Fundamentale Nachricht
09:18 Uhr, 02.11.2022

Anleihen näher an der fairen Bewertung als Growth-Titel

Laut Chris Iggo, CIO Core Investments, AXA Investment Managers, gehen die Märkte erneut davon aus, dass wir uns dem Ende des US-Zinsanhebungszyklus nähern.

Bewertungsanpassungen überall

Überall an den Finanzmärkten kam es zu Neubewertungen. Die Gesamtrendite verschiedener Anlageklassen im laufenden Jahr der annualisierten täglichen Volatilität gegenüberzustellen, ist dabei eine interessante Art, die Performance zu betrachten. Die Marktsegmente mit der schlechtesten Performance seit Jahresbeginn sind diejenigen, die die höchste tägliche Volatilität aufweisen, was wenig überraschend ist. Für NASDAQ, Small-Cap-Aktien, chinesische Vermögenswerte und Anleihen mit langer Duration war es eine wilde und vermögensvernichtende Reise.

Anpassung nur teilweise abgeschlossen

Während der „abnormalen“ Phase quantitativer Lockerungen (Quantitative Easing, QE) kam es bei Finanzanlagen im Vergleich zu ihren historischen Niveaus zu einer Überbewertung. Growth-Aktien, gemessen am NASDAQ-Index, und Anleihen mit langer Laufzeit waren extreme Beispiele. Noch vor einem Jahr lag die Rendite 30-jähriger deutscher Bundesanleihen bei knapp über null Prozent, 30-jährige US-Treasuries rentierten mit zwei Prozent und 30-jährige britische Gilts mit ein Prozent. Heute liegen die entsprechenden Renditen bei 2,1, 4,2 und 3,7 Prozent. Vor einem Jahr hatte der NASDAQ ein Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) bezogen auf die erwarteten Gewinne von 35. Heute liegt es bei 22. Wenn man bedenkt, wo wir uns im Zyklus befinden, sind die Anleiherenditen näher dran, ein normales Niveau zu erreichen als die Growth-Titel.

Höhere Renditen, niedrigere Bewertungsmultiples

Die Vermögenswerte, die an der Schwelle zum geldpolitischen Straffungszyklus am teuersten waren, haben am schlechtesten abgeschnitten und die stärkste Bewertungskorrektur nach unten erfahren. Bei Anleihen mit langer Laufzeit könnte das Schlimmste vorbei sein, da sich die Zentralbanken in den kommenden Quartalen dem Ende des Straffungszyklus nähern und sich die Inflation umkehrt. Die Renditen langlaufender Anleihen sind schnell wieder in Bereiche zurückgekehrt, die in der Dekade vor dem QE-Programm herrschten.

Für Aktien bleibt es eine größere Herausforderung. Das Aktien-KGV ist zwar viel näher an den Niveaus vor QE. Jedoch zeigt uns die Berichtssaison, dass es bei den Fundamentaldaten noch Anpassungen geben muss. Die schwachen Berichte aus dem Technologie- und Kommunikationssektor in den USA in dieser Woche verheißen nichts Gutes für einen neuen Bullenmarkt bei Wachstumsaktien. Die gemeldeten Gewinne bekannter Unternehmen in den USA deuten auf eine Verlangsamung der Verbraucher- und Unternehmensausgaben hin. Dies hat der Markt erwartet, und endlich scheinen sich diese Erwartungen in den Gewinnen niederzuschlagen.

Banken, Versorger und Energie als defensive Option

Vorerst bleiben Anleihen mit kurzer Laufzeit attraktiv, da weitere Zinserhöhungen zu erwarten sind, auch wenn der Markt seine Erwartungen für den finalen Zinssatz nicht mehr weiter nach oben treibt. Kurzlaufende, variabel verzinste Anlagen und defensive Aktienindizes wie der FTSE 100 und der Nikkei wiesen in diesem Jahr die geringsten Rückgänge auf Total-Return-Basis und die niedrigste tägliche Volatilität auf. Dies könnte auch weiter der Fall sein, da die Aktienmärkte mit höherem Beta nach wie vor empfindlich auf die Ertragslage reagieren. Banken, Versorger und Energietitel könnten weiter die besten defensiven Optionen sein, da sie kurzfristig eine größere Sicherheit in Bezug auf den Cashflow bieten.

