession kommen, wird es schwer sein, die Erträge um zehn Prozent zu steigern.
…aber sie werden günstiger
Eine Abfolge von Ereignissen, die mit einer gewissen Wende bei den Wachstums- und Inflationsdaten beginnt, die dann zum Höhepunkt der geldpolitischen Straffung und zu vorausschauenden Anzeichen einer gewissen Lockerung führt, wird den Aktienmärkten zumindest ein gewisses Maß an Beruhigung bringen. Dann geht es nur noch um Wachstum und Erträge und darum, wie tief der Abschwung ist. Bekommt Jerome Powell eine weiche Landung hin, werden sich die Aktienrenditen erholen. Wenn die Inflation über die Jahre 2023 bis 2024 zurückgeht, werden Growth-Titel den Weg weisen. Schließlich sprechen die angespannte Lage auf dem Arbeitsmarkt, aggressivere Gewerkschaften, höhere Löhne und Lieferkettenprobleme noch mehr für Technologie und Automatisierung.
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