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08:30 Uhr, 14.12.2021

10-jährige Rendite USA - Ist die Zeit 2022 reif?

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Ist die Zeit 2022 reif?

„Gestern standen wir noch vor dem Abgrund. Heute sind wir bereits einen gewaltigen Schritt weiter.“ Das bekannte Zitat von Erich Kästner hatten wir vor Jahresfrist als Einleitung verwendet, um die Bedeutung der „magischen 1 %-Marke“ als Signalgeber für eine untere Umkehr bei der 10-jährigen Rendite USA entsprechend zu würdigen. Diese Hürde wurde bereits Anfang Januar übersprungen und erwies sich in der Folge als der erwartete Katalysator. Da die US-Zinsen mit 1,78 % den höchsten Stand seit Anfang 2020 erreichten und darüber hinaus das gesamte Jahr 2021 oberhalb der 1 %-Schlüsselmarke verharrten, haben wir mit unserer letztjährigen Prognose „ins Schwarze“ getroffen. „Untere Zinswenden brauchen vor allem eines: viel Zeit!“ Dieses alte Börsenbonmot verdeutlicht die zentrale Bedeutung des Faktors „Zeit“ und bringt uns nahtlos zu einer der absoluten Schlüsselfragen des Jahres 2022: Sind die zeitlichen Anforderungen für einen Zinsanstieg nach zweieinhalb Jahren auch hierzulande erfüllt? Oder zugespitzter: Ist die Zeit jetzt auch bei der 10-jährigen Rendite Deutschland reif für den Abschluss der Bodenbildung der letzten 30 Monate und damit für eine nachhaltige Zinswende?

10-jährige Rendite USA (Annually)

Chart 10-jährige Rendite USA

Quelle: Refinitiv, tradesignal² / 5-Jahreschart im Anhang

5-Jahreschart 10-jährige Rendite USA

Chart 10-jährige Rendite USA

Quelle: Refinitiv, tradesignal²

Sentiment: Selektive Wahrnehmung

Den entscheidenden Katalysator für diese Trendwende zu identifizieren, zählt 2022 zweifelsohne zu den größten Herausforderungen – und zwar für Investoren und Analysten gleichermaßen. Wir stellen uns dieser Herkulesaufgabe und versuchen weiter unten Antworten auf die Schlüsselfragen der kommenden 12 Monate zu geben. Doch zuvor begeben wir uns zunächst in die Welt der Sentimentanalyse. Durch die vielen Investorengespräche des letzten Jahres zog sich ein roter Faden: Mit den Charts auf der Rentenseite haben wir regelmäßig am meisten „Reibung“ erzeugt. Hier lag eindeutig der größte Diskussionsbedarf vor. Letztlich zeigt dies, wie „vorkonditioniert“ die Mehrheit der Marktteilnehmer inzwischen ist. 40 Jahre Rentenhausse haben in diesem Kontext tiefe Spuren hinterlassen, sodass die rekordtiefen bzw. sogar rekordnegativen Zinsen mehrheitlich fortgeschrieben werden. Durch die Brille der Behavioral Finance betrachtet, ist das oftmals der Nährboden, der selbst längste, stabilste Trends zum Brechen bringt. Zumindest sorgt diese selektive Wahrnehmung für einen Hinweis, wo sich der „wunde Punkt“ des Marktes befindet und aus welcher Richtung 2022 Überraschungen kommen könnten.

10-jährige Rendite USA (Annually)

