Kommentar
12:54 Uhr, 13.05.2008

Aktienmärkte bewegen sich innerhalb der Trading-Range

Nach vier Jahren explosionsartigen Wachstums zeichnen sich bei den Unternehmensgewinnen jetzt gewisse Ermüdungserscheinungen ab. Dieser Prozess scheint indes nur sehr, sehr langsam vor sich zu gehen. Die Gewinnerosion verläuft sogar so langsam, dass Investoren des Wartens müde wurden und im April und Anfang Mai aggressiv Aktien zurückkauften.

In gewisser Weise ist dieses Verhalten verständlich. Schließlich scheint die Kreditkrise jetzt aus dem Gröbsten heraus zu sein und damit zeichnet sich bereits etwas Erleichterung im Finanzsektor ab, dem Sektor mit den heftigsten Abwärtskorrekturen. Sogar noch wichtiger ist, dass – von Finanzwerten und nichtzyklischen Konsumgütern abgesehen – die wesentlichen Sektoren der US-amerikanischen Wirtschaft im ersten Quartal ein, wenn auch rückläufiges, Gewinnwachstum verbuchten. Infolge der Wertberichtigungen bei Finanzdienstleistungsunternehmen sanken die Gewinne in den USA um rund 15 Prozent.

Die jüngste Rally an den Aktienmärkten beruhte einerseits auf der sehr niedrigen Erwartungshaltung und andererseits auf den besser als erwartet ausgefallenen veröffentlichten Gewinnen. Auch der schwache US-Dollar und die anhaltend starke Nachfrage von den Schwellenländermärkten stützten diese Entwicklung, indem sie die Erträge der amerikanischen Exportwirtschaft ankurbelten.

Eine Korrektur an den Aktienmärkten wird aller Wahrscheinlichkeit nach anders verlaufen als die letzte. 2001/2002 mussten Investoren nach dem Platzen der Technologieblase den Zusammenbruch der Unternehmensgewinne verkraften. Die Gewinne sanken und stiegen – zumindest im produzierenden Gewerbe – in nahezu V-förmigem Verlauf. Beflügelt von den steigenden Häuserpreisen, hielt der Verbrauch indessen während der gesamten Krise ungebrochen an und trug somit entscheidend zur Erholung der Unternehmensgewinne bei.

Zurzeit erleben wir hingegen keine Unternehmensrezession, sondern vielmehr eine Verbraucherrezession. Die Verbraucher in den USA und in Großbritannien müssen erst einmal ihre „Haushaltsbilanzen“ sanieren, die derzeit unter dem Eindruck fallender Häuserpreise, höherer Lebensmittel- und Energiepreise sowie erschwertem Zugang zu Bankkrediten stehen.

Im Gegensatz zur Situation im Jahr 2002 werden sich die Folgen rückläufiger Verbraucherausgaben nur allmählich in den Unternehmensgewinnen (außer Finanzunternehmen) niederschlagen. Wie lange wird dieser Prozess andauern?

Bei praktisch jeder Rezession in den USA seit 1945 erreichten die Unternehmenserträge rund zwölf bis 18 Monate nach Beginn der Rezession die Talsohle. Diesmal hat die Rezession in den USA zu Anfang dieses Jahres eingesetzt. Es ist daher wahrscheinlich, dass die Ertragsprognosen bis ins Jahr 2009 von ihrem Rekordwert nach unten korrigiert werden müssen. Dieser Prozess wird ebenso langsam wie zäh verlaufen – eben in Zeitlupe.

Nach unserer Einschätzung wird eine Top-to-Bottom-Korrektur wahrscheinlich in einer Größenordnung von 20 bis 30 Prozent stattfinden und damit etwas über dem derzeit eingepreisten Niveau liegen. Dabei würden die Erträge selbst auf ihrem Tiefstpunkt immer noch höher liegen als bei früheren Abschwüngen. Das erscheint vor dem Hintergrund positiver struktureller Veränderungen wie der Globalisierung, anhaltendem Wachstum in den Schwellenländern und verbessertem Liefermanagement allerdings plausibel.

Die negativen Ertragskorrekturen dürften im weiteren Jahresverlauf auch die konjunkturabhängigen Werte, wie Industrie- und Rohstoffaktien, erfassen. Die Sektoren, die derzeit am schwersten betroffen sind, nämlich Finanzwerte und stärker zyklisch ausgerichtete Konsumgüter, werden sich wohl zuerst erholen. Hier mag das Gröbste sogar bereits überstanden sein, wenn es in anderen Sektoren erst zu kriseln beginnt. Dieser „Glättungseffekt" schirmt den Aktienmarkt – zusammen mit angemessenen Bewertungen – in gewissem Umfang vor einem weiteren Kursverfall ab. Umgekehrt wird das Ertragspotenzial nach oben durch den anhaltend negativen Trend der Ertragskorrekturen insgesamt sowie den Mangel an deutlichen geld- und steuerpolitischen Impulsen begrenzt.

Alles in allem ist wohl davon auszugehen, dass die Aktienmärkte zumindest für die nächsten sechs Monate innerhalb einer breiten Range notieren werden. Eine nachhaltigere Erholung kann sich erst ein paar Monate nach Erreichen der Ertragstalsohle, also frühestens im letzten Quartal 2008, abzeichnen.

Autor: Ad van Tiggelen, Senior Strategist bei ING Investment Management

ING Investment Management ist der globale Asset Manager der ING Gruppe. Mit Euro annähernd 400 Milliarden Assets under Management (Q2 2007), vertreten in 30 Ländern mit 2.500 Experten (Europa: 713, Americas: 866, APAC: 921), ist ING Investment Management (ING IM) weltweit unter den Top 25 im Asset Management. ING IM Europe hat Niederlassungen in 14 europäischen Ländern mit annähernd Euro 160 Milliarden Assets (Q2 2007) under Management.

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Über den Experten

Thomas Gansneder
Thomas Gansneder
Redakteur

Thomas Gansneder ist langjähriger Redakteur der BörseGo AG. Der gelernte Bankkaufmann hat sich während seiner Tätigkeit als Anlageberater umfangreiche Kenntnisse über die Finanzmärkte angeeignet. Thomas Gansneder ist seit 1994 an der Börse aktiv und seit 2002 als Finanz-Journalist tätig. In seiner Berichterstattung konzentriert er sich insbesondere auf die europäischen Aktienmärkte. Besonderes Augenmerk legt er seit der Lehman-Pleite im Jahr 2008 auf die Entwicklungen in der Euro-, Finanz- und Schuldenkrise. Thomas Gansneder ist ein Verfechter antizyklischer und langfristiger Anlagestrategien. Er empfiehlt insbesondere Einsteigern, sich strikt an eine festgelegte Anlagestrategie zu halten und nur nach klar definierten Mustern zu investieren. Typische Fehler in der Aktienanlage, die oft mit Entscheidungen aus dem Bauch heraus einhergehen, sollen damit vermieden werden.

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