Kommentar
06:31 Uhr, 28.07.2016

Wirtschaftliche Stagnation - der wahre Grund!

Nobelpreisträger Robert Shiller klärt auf und beleuchtet die wahren Hintergründe für die aktuell vorherrschende Unsicherheit und das langsame Wirtschaftswachstum.

Vergangene Woche lieferte Robert Shiller einen prägnanten Beitrag, der die Hintergründe der wirtschaftlichen Stagnation beleuchtet. Die Theorie dahinter ist sehr einfach. Es bleibt jedoch nicht allein bei der Theorie.

Seit der Finanzkrise kommt die Wirtschaft nirgends auf der Welt so richtig in Schwung

Deutschland galt lange Zeit mit seinem Wachstum von 1,5 % als Konjunkturlokomotive. Wäre es nicht so traurig, müsste man herzhaft lachen. Zumindest aber ist die Lokomotive nicht besonders kraftvoll, wenn es um 1,5 % Wachstum geht oder es ist sehr wenig Dampf im Kessel.

Der Dampf im Kessel fehlt in Europa, in Asien, in Südamerika, aber auch in Nordamerika – praktisch also überall auf der Welt. Zu erklären ist dies mit der Zurückhaltung von Unternehmen und Konsumenten. Diese halten sich mit Investitionen und Konsumausgaben zurück. Wieso aber halten sie sich trotz ultraniedriger Zinsen zurück?

Wirtschaftsakteure halten sich vor allem aus zwei Gründen zurück

Entweder wollen sie nicht investieren oder sie können nicht. Ersteres trifft auf viele Unternehmen zu. Sie könnten investieren, wollen aber nicht. Letzteres trifft mehr auf Konsumenten zu. In vielen Ländern haben Konsumenten nicht die finanziellen Mittel, ihre Ausgaben zu steigern, doch selbst in Ländern, in denen sie es könnten, tun sie es nicht.

Diese Zurückhaltung ist nicht vom Himmel gefallen. Sie ist auf eine erhöhte Unsicherheit zurückzuführen. Wenn die Zukunftsaussichten unsicher sind, hält man das Geld lieber beisammen, anstatt es mit beiden Händen auszugeben. Es herrscht eine hohe Risikoabneigung vor.

Unternehmen halten sich mit Neueinstellungen zurück

Das zeigt sich sogar in Ländern wie Spanien, wo die Wirtschaft mit mehr als 3 % wächst, die Arbeitslosigkeit aber nur sehr zaghaft zurückgeht. Investiert wird wenig. Stattdessen horten Unternehmen Geld oder nutzen die niedrigen Zinsen für Financial Engineering. Das ist vor allem ein US-Phänomen. Dort nehmen Unternehmen Schulden auf, um Aktienrückkäufe und Dividenden zu finanzieren. Die Aktienkurse können so weiter steigen, obwohl die Unternehmen selbst nicht mehr wachsen.Der Auslöser für die Unsicherheit ist schnell identifiziert.

So lange ist es noch nicht her, dass das Weltfinanzsystem vor dem Abgrund stand

Das Weltwirtschaftswachstum brach 2008/09 dramatisch ein, doch dank der Intervention von Notenbanken (Zinssenkungen, QE) und Regierungen (Konjunkturprogramme) gab es einen raschen Rebound in den Jahren 2010 und 2011.

Dem Rebound folgte ein neuerlicher Rückgang des Wachstums. Seitdem siecht das Wachstum auf niedrigem Niveau dahin, obwohl es dafür eigentlich keinen Grund gibt. Vielen Ländern geht es zwar schlecht, doch es gibt ebenso viele, in denen die Lage gut ist (USA, Deutschland usw.). Trotzdem kommt das Wachstum nicht vom Fleck. Unternehmen und Konsumenten halten an ihrer Zurückhaltung fest.

Die Zurückhaltung wird von wahrgenommener Unsicherheit genährt, die man messen kann

Dafür wurde eine Messmethode entwickelt. Das Resultat ist ein Economic Policy Uncertainty (EPU) Index. Er zeigt die Unsicherheit über wirtschaftliche bzw. wirtschaftspolitische Vorkommnisse an.

Der EPU Index (blaue Linie) für die USA ist in Grafik 1 dargestellt. Es zeigt sich tendenziell eine negative Korrelation zwischen hohen EPU-Werten (hohe Unsicherheit) und Wirtschaftswachstum. Da der EPU-Index die Verbreitung von Unsicherheit misst, macht das Sinn. Je mehr in den Medien Unsicherheit gestreut wird, desto eher sind Wirtschaftsakteure bereit, sich in Zurückhaltung zu üben.

Die negative Korrelation ist vor allem seit Anfang der 90er Jahre sehr gut erkennbar. Mit einer gewissen Besorgnis muss man daher auch zur Kenntnis nehmen, dass der Index zuletzt wieder deutlich anstieg. Der Anstieg ist nicht auf die USA begrenzt (s. Grafik 2).

Der Schuldige für den Anstieg in diesem Jahr ist schnell gefunden. Das zeigt Grafik 3. Hier ist der EPU Index für Großbritannien dargestellt. Es ist unschwer zu erkennen, dass das Referendum für extreme Unsicherheit gesorgt hat. Diese Unsicherheit wird sich so schnell nicht wieder verflüchtigen. Zudem erreicht der Index in Großbritannien einen neuen Höchstwert. In den meisten anderen europäischen Ländern werden ebenfalls Höchstwerte gemessen.

Solange die extreme Unsicherheit nicht verschwindet – und sie wird von der Berichterstattung hervorragend genährt – ist nicht mit einem nachhaltigen Turnaround zu rechnen. Die gestiegene Unsicherheit ist übrigens nicht nur auf den Brexit zurückzuführen.

