Kommentar
16:20 Uhr, 07.09.2016

Zinsen und die "negative Geldillusion"

Erwähnte Instrumente

  • Euro-Bund Future
    ISIN: DE0009652644Kopiert
    Kursstand: 165,58 € (Commerzbank CFD) - Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung
  • Die niedrige Inflation führt zu einer "negativen Geldillusion". Sparer und Anleger rechnen sich häufig ärmer, als sie tatsächlich sind.
  • Niedrige oder negative Zinsen müssen sich nicht zwangsläufig schlecht auf die Altersvorsorge auswirken. Es kommt vielmehr auf die Preissteigerung an.
  • Die sonstigen Schäden durch anhaltend niedrige oder negative Zinsen auf Finanzdienstleister bleiben freilich bestehen.

Alle klagen über die niedrigen Zinsen. Sie erschweren die Vorsorge für das Alter. Sie entmutigen die Sparer. Sie bringen Banken und Versicherungen in Schwierigkeiten. Jeder kennt die Litanei der Vorwürfe.

Viele dieser Klagen sind gerechtfertigt, wenn auch manchmal etwas zu pauschal und überzogen. Andere sind aber schlichtweg falsch. Der Grund dafür liegt häufig in der Geldillusion. Über Jahrzehnte beklagten wir uns in der Vergangenheit darüber, dass die steigenden Preise die tatsächlichen Verhältnisse in der realen Welt verfälschten. Wir rechneten uns durch die Inflation reicher, als wir tatsächlich waren. Wir glaubten, dass höhere Einkommen und höhere Zinsen gut für uns seien, bis wir merkten, dass die Inflation einen Teil der Vorteile wieder aufzehrte.

Jetzt ist es umgekehrt. Wir rechnen uns durch die niedrige Preissteigerung häufig ärmer als wir es de facto sind. Das ist, wenn man so will, eine "negative Geldillusion". Sie gilt für viele Bereiche des Lebens. Sie trifft aber auch für die Zinsen zu. Sie erklärt vielleicht auch etwas von der schlechten Stimmung, die derzeit in der Gesellschaft herrscht. Es ist daher nötig, in der Diskussion einiges richtig zu stellen. Dabei stößt man auf erstaunliche Ergebnisse.

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Das Grundproblem ist, dass Zinsen isoliert betrachtet werden. Sie werden nicht in den Kontext der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, vor allem nicht der Preisentwicklung eingebunden. Das ist aber notwendig, um ein richtiges Bild zu bekommen. Je niedriger die Inflation, umso weniger müssen die Renditen eine Entschädigung für die Geldentwertung des Sparers enthalten. Umso niedriger können sie sein, ohne dass der Anleger davon Nachteile hat.

Schauen Sie sich die Grafik an. Da zeigt sich, dass sich die Renditen für 10-jährige Bundesanleihen lange Zeit weitgehend unabhängig von der Inflationsrate bewegten. In den letzten fünf Jahren ist das anders. Renditen und Inflation entwickeln sich fast parallel. Der Realzins, also der Nominalzins abzüglich der Preissteigerungsrate, bleibt gleich. So etwas hat es über einen so langen Zeitraum meines Wissens bisher noch nicht gegeben. Das muss bei der Beurteilung der Auswirkungen der Zinsen berücksichtigt werden.

Der wichtigste Bereich ist hier die Altersvorsorge der Anleger. Alle beschweren sich, dass sie beim Sparen weniger Zinsen bekommen und daher für die gleiche Altersvorsorge noch mehr auf die hohe Kante legen müssen. Es gibt keine oder nur noch geringe Zinseszinsen. Sie bedenken dabei aber nicht, dass die Altersvorsorge gar nicht gleich bleiben muss. Sie kann kleiner ausfallen, weil die Inflation wegen der niedrigeren Preissteigerung nicht mehr so viel von der Ersparnis für das Alter auffrisst. Es muss also – wenn die Preissteigerung dauerhaft niedrig ist – weniger gespart werden, um real den gleichen Rentenbetrag zu bekommen.

Um genauer zu sein: Wenn Zinsen und Inflation im gleichen Ausmaß zurückgehen, dann ändert sich für die Altersvorsorge gar nichts. Sie ist entgegen allen Klagen, die immer wieder geäußert werden, genauso schwer wie sie vorher war. Das ist paradox.

Natürlich ist das unter den heutigen Bedingungen nur ein schwacher Trost. Altersvorsorge bleibt mühsam. Denn der Realzins ist nach wie vor niedrig. Das ist aber nichts Neues. Seit zehn Jahren bewegt er sich in einer Größenordnung von 1 %. Das ist freilich nicht die Schuld der widrigen monetären Gegebenheiten. Der Realzins spiegelt vielmehr die Verhältnisse in der Realwirtschaft wider, also das Wachstum, die demographischen Veränderungen, das Verhältnis von Sparen und Investieren und vieles andere. Solange sich daran nichts ändert, bleibt der Realzins so niedrig wie er ist. Wer einen höheren Realzins will, muss nicht die Geldpolitik verändern, sondern muss für mehr Wachstum sorgen.