Chart 10-jährige Rendite USA

Quelle: Refinitiv, tradesignal² / 5-Jahreschart im Anhang

Charttechnik, nichts als die pure Charttechnik

Um auf dieses Szenario vorbereitet zu sein, werden wir Ihnen wichtige Signalmarken mit auf den Weg geben. Deren entscheidender Mehrwert bzw. der technischen Analyse allgemein liegt darin, durch einen möglichen Fahrplan vorbereitet zu sein. Ansonsten laufen Sie Gefahr, durch unerwartete Ereignisse auf dem falschen Fuß erwischt zu werden. Solche Positionsschieflagen verursachen „Stress“ unter den Anlegern und markieren dann oftmals charttechnische Schlüsselniveaus, an denen der Markt nachhaltig in Bewegung gerät. Beim Überschreiten solcher Überraschungsmarken erinnern Sie sich bitte an ein Zitat von Winston Churchill: „Demokratie ist die Notwendigkeit, sich gelegentlich den Ansichten anderer Leute zu beugen!“ Entsprechend sollten Investoren eine abgeschlossene Bodenbildung wertneutral als solche hinnehmen, auch wenn eine Zinswende nicht der persönlichen oder gar der Mehrheitsmeinung entspricht! Nach diesem Exkurs in die Sentimentanalyse möchten wir auch auf der Rentenseite mit der Analyse einer hohen Zeitebene in unseren Jahresausblick einsteigen. Getreu dem Motto des US-Philosophen Ralph Waldo Emerson: „Die Jahre lehren viel, was die Tage niemals wissen“, stellen wir als erstes den Jahreschart der 10-jährigen Rendite USA auf den Prüfstand.

10-jährige Rendite USA (Annually)

Chart 10-jährige Rendite USA

Quelle: Refinitiv, tradesignal² / 5-Jahreschart im Anhang

„inside year“ als Orientierungshilfe

Zunächst dokumentiert der Jahreschart den grundsätzlichen Baissetrendkanal der US-Renditen seit 1981, dessen Begrenzungen sich 2022 bei 1,44 % bzw. 2,85 % befinden. Im Verlauf des beschriebenen Abwärtstrends entstand 2020 eine besondere Kerze, welche die Zinstiefs der Jahre 2019, 2012 und 2016 bei 1,43 %/1,38 % /1,32 % regelrecht pulverisierte. Diese Entwicklung unterstreicht die alte Tradingweisheit „triple bottoms never hold“ auf eindrucksvolle Art und Weise. Imposant ist auch die Hoch-Tief-Spanne des Jahres 2020 von 163 BP. Eine gewisse Beruhigung nach diesen spektakulären Entwicklungen ist deshalb keine Überraschung. Charttechnisch können Investoren dies an einem klassischen „inside year“ festmachen. Entsprechend sorgen das Jahreshoch (1,78 %) bzw. das -tief (0,91 %) für die ersten Schlüsselmarken. Auch die Rückeroberung der o. g. Renditetiefs war charttechnisch wichtig. Eine Auflösung der diskutierten „inside candle“ würde einer Fortsetzung des Zinsanstiegs deshalb Nachdruck verleihen. Der Trigger bei 1,78 % fällt fast punktgenau mit der 50 %-Korrektur des letzten Renditerutsches von Oktober 2018 bis März 2020 (1,79 %) zusammen.

10-jährige Rendite USA (Annually)

Chart 10-jährige Rendite USA

Quelle: Refinitiv, tradesignal² / 5-Jahreschart im Anhang

2022: Magische 2 %-Marke?

In diesem Kontext würde ein neues Bewegungshoch den Grundstein für einen Anlauf auf die 2 %-Marke legen. Auf diesem Niveau bilden das 2020er-Hoch (1,95 %) zusammen mit den Tiefpunkten von 2017 und 2008 bei 2,02/2,04 % ein wichtiges horizontales Barrierenbündel. Im Sinne des vorsichtigen Kaufmanns und um das angeführte Churchill-Zitat auch gegenüber dem technischen Analysten anzuwenden, ermöglicht der Jahreschart zudem ein technisch sinnvolles, äußerst engmaschiges Risikomanagement. Im neuen Jahr bildet die untere Begrenzung des langfristigen Baissetrendkanals der letzten 40 Jahre im Zusammenspiel mit den Zinstiefs von 2012, 2016 und 2019 eine massive Kreuzunterstützung zwischen 1,44 % und 1,32 %. Ein Rebreak dieser Schlüsselzone würde das Szenario „Fortsetzung des eingeleiteten Zinsanstiegs“ negieren. Deshalb ist diese Zone als strategischer Stop-Loss geeignet. Darunter bildet die Kombination aus dem Jahrestief 2021 und dem Schlusskurs von 2020 bei 0,91 % eine weitere wichtige Rückzugsmarke. Abseits dieser Risikobetrachtung noch ein spannendes Detail: Auch im 6-Monats-Bereich liegt derzeit ein Innenstab vor, der bei einem Spurt über die Jahreshochs bei 1,71/1,78 % ebenfalls nach oben aufgelöst wäre.

