Kommentar
13:20 Uhr, 22.07.2025

Zückt die EU die "nukleare Option" als Antwort auf Trumps Zolldrohung ?

Angesichts des nahenden 30 %-US-Zölle ab dem 1. August auf Importe aus der Europäischen Union wächst in Brüssel die Bereitschaft zu harten Gegenmaßnahmen. Immer mehr Mitgliedstaaten, darunter auch Deutschland, ziehen den Einsatz eines weitreichenden Instruments in Betracht.

Bisher galt dies als "nukleare Option" und könnte gezielt auch den US-Dienstleistungssektor treffen.

Im Zentrum der Überlegungen steht der europäische Markt für öffentliche Ausschreibungen, der ein jährliches Volumen von rund 2 Billionen EUR umfasst. Die EU verfügt seit Ende 2023 über ein "Instrument zur Abwehr von Zwangsmaßnahmen" (Anti-Coercion Instrument, ACI), das bislang ungenutzt blieb und primär als Abschreckung konzipiert wurde. Dieses Instrumentarium bietet eine breite Palette an Reaktionsmöglichkeiten, die weit über klassische Gegenzölle hinausgehen.

Neben Zöllen auf Warenimporte könnten auch Import- oder Exportbeschränkungen in Form von Quoten oder Lizenzen verhängt werden. Eine besonders heikle Maßnahme wäre die gezielte Beeinflussung öffentlicher Ausschreibungen.

So könnten Gebote von Unternehmen ausgeschlossen werden, bei denen US-Waren oder -Dienstleistungen mehr als 50 % des Auftragswerts ausmachen. Alternativ könnten Angebote aus den USA mit einem Malus versehen werden, was ihre Wettbewerbschancen erheblich schmälern würde.

Darüber hinaus zielen die möglichen Maßnahmen auf Sektoren, in denen die USA einen Handelsüberschuss mit der EU erzielen. Dies betrifft insbesondere den Dienstleistungssektor mit Anbietern wie Amazon, Microsoft oder Netflix. Auch Beschränkungen für ausländische Direktinvestitionen aus den USA, dem größten Investor in der EU, wären denkbar. Weitere Optionen umfassen Einschränkungen beim Schutz geistiger Eigentumsrechte, beim Zugang zu den Finanzmärkten der EU oder bei der Zulassung von Chemikalien und Lebensmitteln. Die EU würde jene Maßnahmen auswählen, die den wirtschaftlichen Zwang am effektivsten beenden und den entstandenen Schaden durch die US-Maßnahmen kompensieren können.

Der Weg zur Eskalation ist komplex

Die Aktivierung des ACI ist jedoch an hohe Hürden geknüpft und als letztes Mittel gedacht. Das Instrument wurde 2021 als Reaktion auf den zunehmenden Einsatz von Handel als politisches Werkzeug durch die erste Trump-Administration und China vorgeschlagen. Ein konkreter Anlass waren die chinesischen Zwangsmaßnahmen gegen Litauen.

Das Verfahren zur Anwendung ist mehrstufig. Zunächst hat die Europäische Kommission bis zu vier Monate Zeit, um einen Fall von Nötigung zu prüfen. Stellt sie einen solchen fest, müssen die EU-Mitgliedstaaten diesen Befund innerhalb von acht bis zehn Wochen mit einer qualifizierten Mehrheit bestätigen. Erst wenn Konsultationen mit dem betreffenden Drittstaat scheitern, kann die Kommission innerhalb von sechs Monaten Gegenmaßnahmen ergreifen, die wiederum von den Mitgliedstaaten genehmigt werden müssen. Bis zur tatsächlichen Umsetzung könnte somit ein Jahr vergehen, obwohl das Verfahren im Bedarfsfall auch beschleunigt werden kann.

Fazit

Nuklearwaffen dienen der Abschreckung - und werden nicht eingesetzt. Das wird auch hier vermutlich so sein. Es ist aber gut, wenn sich die EU nicht an der Nase herumführen lässt und den US-Partnern klarmacht, dass die Europäische Union kein kleiner Staat ist, der sich nicht wehren kann. Die USA sind ebenso nicht unverwundbar wie alle anderen Akteure. Diese Erkenntnis muss jetzt sitzen und dann können alle zusammen einen fairen Deal basteln. Aber die Zeit läuft davon - außer Trump verlängert die Frist doch noch mal.

1 Kommentar

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  • masi123
    masi123

    America First und fair schließen sich aus. Ich würde hier nichts erwarten.

    14:05 Uhr, 22.07.