Wo sich diese Effekte freilich nicht auswirken, ist bei Pensionskassen, Versicherungen und Banken. Sie müssen für die Altersvorsorge ihrer Kunden unabhängig von der Preisentwicklung feste Beträge einkalkulieren. Sie leiden sogar darunter, wenn die Kunden wegen der geringeren Inflation weniger für das Alter vorsorgen und sie daher weniger Zuflüsse von Kundengeldern haben. Auch der negative Einfluss niedriger Zinsen auf die Finanzmärkte bleibt. Bei Aktien, Bonds und Immobilien haben sich zum Teil Blasen gebildet. Sie können eines Tages platzen und bei Wachstum und Beschäftigung Schäden anrichten. Der Verweis auf die Geldillusion ist daher keine "Ehrenrettung" der niedrigen Zinsen. Sie bleiben gefährlich.

Für den Anleger

stellt sich die Frage, wie es mit Zinsen und Inflation weitergehen wird. Selbst die EZB geht davon aus, dass die Preissteigerung im kommenden Jahr wieder zunehmen wird (auf 1,3 % im Jahresdurchschnitt). Werden die Zinsen dann ebenfalls nach oben gehen? Ich vermute ja. Das wäre jedenfalls die normale Reaktion. Ein solches Ergebnis ist aber angesichts der hohen Wertpapierkäufe der Zentralbanken nicht zwangsläufig. Es könnte auch dazu kommen, dass die Nominalrenditen gleich bleiben und die Realrenditen sinken. In den USA haben sich die höheren Preissteigerungsraten insgesamt nicht negativ auf die Bondmärkte ausgewirkt. Am Aktienmarkt würden sich steigende Inflation positiv auf das Kursniveau auswirken (weil die Gewinnmargen steigen), steigende Zinsen dagegen negativ. Das Ergebnis ist unsicher. Wichtig noch ein Nebeneffekt: Steigende Zinsen wären gut für die Papiere von Finanzdienstleistern. Die Renditestruktur wird dann nämlich steiler (die Banken können also im Einlagengeschäft wieder Geld verdienen). Neuanlagen für Versicherungen und Pensionsfonds würden wieder besser verzinst.

Anmerkungen oder Anregungen? Ich freue mich auf den Dialog mit Ihnen: martin.huefner@assenagon.com.

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7 Kommentare

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  • Unbedingt
    Unbedingt

    Müsste man nicht so fragen: Wie (und wo) hat sich die Produktivität erhöht? Wieviel davon ist in Steuern, Einkommen und Preissenkungen geflossen? Hat man die verbilligten Waren vorzugsweise im Inland oder Ausland verkauft? Haben die Beschäftigten zusätzliche Einkommen eher ausgegeben oder gespart bzw zur Alterssicherung zurück gelegt? Haben die Banken oder Versicherungen einen Teil dieses Geldes schon verzockt? Oder leben sie noch davon?

    16:19 Uhr, 08.09.2016
  • kriva
    kriva

    Sind Sie wirklich Volkswirt. So einen Mist habe ich selten gelesen.

    Man merkt für wen Sie arbeiten.

    Sie wissen genau, das die Inflation aus einem gefälschten Warenkorb berechnet wird.

    Dann bringen Sie mal Ihr Auto in die Werkstatt, lassen die Handwerker kommen und beantragen einen Platz im Pflegeheim--dann wissn Sie was Inflation ist.

    Und glauben Sie allen Ernstes, dass Zocker Draghi die Inflation bei 2 Prozent halten kann. Lächerlich.

    Wenn ich heute eine LV über 30 Jahre abschliesse und die Inflation galoppiert irgendwann--

    dann ist das Geldvernichtung im Quadrat.

    So einen Schwachsinn haben Sie vor 9 Monaten auch zur Arbeitsintegration von Asylanten geschrieben. Alle DAX Unternehmen haben keine Hundert Asylanten eingestellt.

    Auch nach 7 Jahren in Deutschland ist die Arbeitslosenquote extrem hoch. Aber Ihr Unternehmen hat bestimmt viele eingestellt.

    22:31 Uhr, 07.09.2016
    1 Antwort anzeigen
  • Brigand
    Brigand

    "Renditen und Inflation entwickeln sich fast parallel. Der Realzins, also der Nominalzins abzüglich der Preissteigerungsrate, bleibt gleich. " - So einen Quatsch erzählt Schäuble und Draghi auch immer!

    Mein persönliches Empfinden: In den letzen 1-2 Jahren hat die Inflation gewaltig zugeschlagen... Hat auch was mit dem Mindestlohn zu tun. Oder glauben Sie das Unternehmer die Lohnerhöhung auf Mindestlohn aus eigener Tasche bezahlen? Ich nicht, die gut bezahlten Studentenjobs gebe ich an meine Kunden weiter.

