Kommentar
10:51 Uhr, 04.08.2022

Zinsfantasie: Hier irrt der Markt gewaltig

Schon jetzt scheint sich der Markt auf sinkende Zinsen im Frühjahr 2023 zu freuen. Die Freude kommt zu früh, denn die Erwartung ist ein Irrtum.

Die US-Leitzins-Futures sprechen eine klare Sprache. Anleger erwarten bis Jahresende einen Leitzins von 3,2 %. Danach stagnieren die Futures mehr oder weniger. Das Zinshoch wird im Februar 2023 mit 3,3 % erwartet. Danach werden Zinssenkungen erwartet, wenn auch minimale. Mittelfristig wird der Leitzins bei 2,5 % gesehen. Diese Rechnung kann nur aufgehen, wenn die Inflation mitspielt. Das Inflationsziel von 2 % ist nach wie vor in Stein gemeißelt. Die Fed hat klargemacht, dass sie eine tiefere Inflationsrate will und es ihr oberstes Ziel ist. Sie nimmt auch eine Rezession und höhere Arbeitslosigkeit in Kauf. Man könnte auch sagen, die Fed will höhere Arbeitslosigkeit erzwingen. Sie formuliert es schöner, indem sie sagt, dass der Arbeitsmarkt wieder ins Gleichgewicht kommen soll, doch das ändert nichts am Resultat. Die Arbeitslosigkeit wird bzw. soll steigen.

Da Geldpolitik keine exakte Wissenschaft ist, muss befürchtet werden, dass der Notenbank keine weiche Landung gelingt. Das ist aktuell aber nicht das Hauptproblem. Das Hauptproblem ist eine zu hohe Inflationsrate, die in absehbarer Zukunft das Inflationsziel von 2 % verfehlt.

Ob Inflationserwartungen, Schätzungen von Investmentbanken oder Modelle der Notenbank selbst, sie alle sehen bis Jahresende 2023 einen Rückgang der Inflation auf ungefähr 4-4,5 % und bis Ende 2024 einen Rückgang auf ca. 3 % (Grafik 1). Obwohl inzwischen angenommen wird, dass die Wirtschaft einer Rezession nicht entkommen kann und die Zinsen steigen, soll das 2 %-Ziel deutlich verfehlt werden, selbst Ende 2024.


Dies wird nicht nur in den USA erwartet, sondern auch in der Eurozone. Die Kerninflation dürfte Ende 2023 noch bei 4 % liegen. Die Inflationsrate inklusive Energie und Nahrungsmittelpreisen sollte darunter liegen. Dies liegt an den zu erwartenden Basiseffekten. Der Preisanstieg bei Energierohstoffen war massiv und wird sich in diesem Umfang nicht fortsetzen.

Ende 2024 könnten die Inflationsraten dann im Bereich von 2,5 % liegen. Das ist immerhin nah genug am Inflationsziel, sodass keine radikalen Zinsschritte erforderlich sind. Das unterscheidet die Eurozone von den USA. Dort ist das Inflationsproblem größer, auch wenn die Daten derzeit nicht unbedingt den Eindruck erwecken.

Je länger die Inflation über 2 % bleibt, desto eher lösen sich die Inflationserwartungen der Verbraucher und Unternehmen. Notenbanken sind daher in Eile. Eine Rückkehr zum Inflationsziel Mitte des Jahrzehnts ist zu spät. Anstatt Zinssenkungen ab März oder April 2023 ist vielmehr mit weiteren Erhöhungen zu rechnen.

Sofern die kommende Rezession nicht sehr tief ist, werden die Zinsen immer weiter angehoben, wenn auch deutlich langsamer. Der Markt geht davon aus, dass der Zinsverlauf der Konjunktur folgt und in einem Abschwung sinken werden. Der Verlauf ist aber nicht normal, da auch die Inflationsrate alles andere als normal ist. Hier liegt eine gewaltige Fehleinschätzung vor.

Clemens Schmale


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  • Bi9_Boss
    Bi9_Boss

    Was ein Volltreffer! Nach den Arbeitsmarktdaten heute, wird sich der Druck nochmal deutlich erhöhen.
    Die Inflation wird sinken müssen, sonst droht weiter die Lohn Preis Spirale.

    17:17 Uhr, 05.08.2022

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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