Kommentar
14:42 Uhr, 23.09.2016

Zinserhöhung - Das Phantom der Finanz-Oper

Sie will es eventuell tun, tut es dann aber nicht: Leitzinsen erhöhen. Wird sie es jemals tun? Langsam aber sicher verwirrt die Fed, wo sie eigentlich als bedeutendste Notenbank klare Kante zeigen sollte: Auf der einen Seite verdichten sich laut Frau Yellen die Argumente für eine Zinserhöhung und auf der anderen Seite senkt die Fed gleichzeitig ihre Wachstums- und Inflationsprognosen. Mit Blick auf die Präsidentschaftswahl im November ist das Thema Zinsangst bis mindestens Dezember auf Eis gelegt. Aufgrund bislang sehr bescheidener konjunktureller Erfolge revolutioniert die Bank of Japan ihre Geldpolitik: Sie strebt eine Inflation deutlich oberhalb ihres Ziels von zwei Prozent an. Insgesamt bleibt die internationale Geldpolitik das, was sie seit 2008 ist: Das entscheidende pro-Argument an den Finanzmärkten.

Wissen sie noch, was sie tun?

Fortsetzung des Einstiegs in den Ausstieg aus einer üppigen US-Geldpolitik oder auch nicht

Auf ihrer letzten Sitzung hat die Fed ihre Leitzinsen erneut unangetastet gelassen. Allerdings haben sich laut US-Notenbankpräsidentin Yellen die Argumente für baldige Zinsanhebungen verdichtet. Absurderweise hat die Fed jedoch mit erneut gesenkten US-Wachstumsprojektionen für 2016 (1,8 nach zuvor 2,0 Prozent) und einer ebenso verringerten langfristigen Wachstumseinschätzung (ebenfalls 1,8 auf 2,0 Prozent) diese Zinserhöhungsargumente wieder torpediert. Ohnehin signalisiert die seit einem Jahr schrumpfende US-Industrieproduktion, dass sich das amerikanische Verarbeitende Gewerbe tatsächlich in der Rezession befindet. In derartigen Situationen 2000 und 2007 hat die Fed mit Zinssenkungen reagiert.

GRAFIK DER WOCHE

US-Notenbankzins und Industrieproduktion


US-Immobilienmarkt: Gut, aber nicht gut genug

Die Lage am US-Immobilienmarkt hat sich gemäß Baubeginnen und -genehmigungen nach dem Zusammenbruch der Immobilienblase 2008 zwar verbessert. Nach einer gleichzeitigen Erholung der Häuserpreise bis 2013 - laut S&P/Case-Shiller U.S. National Home Price Index der 20 größten US-Städte - mit anschließend deutlicher Korrektur befinden sich die Häuserpreise aber seit Jahren in der Stagnation. Gründe für Zinserhöhungen sind nicht ersichtlich.


US-Arbeitsmarkt ist zinserhöhungsunkritisch

Der US-Arbeitsmarkt zeigt einen soliden Stellenzuwachs. Unverkennbar ist jedoch die mangelnde Qualität des vermeintlichen US-Jobwunders. Grundsätzlich haben sich die Arbeitsmarktbedingungen laut dem von der US-Notenbank veröffentlichten, auf 19 Subindikatoren basierenden US-Labor Market Conditions Index seit Jahresbeginn im Trend verschlechtert. Die Lage am US-Arbeitsmarkt ist insgesamt zinserhöhungsunkritisch.

Selbst der leichte Anstieg der US-Inflation im August von zuvor 0,8 auf aktuell 1,1 Prozent liefert wenig Argumente für Zinserhöhungen. Denn die Fed hat auch ihre Inflationsprognose für 2016 (1,3 nach 1,4 Prozent) gesenkt und geht davon aus, dass sie ihr Inflationsziel von 2,0 Prozent frühestens 2018 erreicht. Ob dies dann wirklich der Fall sein wird, muss mit Blick auf eine schwache Weltkonjunktur und verhaltene Rohstoffpreise allerdings angezweifelt werden.