10-jährige Rendite USA (Semi-annually)

Chart 10-jährige Rendite USA

Quelle: Refinitiv, tradesignal² / 5-Jahreschart im Anhang

1,71/1,78 %: Signalgeber einer unteren Umkehr

In gewohnter Manier verknüpfen wir im nächsten Schritte die unterschiedlichen Zeitebenen – ein entscheidender Vorteil der Technischen Analyse! Der Monatschart der 10-jährigen Rendite USA unterstreicht nochmals die Bedeutung der bereits angeführten Schlüsselzone zwischen 1,32 % und 1,44 %, denn in dieser Zeitebene verlaufen der Abwärtstrend seit 2007 sowie die untere Begrenzung des Basisabwärtstrendkanals seit Anfang der 1980er-Jahre (akt. bei 1,39/1,35 %) ebenfalls in diesem Dunstkreis. Durch die charttechnische Brille betrachtet, hat der Zinsanstieg deshalb zu weit getragen, als dass Anleger ihn ignorieren könnten. Der jüngste Rücksetzer liefert zudem einen weiteren Beleg für die Relevanz dieser Bastion. Auf der Oberseite springen indes die letzten beiden Verlaufshochs bei 1,71 % bzw. 1,78 % ins Auge. Gelingt der Sprung über die angeführten Hürden, wäre mindestens ein „V-Muster“, wenn nicht gar eine inverse Schulter-Kopf-Schulter-Formation abgeschlossen (siehe Chart). Letztere wird durch die Zinstiefs bei 1,43 %/0,32 %/1,13 % definiert. Mit anderen Worten: Im Erfolgsfall sprechen starke Argumente für die Fortsetzung des eingeschlagenen (Zins-)Erholungspfads.

10-jährige Rendite USA (Monthly)

Chart 10-jährige Rendite USA

Quelle: Refinitiv, tradesignal² / 5-Jahreschart im Anhang

Das absolute Überraschungsszenario

Eine abgeschlossene Trendwende zählt weiterhin zu den ganz großen Überraschungspotentialen. Deshalb wollen wir ganz bewusst fragen: Was, wenn …? Die Barrieren bei rund 2 % hatten wir weiter oben bereits angeführt – inklusive der 138,2 %-Fibonacci-Projektion des Renditerutsches von März bis August (2,02 %). Im langfristigen Kontext markiert dieses Level aber eher die „Pflicht“. Die „Kür“ wäre vielmehr ein Ansteuern der massiven Widerstandszone aus dem Basisabwärtstrend seit 1981 und der 200-Monats-Linie (akt. bei 2,63 %/2,71 %). Sollte die 10-jährige Rendite USA dieses Barrierenbündel im Jahresverlauf 2021 tatsächlich erreichen, dann müssen Anleger*innen in diesem Dunstkreis allerdings mit massiver Gegenwehr seitens der Zinsbullen rechnen. Anders ausgedrückt: Trotz aller möglichen Überraschungen würde ein tatsächliches Ausloten der langfristigen Glättungslinie unseres Erachtens für eine mittelfristige Kaufgelegenheit am US-Rentenmarkt sorgen. Da das Glück bekanntermaßen denjenigen bevorzugt, der darauf vorbereitet ist, liefert der Monatschart in diesem Zusammenhang eine wertvolle Orientierungshilfe.

