Kommentar
13:18 Uhr, 12.02.2014

Ängste um Europa verschleiern fundamentale Kreditsituation von Einzelländern

Nachdem die Wahrscheinlichkeit eines Zerbrechens der Eurozone nun geringer erscheint und die Region wieder zu Wachstum zurückgekehrt ist, wenn auch weitgehend auf niedrigem Niveau, scheint sich auch die Anlegerstimmung in Hinsicht auf den Ausblick für die Region zu ändern. Doch weithin herrscht nach wie vor Besorgnis über die Wirtschaftslage in Europa. Nur wenige Beobachter halten die Rückkehr zum Wachstumskurs für den Vorboten einer vollständigen Erholung. Obwohl die meisten Länder der Eurozone aus der Rezession gekommen sind, blieben die Volkswirtschaften insgesamt schwach. Viele Beobachter glauben, die mit größeren Schwierigkeiten kämpfenden Länder - wie Spanien, Italien und potenziell Frankreich - werden das Wachstum in der Region weiterhin aufhalten. Der Internationale Währungsfonds (IWF) prognostiziert für 2014 ein Wachstum von gerade einmal 1,0%.3

Wir glauben, diese Ansicht verstellt tendenziell den Blick auf das zwischen europäischen Ländern tatsächlich und potenziell bestehende Wachstumsgefälle. Jüngste Prognosen des IWF gehen zum Beispiel davon aus, dass die Wirtschaftslage in Frankreich, Italien und Spanien noch einige Zeit schwach bleiben wird. Von Deutschland aus nach Osten sieht die Lage jedoch besser aus - ein Aspekt, der von vielen Beobachtern häufig übersehen wird.

Verbreitete Zweifel bestehen außerdem weiterhin im Hinblick auf die in vielen Euroländern notwendigen Strukturanpassungen und die Aufsichtsorgane des Währungsblocks und der Europäischen Union (EU). Die Größenordnung der erforderlichen Veränderungen stimmt eher pessimistisch. Die Ungleichgewichte innerhalb und zwischen einzelnen Euroländern bei Leistungsbilanzen, Verschuldung und Arbeitsmärkten befinden sich noch immer im Frühstadium einer Korrektur. Es gibt keine Patentlösung für das, was unserer Meinung nach ein viele Jahre währender Angleichungsprozess werden wird. Phasenweiser Druck von den Finanzmärkten wird sich dabei wahrscheinlich nicht verhindern lassen. Der Pessimismus tendiert jedoch dazu stetige, wenn auch unspektakuläre, Fortschritte bei der Umsetzung von Reformen auszublenden. Da die Liberalisierung der Wirtschaftsaktivität und die Steigerung des Wettbewerbs Hauptziele solcher Reformen sind, könnten ihre voraussichtlichen Auswirkungen auf das Bruttoinlandsprodukt (BIP) und die Produktivität in Ländern, in denen sie erfolgreich umgesetzt werden, unserer Meinung nach erheblich sein.

Wir glauben, Anleger in Anleihen müsse angesichts der Tatsache, dass das Tempo der Veränderung in der Eurozone wahrscheinlich langsam bleibt und zu anhaltender Besorgnis beiträgt, an diese beiden Aspekte denken. Unseres Erachtens könnte sich die aktuelle, auf Sparsamkeit abgestellte Politik – wenn auch verhaltener – fortsetzen, um die Haushaltsdefizite unter Kontrolle zu halten. Insgesamt dürfte das Wachstum in Europa angesichts der Bremswirkung hoher Schuldenstände in vielen Ländern der Region eher schwach bleiben, doch nicht allzu weit unter dem Potenzial. Innerhalb der Eurozone dürfte sich die Neuausrichtung fortsetzen.