Amerika überrascht konjunkturell nicht mehr

Auch der von der Citigroup veröffentlichte Economic Surprise Index - er ermittelt positive bzw. negative Abweichungen tatsächlicher Konjunkturdaten von Analystenschätzungen - erhärtet die Zinserhöhungsfront nicht: Seit Anfang 2015 mit einer kurzen Ausnahme im Juli befindet sich der Index im Enttäuschungsterrain.


Das Leitzins-Wirrwarr geht weiter

Die Fed hat die Chance für Zinserhöhungen verpasst

Ab 2014 hätte die Fed Zinsrestriktionen bei sich stabilisierenden Rohstoffpreisen und besserer weltkonjunktureller Stimmung durchführen können. Dann wäre sie heute mit dem Zinserhöhungsprozess durch, hätte ihre Handlungsfähigkeit und Glaubwürdigkeit bewiesen und würde die real- und finanzwirtschaftlichen Märkte nicht verunsichern. Heute läuft sie dieser „Zeitchance“ hinterher. In diesem Zusammenhang wussten die drei Fed-Mitglieder, die auf der letzten Notenbanksitzung für eine Zinserhöhung plädierten, dass sie mit Blick auf die Präsidentschaftswahl am 8. November erst wieder am 14. Dezember eine Zinserhöhungschance haben. Aber wer weiß schon, welche geopolitischen bzw. weltkonjunkturellen Fakten dann einer Zinserhöhung im Wege stehen? Käme es im Nachgang der US-Wahl zu erhöhter real- bzw. finanzwirtschaftlicher Unsicherheit, muss die Fed ihre Zins-Schaukel-Rhetorik mit Verweis auf „Datenabhängigkeit“ erneut verschieben. Auf jeden Fall sollte sie Abstand nehmen von einer moralischen Zinserhöhung im Dezember. Glaubwürdigkeit als bedeutendste Notenbank der Welt erzielt man nicht durch Symbolpolitik.

Zins-Vorsicht als erste Pflicht der US-Notenbank

Die Fed sollte nicht der zweiten Zinserhöhungs-Chance hinterherlaufen

Die US-Notenbank sollte Fakten schaffen. Sie sollte Zinserhöhungen erst bei tatsächlicher Verbesserung von Konjunkturdaten vollziehen und nicht aufgrund von Prognosen, die in unserer schnelllebigen globalen Finanz- und Konjunkturwelt sehr schnell Makulatur sein können. Die Zeiten mustergültiger konjunkturzyklischer Verläufe sind durch vielfältige globale und politische Einflüsse mittlerweile ähnlich gestört wie der Golfstrom beim Abschmelzen der Nordpolkappe. Tatsächlich mussten Prognosen seit Jahren eher gesenkt als erhöht werden. Es gibt also ein sogenanntes downside risk. Neben dem Blick auf Amerika sollte der Fed auch die verhaltende Weltkonjunktur zu denken geben. Genau diese trägt auch maßgeblich Verantwortung für die schwache Industriestimmung in den USA. Zinspolitische Verunsicherungen verbaler Art befeuern Bedenken vor einer verschärften Wachstumseintrübung in den Schwellenländern und eine Kapitalflucht in die USA. In diesem unsicheren Szenario ist Zins-Vorsicht die erste Pflicht der US-Notenbank.

Das Reiten der japanischen Zinsstrukturkurve

Konjunkturpolitisch hat die Bank of Japan bislang kläglich versagt

Es ist ein Armutszeugnis. Trotz einer üppigen Zins- und Liquiditätspolitik hat Japan noch keinen Ausweg aus einer deflationären Volkswirtschaft gefunden. Dennoch will die Bank of Japan den Eindruck vermeiden, dass ihr die wirtschaftsstimulierenden Instrumente ausgehen. Das neue Instrument heißt „Zinskurvenkontrolle“. Die Renditen 10-jähriger japanischer Staatsanleihen sollen bei rund null Prozent fest verankert werden. Anleiheaufkäufe sollen den kürzeren Laufzeiten zugutekommen. Über eine somit steilere Zinsstrukturkurve will man die Ertragslage der japanischen Banken über Fristentransformation - kurzfristige Geldaufnahme zu zinsgünstigen Konditionen und längerfristige -anlage zu höheren Renditen - verbessern.