Auch die hyperaktiven Notenbanken sorgen für Unsicherheit

Notenbanken wollen zwar eigentlich das Vertrauen der Menschen stärken, doch durch ihre permanente Präsenz und die Diskussion darüber, wie schlecht die Lage ist und was sie nicht noch alles tun können, wenn sie müssen, nähren sie die Verunsicherung. Medial wird das teilweise auf eine groteske Art und Weise aufbereitet. Hier wird jedes Augenrollen eines Notenbankers durch Sensationsmeldungen aus allen Blickwinkeln beleuchtet.

Theoretisch könnte die Wirtschaft global wieder anspringen, wenn die Verunsicherung nachlassen würde. Realistisch ist das aus zwei Gründen nicht.

Zum einen verkaufen sich Negativschlagzeilen einfach besser. Medien sollen natürlich über alles berichten und negative Nachrichten nicht ausklammern, doch etwas mehr Ausgeglichenheit wäre wünschenswert. Zum anderen tun Notenbanker und Politiker alles in ihrer Macht Stehende, um die Unsicherheit weiter am Leben zu erhalten. Anstatt Reformen anzupacken und durchzuziehen, werden Reformen verschleppt, nur diskutiert und niemals umgesetzt. Das sorgt für einen nie enden wollenden Nachschub an Nachrichten, der die Verunsicherung weiter nährt.

Nimmt man hypothetisch an, dass auf einmal alle negativen Nachrichten verschwinden: Was dann? Explodiert dann das Wirtschaftswachstum? – Eher nein. Es kann sich zwar etwas beschleunigen, sich aber nicht verdoppeln. Dafür haben die meisten Konsumenten einfach nicht das Geld.

Clemens Schmale

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16 Kommentare

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  • Weißer Ritter
    Weißer Ritter

    Letztendlich bedarf es der vielen Worte nicht: Die Wirtschaft kann nicht wachsen, weil sie durch ein aberwitziges Steuerniveau, völlig übertriebene Auflagen in allen Bereichen (Umwelt, Gesundheit, Brandschutz, was ihr wollt) und eine pseudomoralische Wirtschaftspolitik, die bestimmte Zweige kaputt macht und nicht rentable hätschelt, stranguliert wird. Diese Fakten liegen für alle klar zutage, die noch denken können. Aber wer kann noch vernünftig denken? An die Stelle der Vernunft ist in den Köpfen zu vieler eine verlogene Gefühligkeit getreten. Insbesonderre auch, und das ist das eigentlich schockierende, bei denen, die große Verantwortung in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft tragen.

    07:53 Uhr, 28.07.2016
  • Gone Fishing
    Gone Fishing

    Die Korrelation zwischen absoluter Steuerhöhe und Wirtschaftswachstum ist wesentlich höher als systematisch in Europa angenommen wird. Allein die Erhöhung der Mwst. in allen EU-Ländern seit 2002 i.H. von 6% bis 8% und für sich betrachtet ist voll mitverantwortlich für fehlendes Wirtschaftswachstum i.H. von 6% bis 8% im Gesamtzeitraum.

    Niedrige Zinsen tun ein übriges. Wer seine Zinseinkünfte vorher in Konsum gesteckt hat verzichtet nun darauf. Diejenigen Unternehmen die einen Niedrigzinskredit benötigen würden bekommen diesen nicht, die anderen brauchen ihn nicht. Banken haben das Geschätsmodell von der Privakreditvergabe an tausende auf die Vermittlung von Staatskrediten konzentriert.

    Die Gewinnerhöhungen bei Produktionsbetrieben und Dienstleistern/Banken in den letzten 15 Jahren sind fast ausschliesslich auf Rationalisierung und Abschaffung von Arbeitsplätzen bei konstanter Produktion/Umsätzen zu suchen.

    Um den Motor wieder anzuwerfen wären Steuersenkungen in Schockwellen von jeweils 5% bei der Einkommensteuer/Mwst./Quellenssteur/Körperschaftssteuer notwendig die aufgrund der Politik gar nicht kommen werden. Eine Reformierung des gesamten öffentlichen Sektors mit weniger Normen/Vorschriften/Sonderregelungen/EU-Richtlinien in Richtung Vereinfachung/Pauschalierung und Transparenz könnte in gleichem Umfang freie Kapaziäten / Ersparnisse im Staat und Privatsektor schaffen.

    Zaghafte Ansätze wo mal ein oder 2 Prozent nachgelassen werden kann man sich gleich sparen.

    02:02 Uhr, 28.07.2016
    1 Antwort anzeigen
  • Mitdenker
    Mitdenker

    Das Problem in Deutschland sind die zu hohen Sozialabgaben und Steuern. Allein ein absenken um wenige % Punkte würde eine richtige wirtschaftliche Erholung hierzulande auslösen.....

    20:44 Uhr, 27.07.2016
    1 Antwort anzeigen
  • Schnutzelpuh
    Schnutzelpuh

    Wieso sollten die Unternehmen investieren, wenn sie gleichzeitig wissen, dass die produzierten Waren keinen Absatz finden. Da können die Notenbanken noch so viel Geld in den Markt pumpen. Damit die Masse die schönen Waren auch kaufen können, muss die Vermögensschere wieder geschlossen werden. Bevor das nicht gelöst wird, sind alle anderen Aktionen vergebene Liebsmüh und von keinem Erfolg gekrönt. Das kann man auch seit Jahren beobachten. Das viele Geld hilft eigentlich nur, dass das System nicht zusammenbricht. Wirtschaftswachtum hat es bis dato jedenfalls nicht erzeugt.

    20:35 Uhr, 27.07.2016
    1 Antwort anzeigen
  • 1 Antwort anzeigen

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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