Mit Blick auf die Anlageallokationen in Europa verdeutlicht die zurückliegende Entwicklung der Renditen von Staatsanleihen, wie riskant es ist, von einheitlichen Aussichten auf Reformen in der Region auszugehen. Historisch gesehen war die Streuung hoch. Dabei waren erhebliche Spannen zwischen den am besten und den am schlechtesten abschneidenden Werten während des vergangenen Jahrzehnts die Norm.

Aus den großen Unterschieden bei den Erträgen schließen wir zwei Dinge. Erstens erscheint ein aktiver Ansatz zur Steuerung der Länderallokationen ausschlaggebend für höheres Ertragspotenzial. Zweitens sollten Anleger, ganz gleich wie sich die Fundamentaldaten der Eurozone, der EU oder Europas darstellen, diese Größen keinesfalls als homogen oder als Zusammenschluss von Gruppen (wie Kernländer und Peripherie) betrachten, sondern stattdessen gezielt die Anleihen ermitteln, die potenziell die attraktivsten Risiko- Ertrags-Profile bieten.

Die fundamentale Kreditbewertung von Einzelländern ist mittelfristig ein wesentlicher Bestandteil unseres Ansatzes zur Beurteilung der Märkte für europäische Staatsanleihen. So spricht zum Beispiel unseres Erachtens vieles für italienische Staatsanleihen. Unsere ursprüngliche Investmentthese entstand, als die Verschärfung der Krise in der Eurozone ab Ende 2011 den Politikern der Region deutlich machte, dass die Währungsunion ohne Italien nur schwer funktionieren könne. Diese Zuspitzung der Krise erhöhte nach unserem Eindruck die Wahrscheinlichkeit, dass der politische Kurs in der Eurozone auf die Unterstützung Italiens bei der Erfüllung finanzieller Verpflichtungen abheben würde. Die Aussichten auf spürbare Haushaltskonsolidierung und Strukturreformen sahen gut aus. Im Anschluss wurden zwar nur stockend Fortschritte erzielt, doch wir beurteilen die potenziell positiven Folgen für Schuldenabbau und Wirtschaftswachstum weiterhin überwiegend zuversichtlich.

Die Renditen italienischer Staatsanleihen sind natürlich stark gefallen – bei zehnjährigen Papieren von über 7% Anfang 2012 auf unter 4% zu Beginn des Jahres 2014. Dieser Renditerückgang ist zwar vor allem der nachlassenden Belastung in der Eurozone zuzuschreiben, doch unserer Ansicht nach bieten italienische Renditen weiter reizvolles Wertpotenzial, insbesondere im Vergleich zu den Erträgen deutscher Bundesanleihen. In unseren Augen werden Bundesanleihen nach wie vor mit einem unverdienten Aufschlag als vermeintlich „sichere Häfen“ gehandelt, obwohl sich der Abstand zwischen italienischen und deutschen Staatsanleihen seit Anfang 2012 deutlich verringert hat.

Noch allgemeiner ausgedrückt: Wenn die Zinsen in der Eurozone hinter denen in den USA noch einige Zeit zurückbleiben, könnte die potenzielle Differenz im Zinsprofil unserer Ansicht nach dazu beitragen, dass europäische Anleihen US-Anleihen übertreffen. Wir legen Anlegern allerdings dringend nahe, sich auf die Wachstums- und Anleihenmetriken individueller europäischer Länder zu konzentrieren. Wir glauben, die Volatilität, die während der Krise in der Eurozone beobachtet werden konnte, bewirkte eine Abkopplung der Staatsanleihen von den ihnen zugrunde liegenden Fundamentaldaten. Das schuf viele potenzielle Anlagegelegenheiten. Es scheint, solche volatilen Phasen könnten durchaus erneut auftreten, während die europäische Politik den richtigen Mittelweg zwischen dem Vorantreiben von Reformen, Sparmaßnahmen und Wachstumsförderung sucht. Unserer Ansicht nach wären Anleger gut beraten, sich eine Meinung zu den fundamentalen Voraussetzungen einzelner Anleihen im Vergleich zu bilden, um sich auf solche Eventualitäten einzustellen.

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