In der Not frisst der Teufel Fliegen

Koste es, was es wolle: Japan will hohe Inflation

Revolutionär neu ist dabei, dass die japanische Notenbank die Inflation deutlich oberhalb ihrer Zielmarke von zwei Prozent heben und dort auch nachhaltig etablieren will. Bei einer Renditeobergrenze von null Prozent ergibt sich in der Konsequenz eine negative reale Verzinsung.

Die Bank of Japan beabsichtigt mit dieser neuen geldpolitischen Mission zunächst, den japanischen Staat, der mit dem 2,5-fachen der Wirtschaftsleistung völlig überschuldet ist, real zu entschulden. Denn mit Blick auf den Staatshaushalt ist die Spendierfreudigkeit der öffentlichen Hand mittlerweile stark eingeschränkt.

Aber wie will Japan diese „gewollte Inflation“ erzielen, die sich doch bislang trotz üppiger Geldpolitik nicht einstellte? Es ist davon auszugehen, dass die japanische Notenbank zunehmend die Finanzierung der öffentlichen Haushalte direkt übernehmen wird: Die Fiskalpolitik verschuldet sich und die dazu neu ausgegebenen Schuldtitel werden von der Bank of Japan aufgekauft. Das neue Zentralbankgeld gelangt durch umfangreiche Infrastrukturprojekte und Transferzahlungen des Staates in die japanische Volkswirtschaft. Damit es tatsächlich zur gewünschten Preiswirksamkeit kommt, wird nicht gekleckert, sondern geklotzt.

Zusammengefasst schlägt Japans Notenbank bei Erfolg drei Fliegen mit einer Klatsche. Die Banken profitieren von einer ertragsreicheren Fristentransformation. Die Wirtschaft kommt in den Genuss von nachhaltigen Infrastrukturprojekten, die auch zu privatwirtschaftliche Folgeinvestitionen führen und damit Japan nachhaltig aus der Deflation befreien können. Und der Staat entledigt sich über Inflation seiner dramatischen Überschuldung. Die Dummen dabei sind allerdings die japanischen Sparer, deren Zinsvermögen über negative Realrenditen dramatisch entspart werden.

Es bleibt abzuwarten, ob diese geldpolitischen Maßnahmen die volkswirtschaftliche Wende zum Besseren erbringen.

Konjunkturerholung der Eurozone bleibt blutleer

Aktuelle Marktlage und Anlegerstimmung - Die Liquiditätshausse dominiert alles

Insgesamt halten sich die fundamentalen Argumente für Aktien in engen Grenzen. So hat die OECD jüngst ihre globale Wachstumsprognose für 2016 auf 2,9 nach 3,0 Prozent und 2017 auf 3,2 nach 3,3 Prozent gesenkt.

Selbst die erholte Konjunkturstimmung im Verarbeitenden Gewerbe Deutschlands und der Eurozone sollte nicht als Trendwende interpretiert werden. Es fehlen noch die harten Fakten. Insbesondere die Stimmung im Dienstleistungssektor - in Deutschland fiel der Einkaufsmanagerindex auf ein 16-Monats-Tief von 51,7 auf 50,6 - leidet stark unter den Symptomen einer konjunkturell und geopolitisch verunsicherten Nachfrage. Insgesamt bleibt die Konjunkturerholung der Eurozone blutleer.


Die Aktienalternative überzeugt nicht

Unter normalen Bedingungen wäre eine gesunde Skepsis der Anleger dem Aktienmarkt gegenüber auch mit Blick auf geopolitische Gefahrenherde grundsätzlich angebracht. „Unnormalerweise“ kommen jedoch anhaltend starke Aktienargumente von der Geldpolitik als alles überstrahlende Faktoren. Der nachhaltige Ausfall des Zinsvermögens als attraktive Alternativanlageklasse bleibt ein massiv aktienstützendes Element.



