Aktien und Anleihen profitieren von Normalisierung der Märkte
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Die Notenbanken scheinen alles richtig zu machen. Die Geldpolitik wird zwar noch nicht gelockert, aber die Märkte legen trotzdem zu. Die Weltwirtschaft normalisiert sich; sie läuft nicht heiß und bricht auch nicht ein. Die Märkte wissen das zu schätzen, und die Investoren können sich auf die Fundamentaldaten konzentrieren. Die Gewinne der Unternehmen sind ebenso ordentlich wie ihre Finanzen, was Aktien und Anleihen gleichermaßen hilft. Zur soliden Konjunktur kommen erfreuliche Langfristentwicklungen, die eine bessere Zukunft versprechen. Hoffen wir, dass uns die Politik keinen Strich durch die Rechnung macht.
Alles normal: Der Hochsommer beginnt, und endlich scheint in Großbritannien die Sonne, gerade rechtzeitig vor dem Turnierstart in Wimbledon (bislang war der Sommer wirklich verregnet). Vom Wetter abgesehen dürfte 2024 aber sehr viel normaler werden als die letzten Jahre. Corona ist für die Weltwirtschaft kein großes Thema mehr. Der Preisauftrieb lässt langsam nach, und wenig spricht dafür, dass die langfristigen Inflationserwartungen aus dem Ruder gelaufen sind. Glaubt man den Märkten für inflationsindexierte Anleihen, sind sie stabil. In den USA beträgt die 5-Jahres-Break-even-Inflation den Inflations-Swaps zufolge etwa 2,6 Prozent, im Euroraum 2,3 Prozent und in Großbritannien 3,3 Prozent (hier aber noch immer gemessen an den Einzelhandelspreisen, sodass sie für die Verbraucherpreise etwa 2,5 Prozent bis 2,75 Prozent betragen dürfte).
Damit ist die Inflation noch immer etwas höher als vor einigen Jahren. Am Markt rechnet man mit einer Teuerung leicht über den Notenbankzielen, aber nicht mit einem dauerhaft hohen Preisauftrieb. Auch die Erwartungen der Verbraucher, die stärker auf aktuelle Daten reagieren, passen laut Umfragen noch immer zu einem mittelfristigen Inflationsziel von etwa 2 Prozent. Man ist sich aber weitgehend einig, dass die Notenbanken jetzt mehr tun müssen, damit diese Erwartungen nicht steigen. Doch das wird allgemein akzeptiert. Die Zinsen dürften daher auch in Zukunft höher sein als von 2010 bis 2020. Bei einer mittelfristig stabilen Konjunktur kommt die Welt damit aber gut zurecht.
Anstieg: Neben der Inflation entwickelt sich auch das Wachstum in die richtige Richtung – wegen steigender Realeinkommen der Verbraucher und positiver Vermögenseffekte, vor allem in den USA. Die gute Performance von KI-Aktien zeigt, wie wichtig das Thema langfristig ist. Viel wird in die Herstellung noch leistungsfähigerer Chips und Datenzentren investiert, ohne die der nötige Zuwachs an Rechenkraft Illusion bliebe. Der Star ist noch immer der Chiphersteller NVIDIA, dessen Marktwert kürzlich über 3 Billionen US-Dollar stieg. NVIDIA ist jetzt das wertvollste Unternehmen der Welt, vor Apple und Microsoft. Zusammen haben diese drei jetzt einen Marktwert von 10 Billionen US-Dollar, etwa doppelt so viel wie im März 2022, als die Fed erstmals die Zinsen anhob. Aber natürlich muss man stets zwischen strukturellen und konjunkturellen Entwicklungen unterscheiden.
Technologische Revolution: Für die Optimisten unter uns sind KI und erneuerbare Energien – als Teil der Dekarbonisierung – revolutionäre Entwicklungen. „Das exponentielle Wachstum der Solarenergie wird die Welt verändern“ überschriebt der Economist diese Woche einen seiner Leitartikel. Schon oft habe ich über den möglichen Nutzen von billiger und sauberer Energie geschrieben – und darüber, wie eine größere Unabhängigkeit von Öl, Gas und Kohle der Welt nützt, auch aus politischen Gründen. KI und billigere Energie werden die Produktivität fördern, zum Nutzen von Emerging Markets, die unter den Folgen des Klimawandels leiden. Groß ist die Hoffnung, dass die neue Technologie die Landwirtschaft in den Emerging Markets revolutioniert und die Ernteerträge steigen, die Umwelt dabei aber weniger belastet wird.
Aber wichtige Risiken bleiben: Die unsichere politische Lage in Frankreich macht die Risiken von Staatsschulden wieder zum Thema. Mittelfristig müssen viele Länder höhere Zinsen zahlen oder die Staatsausgaben senken. Diese Woche hat die EU gegen mehrere Länder Defizitverfahren eingeleitet und sie aufgefordert, Pläne für eine niedrigere Kreditaufnahme vorzulegen. An den Anleihenmärkten fürchtet man, dass der wachsende Populismus das erschweren könnte. Rechte Parteien stehen heute nicht gerade für eine konservative Fiskalpolitik. Nachdem Anleihenpessimisten jetzt kaum noch mit der Inflation argumentieren können, konzentrieren sie sich mehr und mehr auf Staatsverschuldung, steigende Schuldenstandsquoten, höhere Langfristrenditen und Ausfallrisiken.