    Nicht überall ist das so, aber die Inflation ist da!

    Ein paar Beispiele gefällig? Ein Döner in meinem Lieblingsladen hat letztes Jahr noch 4Euro gekostet, bezahle heute 4,50Euro. Sauna Eintritt hat letztes Jahr 18,60 gekostet, heute 20,50Euro. Für Schornsteinfeger, Briefpost, Strafzetteln..... gebe ich auch deutlich mehr aus. Von Inflation an Aktienmärkten, Imobilien und vor allem Handwerker Dienstleistungen brauchen wir an dieser Stelle gar nicht zu reden...

    21:06 Uhr, 07.09.2016
  • Gone Fishing
    Gone Fishing

    A.: die Realinflation/ Teuerung der realen Ausgaben/Lebenshaltungskosten liegt in den meisten EU-Ländern bei 5% bis 10% pro Anno. Allein die sukzessiven Erhöhungen der Mwst. in diesem Zeitraum hat einen effektiven Beitrag dazu geleistet, wird aber statistisch oft rausgerechnet. Da einige Länder bereits überteuert in den Euro eingestiegen sind, wird für die Eurozone als Zone die Illusion kreiert die Inflation sei Null.

    B.: Annahme 100.000,- Ersparniss, 6% Zinsen und 500 Euro im Monat "Bedarf" für Reparaturen/Unvorhergesehenes/Urlaub/Luxusgüter/Steuern. Die 6.000,- dafür hatte man aus den Zinsen zur Verfügung und konnte sich real dafür etwas leisten/kaufen. Das geht nun a.) über Verzicht oder b.) über Entnahme - nach 5 Jahren sind es keine 100.000 mehr, sondern nur 70.000 - nach 10 Jahren 40.000 - wenn das Rentenalter dann erreicht wird eben Null.

    C.: der Zinseszinseffekt geht komplett verloren, der ist ja auch nur in den letzten Jahren richtig wirksam und nicht am Anfang.

    Bsp.: 100.000 6% 10 Jahre = 179.085; 100.000 6% 25 Jahre = 429.187

    Im vereinfachten Bsp. hätte selbst ein 40 jähriger (selbst 50 jähriger) mit 100.000 Ersparniss noch gute Chancen den Lebensabend einigermassen würdevoll zu gestalten, insbesondere da ja auch die Entnahme nicht am Tag 1 passiert sondern der Grossteil der Ersparniss weiterhin theoretisch mit 6% verzinst wird.

    Wir leben in ratlosen Zeiten, denn die Ansparung hat vor der Einführung des Euros funktioniert, egal ob man nun DM, Escudos oder Drachmen gespart hatte zu unterschiedlichen Zinssätzen oder als Währungsmix.

    Nur eines ist sicher, die Preise in Europa werden in 20 Jahren mindestens doppelt so hoch sein wie heute.

    PS: Rolex-Submariner 116610ln, Stahl, 2012 = 5.400 EUR; 2013 = 5.900 EUR; 2014 = 6.400 EUR; 2015 = 6.900 EUR; 2016 = 7.400 EUR um nur ein Beispiel für Null Inflation und Presisstabilität zu nennen

    18:33 Uhr, 07.09.2016
    1 Antwort anzeigen
  • backstage
    backstage

    Sehr geehrter Herr Hüfner, Sie widersprechen sich ja partiell selbst, man sieht doch an Ihrer Graphik sehr genau, daß die Differenz zwischen Rendite und Inflationsrate tendenziell über den ganzen Betrachtungszeitraum zurückging, um schließlich ab circa 2011 bei NULL zu landen und seitdem dort zu verharren. Ergo hat sich die Lage für den Geldsparer deutlich verschlechtert. Und das ist keine Illusion.

    Ich kann mich noch daran erinnern, daß ich auf mein 30-Tage-Festgeld über 6% Zinsen p.a. erhalten habe. Da konnte man zusehen, wie das Geld jeden Monat um einen halben Prozentpunkt wuchs, daaas war doch nett.....und ein kleines Zusatzeinkommen war es doch, denn schließlich erhöhte sich mein Gehalt damals wie heute nicht monatlich im Gleichschritt mit der (sowieso offiziell zu niedrig ausgewiesenen) Inflation.

    Die einzige Möglichkeit, heute noch zu sparen, ohne jeden Tag sein Portfolio managen zu müssen ist es, sich für einen werthaltigen Sachwert zu verschulden und so die niedrigen Zinsen auszunutzen. Der Sparvorgang mutiert zum Entschuldungsvorgang.

    Ist wahrscheinlich angesichts der bevorstehenden Frankreich-Wahl sowieso besser, nicht nur in EUR denominierte Aktiva, sondern gleichermaßen auch ein paar EUR-Passiva zu halten......

    17:10 Uhr, 07.09.2016