Charttechnik DAX und Euro Stoxx 50 - Stabilisierungsversuche nach dem Rutsch

Charttechnisch trifft eine fortgesetzte Erholung im DAX bei 10.679 Punkten auf ersten Widerstand. Darüber warten Barrieren bei 10.743 und 10.802. Im Falle einer fortgesetzten Korrektur trifft der Index bei 10.535, 10.490 sowie 10.420 auf erste Unterstützungen. Darunter treten die Haltelinien bei 10.383, 10.250 und schließlich 10.128 Punkten in den Vordergrund.

Im Euro Stoxx 50 kommt es zur weiteren Entspannung, wenn der Widerstand bei 3.063 überwunden wird. Kommt es zu einer Gegenreaktion, warten erste Unterstützungen bei 3.043 und 2.992 Punkten. Darunter liegt eine Unterstützungszone zwischen 2.950 und 2.930. Wird diese spürbar unterschritten, drohen weitere Kursverluste bis zur nächsten nennenswerten Auffanglinie bei 2.690 und darunter in Richtung des bisherigen Jahrestiefs bei 2.672 Punkten.


Der Wochenausblick für die KW 39 - Was macht der ifo?

Auf dem Treffen der OPEC-Staaten mit Russland vom 26. bis 28. September in Algier dürfte es erneut zu keiner Einigung auf Öl-Fördergrenzen kommen, die den Ölpreis nachhaltig nach oben stabilisieren.

In China signalisiert die Verstetigung des vom Finanzdatenanbieters Caixin veröffentlichten Einkaufsmanagerindex für das Verarbeitende Gewerbe eine Konjunkturstabilisierung auf allerdings niedrigem Niveau.

In den USA verdeutlichen im August erneut rückläufige Auftragseingänge für langlebige Güter die angeschlagene Situation der US-Industrie. Hinzu kommt, dass sich auch das US-Konsumentenvertrauen laut Daten des Conference Board eintrübt.

In der Eurozone bestätigen schwache Inflationsschätzungen für September die EZB in ihren Bestrebungen einer nachhaltigen geldpolitischen Lockerung. Auch das von der EU-Kommission veröffentlichte Industrievertrauen bleibt verhalten.

In Deutschland dürfte die ifo Geschäftsklimadaten ihren Abwärtstrend der letzten beiden Monate stoppen, ohne jedoch einen nennenswerten Aufwärtstrend einzuschlagen. Währenddessen zeigt sich die Binnenkonjunktur gemäß GfK Konsumklimaindex und Einzelhandelsumsätzen robust.

HALVERS WOCHE

Die Welt ertrinkt in Schulden - Was heißt das für die Geldanlage?

Das Thema „Schuldenkrise“ findet sich kaum noch in öffentlichen Schlagzeilen. Aber ist es tatsächlich verschwunden? Nein, genauso wenig wie Unkraut auf Streuobstwiesen. In Europa sind es nicht nur die üblichen Verdächtigen Griechenland oder Portugal, sondern längst auch Frankreich, Italien und Spanien, die bis Oberkante Unterlippe verschuldet sind.


Präsident Obama hat die US-Staatsverschuldung in seiner Amtszeit verdoppelt

In Amerika vermehrt sich die Staatsverschuldung wie Viren in der Erkältungszeit. Mittlerweile haben sich dort nahezu 20 Billionen angehäuft. Präsident Obama wird als der bisher dynamischste aller Schuldenmacher in die US-Finanzgeschichte eingehen. Er wird die seit Gründung Amerikas 1776 bis zu seinem Amtsantritt im Januar 2009 aufgelaufene Staatsverschuldung am Ende seiner achtjährigen Dienstzeit Anfang 2017 glatt verdoppelt haben. Während Onkel Dagobert Duck im Comic in Golddukaten badet, schwimmt Uncle Sam in Amerika in Schuldpapieren.


Bei strikter Befolgung der Stabilitätskriterien könnte selbst Deutschland der Währungsunion heute nicht mehr beitreten

Japan steht mit dem 2,5-fachen seiner Wirtschaftsleistung so hoch in der Kreide, dass Griechenland dagegen so etwas wie der Hort der Stabilität ist. Deutschland ist im Vergleich dazu zwar bonitätsstabil wie Granit. Dennoch erfüllen selbst wir das Maastricht-Stabilitätskriterium einer auf 60 Prozent zur Wirtschaftsleistung begrenzten Staatsverschuldung nicht mehr: Bei strikter Befolgung der Stabilitätskriterien - zugegebenermaßen sind diese inzwischen in die ewigen Finanz-Jagdgründe eingegangen - könnte Deutschland der Währungsunion mit einem aktuellen Verhältnis von 70 Prozent also gar nicht mehr beitreten.