Hilft KI den Staatsfinanzen? Interessant ist, ob KI und die Energiewende der Politik das Leben leichter machen. Vielen Regierungen gelingt es noch immer nicht, die technologischen Entwicklungen von vor 30 Jahren in die Praxis umzusetzen. Auf dem Papier bekennen sie sich zwar zu erneuerbaren Energien, aber ist ihnen wirklich bewusst, was das für die Steuern auf klassische fossile Energien bedeutet? Allerdings wird die Stromerzeugung aus Erneuerbaren wie Wind- und Solarenergie immer billiger, was die entgangenen Steuereinnahmen ausgleichen könnte. Zugleich sinken die Ausgaben der Verbraucher, und sie werden auch stabiler. Vor allem frage ich mich aber, ob Produktivitätsgewinne durch neue Technologien auch den Staatsfinanzen helfen. Das Wachstum wird höher sein, vielleicht werden mehr neue Stellen geschaffen, und auch die Sozialpolitik kann durch den KI-Einsatz effizienter werden. Profitieren könnte sicherlich das Gesundheitswesen. Neue Entwicklungen im Biotechnologiebereich, ermöglicht durch Künstliche Intelligenz, machen Vorsorgeuntersuchungen, Diagnosen und die Medikamentenentwicklung effizienter. Wenn die Gesundheitskosten in Ländern mit einer alternden Bevölkerung nicht mehr so stark steigen, profitiert die Gesellschaft, und die Staatsfinanzen werden entlastet. Auch könnten bessere Bildung und mehr Regionalförderung die Elektromobilität voranbringen. All das braucht aber Politiker, die sich mit einem schlankeren Staat abfinden können, sodass die Privatwirtschaft solche Entwicklungen vorantreiben kann.
Regen … Volkswirtschaft gilt als „The Dismal Science“, die „düstere“ Wissenschaft, weil sie sich viel mit Risiken und möglichen Fehlentwicklungen befasst. Tatsächlich kann man sich über vieles Sorgen machen. In der westlichen Welt geht das Bevölkerungswachstum zurück, und oft schrumpft die Bevölkerung auf Dauer sogar, und die Erwerbspersonenquote sinkt. Das ist nicht gut und dürfte auch den Staatsfinanzen schaden. Die Gesundheitsausgaben für die Älteren steigen, und die Erwerbstätigen müssen mehr Steuern zahlen. In vielen Ländern wird diese Lücke schon jetzt durch Einwanderung geschlossen – auch deshalb ist das Wirtschaftswachstum in den USA zuletzt gestiegen. Aber Einwanderung führt zu politischen und sozialen Problemen. Wenn die Temperaturen weltweit weiter steigen und manche Regionen unbewohnbar werden, wird es noch schlimmer. Der langfristige Nutzen der Einwanderung ist bekannt, aber das ändert nichts an den kurzfristigen sozialen Kosten und höheren Staatsausgaben.
… oder Sonnenschein? Volkswirtschaftliche Analysen können aber auch Hoffnung machen. Oft haben Volkswirte die Auswirkungen technologischer Revolutionen unterschätzt. Das war schon bei den alten Römern so, als die Latrine eingeführt wurde. Die Netzwerkeffekte sind oft viel größer als geglaubt. Wahrscheinlich ist es auch bei KI und sauberer Energie so. Viel ist die Rede davon, dass generative KI Monatsberichte schreiben oder einen Song im Stil der Rolling Stones komponieren kann. Das klingt spannend, und natürlich wird es Produktivitätsgewinne durch die Automatisierung von Tätigkeiten geben, die bislang von Menschen ausgeführt werden. Die echte Stärke der KI ist aber, dass sie riesige große strukturierte und unstrukturierte Datenbanken zielorientiert analysieren kann. Beispielsweise kann man Satellitenfotos nutzen, um bei einem schwankenderen Klima Ernteerträge zu prognostizieren, und mit digitalisierter DNA lassen sich chronische Krankheiten leichter erkennen und therapieren. Man kann auch das Ausgabeverhalten der Verbraucher besser verstehen, sodass Unternehmen ihre Lagerbestände und Lieferketten effizienter steuern können.
Ein Jahr mit wenig Drama … bis jetzt: Dass wir uns mit diesen langfristigen Entwicklungen beschäftigen können, ist ein Luxus, ermöglicht durch die recht undramatische Konjunktur. Märkte finden immer irgendwelche Risiken (so wie jetzt die europäische Politik), aber nur wenige von ihnen destabilisieren die Konjunktur wirklich. Die Finanzmärkte bieten daher jetzt etwas, was lange vergessen schien: Erträge gemäß der Fundamentalentwicklung der Unternehmen, auch weil die stabile Geldpolitik die Märkte in den nächsten Monaten wohl noch mehr stützt. 2024 hat man an den meisten Anleihen- und Aktienmärkten bislang ordentlich verdient. Unternehmensanleihen und andere Credits bieten laufenden Ertrag. Unternehmen fällt der Schuldendienst eher leicht. Aktien haben sich gemessen am Gewinnwachstum (das dem aktuellen Wachstum des nominalen BIP entspricht) gut entwickelt, und manche Sektoren profitieren auch von den beschriebenen langfristigen Entwicklungen. Ein 60:40-Modellportfolio aus US-Aktien und -Anleihen hätte in den ersten fünf Monaten des Jahres um etwa 16 Prozent z.Vj. zugelegt.
Wenn es so etwas wie Normalität gibt, dann ist 2024 ein Jahr der normalen Konjunktur und der normalen Marktentwicklung, mit moderatem Wachstum, niedriger und hoffentlich weiter fallender Inflation, der Aussicht auf eine gewisse Lockerung der Geldpolitik und guten Aktien- und Anleihenmarkterträgen. Aber das wird nicht ewig so bleiben: Die Politik wird Probleme machen, die Verbraucher könnten pessimistischer werden, die Weltlage instabiler. Aber noch scheint die Sonne. Genießen Sie es!
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