Weitere Spread-Ausweitungen

Cash bietet heute höhere Zinsen und kurzfristige Anleihen bieten sogar noch mehr als Cash, bei geringem zusätzlichem Risiko. Signifikante positive Renditen bei Anleihen mit längerer Laufzeit sind unwahrscheinlich, solange die Inflation nicht spürbar zurückgeht und die Zentralbanken nicht eindeutig den Höhepunkt des Zinszyklus erreicht haben. Bei Unternehmensanleihen verlangt der Gedanke, dass die Notenbanken einen politischen Fehler begehen könnten, indem sie die Geldpolitik zu stark straffen, eine hohe Risikoprämie. Die Spreads sind hoch und die Gesamtrendite von Credits ist attraktiv, aber in früheren Zyklen (2008 bis 2009, 2011 bis 2012, 2015 und 2020) waren die Spreads noch höher. Umgekehrt sind die Kreditkosten für Unternehmen hoch, was die Cashflows der Firmen, die Kredite aufnehmen müssen, unter Druck setzt. Im Credit-Bereich ist Selektion entscheidend.

Insgesamt bleibt das Gewinnwachstum positiv

Bislang sieht es so aus, als würde der Gesamtgewinn des S&P 500 für die gewichteten aggregierten Gewinne im dritten Quartal bei etwa 55 US-Dollar pro Aktie liegen. Dies ist ein Rückgang gegenüber den 57 US-Dollar pro Aktie im zweiten Quartal, liegt aber immer noch über den 52 US-Dollar pro Aktie vor einem Jahr. Dennoch hat der Markt bisher alle Nachrichten gut aufgenommen. Bis zum 26. Oktober stieg der S&P 500 in diesem Monat um 6,2 Prozent und der NASDAQ um 2,1 Prozent. Die Stabilisierung der Zinsen und des US-Dollars sind ein Ausgleich für die allgemein schwachen Gewinnmeldungen.

Chance auf eine moderate Wachstumsverlangsamung in den USA

Nach wie vor sind die Inflationsdaten für die Markteinschätzung ausschlaggebend – eine niedrigere Inflation und eine weniger restriktive Fed würden auf einen begrenzteren Abschwung der US-Wirtschaft in 2023 hindeuten. Nicht ganz eine weiche Landung, aber ein Wachstum, das besser aussieht als das in Europa. Im US-Inflationsbericht für September stiegen die Wohnkosten im Vergleich zum Vorjahr um 6,6 Prozent. Dies trug mit am meisten zur unerwartet hohen Kerninflation bei. Die Hauspreise beginnen jedoch zu sinken, ebenso wie die Zahl der Hypothekenanträge. Dies wird sich letztlich in der Verbraucherpreisinflation niederschlagen. Wenn die Inflation bereits zurückgeht und der Arbeitsmarkt relativ stark bleibt, werden die USA vielleicht nur eine moderate Wachstumsverlangsamung erleiden. Die Sitzung des Federal Open Market Committee (FOMC) der Fed in dieser Woche ist entscheidend. Jerome Powell begann den Zinserhöhungszyklus in dem Glauben, dass eine weiche Landung möglich sei. Wenn er wieder zu dieser Ansicht zurückkehren sollte – und das ist natürlich ein großes ‚Wenn‘ –, würden die Märkte bis Jahresende weiter steigen.

Erleichterung für britische Gilts

In Großbritannien schließlich haben wir nach dem kurzen, aber desaströsen Experiment mit der Trickle-Down-Economy etwas Stabilität. Gilts und das britische Pfund haben einen Großteil ihrer darauffolgenden Verluste wieder wettgemacht. Gegenüber dem Höchststand der Zinserwartungen der Bank of England (BoE) haben die Märkte eine Straffung der Geldpolitik um 146 Basispunkte (BP) herausgenommen. Die Märkte erwarten für kommende Woche immer noch eine Anhebung um 75 BP, aber bei der BoE weiß man nie. Die Diskussionen zwischen dem neuen Finanzminister und der Notenbank über die zu erwartenden fiskalpolitischen Maßnahmen und die eindeutigen Anzeichen für eine Wachstumsabschwächung könnte die BoE dazu bewegen, dem Beispiel der Bank of Canada zu folgen und das Tempo der Zinserhöhungen zu drosseln. Die neue Regierung ähnelt ein wenig den letzten beiden Regierungen, aber die wirtschaftspolitischen Weichenstellungen scheinen eine solidere Grundlage zu haben. Der Rückgang der Renditen bei 30-jährigen Gilts um 150 BP seit dem Höchststand Mitte September zeigt, dass dies auch die Meinung des Marktes ist.

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