Die günstigen Zinsen wirken wie Backhefe auf den Verschuldungs-Kuchen

Die globale Gesamtverschuldung liegt beim Dreifachen der Weltwirtschaftsleistung!

Staatliche Neuverschuldung als Kleber für den (sozial-)politischen Zusammenhalt Europas

Die Zins-Baisse nährt die Kredit-Hausse

Nur mit dem Blick auf staatliche Verschuldungen lässt sich das Ausmaß der globalen Verschuldungskrise allerdings nur unvollständig erfassen. Auch die private Verschuldung ist ein globales Monster, das in den Kunstdünger gefallen zu sein scheint. In den USA beträgt die außer-staatliche Verschuldung bereits annähernd 50 Billionen US-Dollar. US-Konsumenten verschulden sich längst wieder mit der früher so typischen Wollust. Und wegen „money for nothing“ finanziert auch Corporate America immer mehr Übernahmen mit Schulden bzw. kauft Aktien zurück und ersetzt teure Dividendenrenditen durch billige Kreditzinsen. Amerikanische Unternehmen sind heute so hoch verschuldet wie selten zuvor.

Ja, die günstigen Zinsen wirken wie Backhefe auf den Verschuldungs-Kuchen. Ohne Schulden scheint der amerikanische Traum nicht mehr darstellbar zu sein. Gesamt-Amerika ist zurzeit mit dem 3,5-fachen der US-Wirtschaftsleistung verschuldet.

Und die ach so robusten Emerging Markets? Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) warnt, dass sich China in einer ausgewachsenen Kreditblase befindet. Das private Kreditwachstum liege deutlich über den bereits unhaltbaren Zuständen von vor der Asienkrise 1997 und vor der US-Immobilienkrise 2008. Zur Aufrechterhaltung der Illusion der stabilitätspolitischen Tugendhaftigkeit schweigt des chinesischen Statistikers Höflichkeit in puncto Ausweisung konkreter und schockierender Schuldenstände.

Alles zusammen genommen liegt die globale Verschuldung beim Dreifachen des Welt-Bruttoinlandsprodukts. Somit ist der irdische Schuldenstand nicht annähernd durch weltwirtschaftliche Vermögensmasse als Sicherheit abgedeckt. Seit der Immobilienkrise 2008 hat die Weltverschuldung um ca. 60 Billionen Dollar auf jetzt 230 Billionen zugenommen. Dieser Zuwachs innerhalb von noch nicht einmal 10 Jahren entspricht dem ca. 18-fachen der deutschen Wirtschaftsleistung von 2015. Halleluja!

Und wird die Finanzwelt irgendwann vom Schulden-Saulus zum Tugend-Paulus? Eher glaube ich an den Weihnachtsmann oder den Klapperstorch. Beide US-Präsidentschaftskandidaten machen mit Investitionsvorhaben Wahlkampf, die nur mit neuen Schulden finanzierbar sind. So wie die alten Präsidenten sungen, so zwitschern eben auch die jungen. Und egal, ob Kreditkartenschulden, Studentendarlehen oder Baufinanzierungen, die privaten US-Schulden wachsen wie Pilze im Wald. Wegen der wirtschaftlichen Schwäche Europas, die museumshaften Industriestrukturen und politischen Zentrifugalkräften geschuldet ist, wird staatliche Neuverschuldung als Kleber für den wirtschaftlichen und EU-Zusammenhalt eingesetzt. Auch in China gilt: Im Falle eines Falles klebt die Schuldenpolitik konjunkturell wirklich alles.

Ein ordentlicher Schuldendienst ist heutzutage für viele Staaten eine Illusion, die selbst ein David Copperfield nicht mehr aufrechterhalten könnte

Selbst Sankt Martin könnte nicht großzügiger sein

Wer soll das bezahlen, wer hat so viel Geld?