10-jährige Rendite USA (Monthly)

Chart 10-jährige Rendite USA

Quelle: Refinitiv, tradesignal² / 5-Jahreschart im Anhang

Flagge plus „golden cross“

Entgegen unserer sonstigen Gepflogenheiten schafft es in diesem Jahr auch der Tageschart der 10-jährigen Rendite USA in den Jahresausblick. Und das vollkommen zu Recht, denn die charttechnische Ausgangslage ist extrem spannend. Nach der Bodenbildung vom Jahresauftakt 2021 hat die Rendite in der kurzen Frist von März bis September eine klassische Korrekturflagge ausgebildet (siehe Chart). Deren kalkulatorisches Mindestkursziel lässt sich auf rund 2 % taxieren und liegt damit oberhalb der Hochs des zu Ende gehenden Jahres bei 1,71 %/1,78 %. Die trendbestätigende Flagge im Tagesbereich liefert also ein wichtiges Argument, um die Signalzone in den höheren Zeitebenen tatsächlich zu attackieren bzw. sogar herauszunehmen. Oberhalb der beschriebenen Ausbruchsmarken könnte die Kursentwicklung seit Februar darüber hinaus als nach oben aufgelöste Schiebezone interpretiert werden. Der grundsätzliche Gezeitenwandel wird nicht zuletzt auch durch die gleitenden Durchschnitte zementiert. Sowohl die 50-Tages-Linie als auch das Pendant der letzten 200 Perioden (akt. bei 1,54 %/1,49 %) steigen inzwischen wieder. Zuletzt kam es sogar zu einem positiven Schnittmuster zwischen den beiden Durchschnittslinien – es liegt also ein sog. „golden cross“ vor.

10-jährige Rendite USA (Daily)

Chart 10-jährige Rendite USA

Quelle: Refinitiv, tradesignal² / 5-Jahreschart im Anhang

Taktgeber auf beiden Seiten

Dieses besondere Chartmuster bringt uns nahtlos zu unserem letzten US-Rentenchart: Als möglichem Taktgeber kommt der 30-jährigen Rendite USA eine absolute Schlüsselrolle zu – und zwar auf beiden Seiten! Nach Süden hat die Rendite in vier der letzten fünf Monate jeweils Lows bei 1,80 % ausgeprägt. Zusammen mit der Nackenlinie der zu Jahresbeginn vervollständigten Bodenbildung (1,77 %) und dem 38,2 %-Retracement des letzten Zinsrutsches seit Ende 2018 (1,76 %) entsteht auf diesem Niveau eine wichtige Kernunterstützung, deren Bruch nicht ohne charttechnischen Schaden bliebe. Auf der Oberseite besitzt dagegen das Barrierenbündel zwischen 2,08 % und 2,26 % Signalcharakter. Hier fällt ein weiteres Fibonacci-Retracement (2,08 %) mit den Tiefs von 2016 (2,09 %) und 2015 (2,22 %) sowie der 38-Monats-Linie (akt. bei 2,13 %) zusammen. Ein Befreiungsschlag ebnet u. E. den Weg bis zu den jüngsten zyklischen Hochpunkten bei 2,44 % bzw. 2,52 %, die gleichzeitig als Nackenlinie einer möglichen Schulter-Kopf-Schulter-Umkehr fungieren (siehe Chart). Aufgrund seiner großen Relevanz kommt dem Kursverlauf der 30-jährigen Rendite in den USA 2022 sowohl auf der Ober- als auch auf der Unterseite eine entscheidende Signalfunktion zu (Fortsetzung morgen).

30-jährige Rendite USA (Monthly)

Chart 30-jährige Rendite USA

Quelle: Refinitiv, tradesignal² / 5-Jahreschart im Anhang

5-Jahreschart 30-jährige Rendite USA

Chart 30-jährige Rendite USA

Quelle: Refinitiv, tradesignal²

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Autor: Jörg Scherer

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Über den Experten

Jörg Scherer
Jörg Scherer
Leiter Technische Analyse bei HSBC Deutschland

Jörg Scherer, Diplom-Kaufmann und Certified Financial Technician (CFTe), ist Gewinner des 2007er Awards der „Vereinigung Technischer Analysten Deutschlands“ (VTAD) und der Verfasser des kostenfreien täglichen Newsletter HSBC Daily Trading, einem der meist gelesenen Trading-Newsletter Deutschlands. Ebenfalls analysiert Jörg Scherer auf mehreren Terminen im Jahr auf Seminaren in ganz Deutschland und in Webinaren für Privatanleger und institutionellen Investoren den nationalen und internationalen Aktienmarkt, die Rentenseite, Währungspaare und Rohstoffe.

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