Aufgrund der exorbitanten Staatsverschuldung der Welt bei gleichzeitig verhaltener Konjunkturstärke und staatlicher Einnahmeschwäche ist ein ordentlicher und souveräner Schuldendienst durch den Staat mehr und mehr eine Illusion, die selbst ein David Copperfield nicht mehr aufrechterhalten könnte. Würde man Ländern diese eigentlich zu einem ordentlichen Kreditvertrag gehörenden Gegenleistungen dennoch „zumuten“, müsste in den Staatshaushalten radikal gespart werden. Man stelle sich vor, es würden großflächig Schulen oder Krankenhäuser geschlossen oder Sozialleistungen und Renten gekürzt. An sozialen Unruhen hat keine Regierung Interesse.

Wer finanziert also den Kleber für die schuldengestützte weltwirtschaftliche Stabilität? Nun, wenn man denkt, es geht nicht mehr, kommt von irgendwo die Geldpolitik daher. Die Notenbanken kaufen Schulden der Staaten und Unternehmen auf und drücken damit gleichzeitig die Kreditzinsen, damit die Finanzminister und -chefs auch morgen noch kräftig zubeißen, d.h. neue Schulden machen können.

Die internationalen Notenbanken als eingeschworene Bruder- und Schwesternschaft des billigen und üppigen Geldes lassen sich nicht lumpen. So sind in der Eurozone bereits über eine Billion Anleihepapiere auf Marios Resterampe gelandet. Dieses globale Wohlfahrtsamt zur Glücklichmachung von Schuldnern kauft für ca. 200 Milliarden US-Dollar Anleihen auf, monatlich! Selbst Sankt Martin könnte nicht großzügiger sein.

Mario Draghi ist der Schutzpatron der europäischen Staatsschulden

Wenn Notenbanken keine Inflation mehr bekämpfen ist das so, als ob Zahnärzte Karies und Parodontose dulden

Geld- und Fiskalpolitik sind eine Schicksalsgemeinschaft auf Ewigkeit

Allerdings ist aus dieser zunächst freiwilligen Kauflust der Zentralbanken inzwischen ein Kaufzwang geworden. Denn private und institutionelle Anleger werden Staaten und mittlerweile auch Unternehmen nur widerwillig Schuldenpapiere mit Negativrendite abnehmen. So steht China ausländischen Schuldpapieren immer kritischer gegenüber. China will Vermögensverwaltung, nicht dessen Vernichtung.

Und der Kaufzwang der Geldpolitik wird noch größer, wenn durch die sintflutartige Liquiditätsversorgung die Inflation ansteigen sollte. Normalerweise würden - wie früher marktwirtschaftlich üblich - die höheren Preissteigerungsraten zum Realausgleich auf die Anleiherenditen drauf geschlagen. Dann jedoch wären die allermeisten Länder nicht mehr schuldentragfähig. Trotz Inflation muss es insofern bei „Diät-Renditen“ bleiben. Dann allerdings müssten Anleger schon ausgewachsene Masochisten sein, wenn sie bei Anleihen mit noch geringeren Realrenditen zugriffen. Die wird man aber kaum noch finden.

Diese allgemeine Kaufunlust wird die internationale Geldpolitik gemäß dem Motto „Geld-Patronin voller Güte, unsere Finanzwelt alle Zeit behüte“ mit Fortsetzung eines Niedrigzinsumfelds und sintflutartiger Liquiditätsversorgung ausgleichen (müssen).

Insgesamt haben die Zentralbanken den point of no return erreicht. Die Empfindlichkeiten unserer Schuldenwelt vertragen keinen Zinsschock mehr. Die Geldpolitik ist gezwungen, an den Kreditmärkten planwirtschaftlich für die nachhaltige Happy Hour der Schuldner zu sorgen, weil ansonsten die Schulden-Party mit dem dicksten Finanz-Kater aller Zeiten enden würde. Mit einer zins- und liquiditätspolitischen Schubumkehr würden die Notenbanken zu großen Abrissbirnen an den Anleihemärkten. Es käme zu einem weltweiten Anleihe-Crash mit allen realwirtschaftlichen Folgeschäden. Es ist ein geldpolitisches Armutszeugnis: Notenbanken können ihre eigentliche Aufgabe - die Inflationsbekämpfung - heutzutage nicht mehr wahrnehmen. Stellen Sie sich vor, Zahnärzte würden Karies und Parodontose nicht mehr behandeln.

Ehe eine Rückkehr zur alten geldpolitischen Normalität stattfindet, wird der neue Berliner Flughafen eröffnet.

Gar nicht mehr!

Edelmetalle als sachkapitalistische Helden im Kampf gegen den Schulden-Schlendrian

Und wenn dich dein Zins nicht liebt, wie gut, dass es Gold und Aktien gibt!

Wann gibt’s mal wieder richtig Zinsen?

Gar nicht mehr! Außer einem billigen Plastiksparschwein werden sie am nächsten Weltspartag nichts mit nach Hause nehmen. Und je mehr den Anlegern die zinslosen Risiken bewusst werden, umso mehr müssen sie auf Sachkapital umsatteln.

Als sachkapitalistische Helden sollten Gold und Silber nicht ver-, sondern gekauft werden. Einen dramatischen Preisanstieg werden die Notenbanken zwar zur Verhinderung einer Ersatzwährung zu Euro, US-Dollar oder Yen verhindern. Bullenmärkte wie 1970 bis 1974, 1976 bis 1980 und 2001 bis 2011 sind vorerst leider illusorisch. Jedoch profitieren Edelmetalle in unserer vom geldpolitischen Durchlauferhitzer finanzierten Schuldenwelt von ihrer stabilen Werterhaltungsfunktion. Gold und Silber behalten selbst im Extremfall ihre Knackfrische. Dagegen wurden Staatsschulden früher oder später - immer, ohne Ausnahme - zu Fallobst, entweder durch Hyperinflation oder durch Ausbuchung z.B. im Rahmen von Währungsreformen wie 1948 in Deutschland. An dieser Stelle möchte ich erwähnen, dass fast 80 Prozent der Bundesbürger ihr Geldvermögen in Zinspapieren ansparen. Was für ein enormes theoretisches Verlustpotenzial!

Das Gegenargument, das physisches Gold oder Silber keine Jungen in Form von Rendite bekommen, ist übrigens mausetot. Denn auch die große Alternativanlageklasse „Zinsvermögen“ leidet dramatisch unter Nachwuchssorgen.

Der Renditeausfall im Zinsvermögen macht ebenso Aktien zu einem Schuldenkrisen-Gewinner. Titel wie z.B. Daimler oder Siemens haben zwei Weltkriege überlebt. Haben das Staatspapiere auch? Qualität ist durch nichts kaputtzukriegen. Und als Sachkapitalwerte sind Aktien nicht zuletzt Inflationsgewinner. Bei Preissteigerungen, die geldpolitisch nicht mehr behandelt werden (können), werden sie angehoben wie Schiffe bei Flut.

Der guten alten Zinszeit und stabilen Notenbanken wie der Deutschen Bundesbank kann man nachtrauern. Auch ich vermisse sie sehr. Aber grämen wir Anleger uns nicht. Wir müssen das Beste daraus machen. Wir sollten unser Anlageverhalten frei am früheren Schlager der Spider Murphy Gang „Skandal im Sperrbezirk“ orientieren: Und wenn dich dein Zins nicht liebt, wie gut, dass es Gold und Aktien gibt!

VOLKSWIRTSCHAFTLICHE PROGNOSEN AUF EINEN BLICK

KAPITALMARKT AUF EINEN BLICK

2 Kommentare

Du willst kommentieren?

Die Kommentarfunktion auf stock3 ist Nutzerinnen und Nutzern mit einem unserer Abonnements vorbehalten.

  • für freie Beiträge: beliebiges Abonnement von stock3
  • für stock3 Plus-Beiträge: stock3 Plus-Abonnement
Zum Store Jetzt einloggen
  • Unbedingt
    Unbedingt

    Haben die Rating-Agenturen nicht mehr Einfluss auf die Inflation als die Zentralbanken?

    16:07 Uhr, 23.09.2016