Analyse
15:23 Uhr, 03.10.2008

Wird der Rettungsplan auch das Repräsentantenhaus passieren?

Externe Quelle: UniCredit

- Völlig überraschend stimmte die große Mehrheit der Republikaner im Repräsentantenhaus Anfang der Woche gegen den vom republikanischen Präsidenten George Bush und seinem Finanzminister Hank Paulson vorgelegten Rettungsplan.

- Es folgten hektische Verhandlungen zwischen Regierung und dem Senat mit dem Ziel, die Vorlage vom Montag so zu modifizieren, dass sie den Kongress passieren kann. Der freie Fall des ISM-Einkaufsmanagerindex auf Rezessionsniveau erinnerte die Parlamentarier zudem mit Nachdruck daran, wie kritisch die wirtschaftliche Lage ist.

- Die revidierte Senatsvorlage, die nun eine massive Anhebung der Einlagensicherung beinhaltet, wie sie beide Präsidentschaftskandidaten vorgeschlagen hatten, passierte gestern Nacht den Senat mit einer klaren Mehrheit von 74:25 Stimmen – zumal auch einige steuerliche Maßnahmen eingearbeitet wurden, die den Republikanern entgegen kamen.

- Dem Repräsentantenhaus wird die Senatsvorlage (wahrscheinlich) morgen vorgelegt. Es wird zwar eine enge Abstimmung werden, wir sind aber zuversichtlich, dass sie mit ein, zwei Stimmen Mehrheit auch die zweite Kammer passieren wird.

Die zentralen Fragen

Warum hat der Kongress den ursprünglichen Paulson-Plan abgelehnt?

Beinahe alle Kongressmitglieder waren gegen den ursprünglichen Gesetzentwurf, da dem Finanzminister darin die uneingeschränkte Vollmacht gegeben wurde, die gesamten 700 Mrd USD nach eigenem Ermessen auszugeben. Es war keine Aufsicht durch den Kongress oder eine andere Institution vorgesehen, gerichtliche Überprüfungen wurden ausgeschlossen und die Ausschüttung der Gelder musste durch den Kongress nicht mehr genehmigt werden. Keiner dieser Punkte war im ursprünglichen Auftrag für den Entwurf enthalten. Viele erfahrene Finanzexperten hatten diesen zunächst mutig, klar und attraktiv gefunden. Als aber der tatsächliche Gesetzestext bekannt wurde, wurde er entweder als unklug, unkonstitutionell oder beides bezeichnet. Die Anhörungen am 23. und 24. September von Paulson und Bernanke brachten die scharfe Kritik beinahe aller Republikaner und Demokraten der beiden Kongressausschüsse zu Tage. Senator Dodd nannte den Plan „inakzeptabel“. Einer der ausschlaggebenden Faktoren für diese Einschätzung war die Anhörung Bernankes am 23. September, als dieser erklärte, die US-Treasury würde besicherte Schuldtitel (CDOs) und andere kaum zu bewertende Wertpapiere nicht zu Marktpreisen, sondern annähernd zu dem (geschätzten) Preis kaufen, den sie bei Laufzeitende erzielen dürften. Das bedeutete, dass in dem Paulson-Plan ein enormer Kapitaltransfer von den Steuerzahlen hin zu den Aktionären der teilnehmenden Banken stattfinden würde. Am folgenden Tag versuchte Bernanke zurückzurudern und sagte, die Preise, zu dem die Treasury Not leidende Vermögenswerte erwerben würde, lägen irgendwo zwischen beiden Extremen. Zahlreiche Kommentatoren verwiesen darauf, dass ohne ein externes Kontrollgremium, das die Aktivitäten der Treasury überwacht, eine solche „verdeckte“ Rekapitalisierung des Bankensystems massive Risiken für die Steuerzahler birgt, falls die gekauften CDOs im Lauf der Zeit nicht den Kaufpreis erreichen würden.

Welche Änderungen enthielt die Vorlage von Montag?

Der ursprüngliche Paulson-Plan wurde in sechs Punkten abgeändert. Die Mitglieder der beiden im Kongress vertretenen Parteien verlangten die Einrichtung einer Aufsichtskommission, welche die Anlageentscheidungen und andere von der Treasury eingeführte Prozesse überwachen sollte. Die Demokraten hatten vier Änderungen ausgehandelt: die Beschränkung der Bezüge von Managern der am Programm teilnehmenden Finanzinstitute; eine Aufteilung der 700 Mrd USD auf mehrere Tranchen, wobei der Kongress die letzte Tranche noch zu bewilligen hätte; die Möglichkeit der USTreasury, Warrants zu verlangen, die den Steuerzahlern unter bestimmten Bedingungen eine Beteiligung an den teilnehmenden Instituten bieten würden; und das Versprechen, die Auszahlung der Mittel zu beschleunigen, um Zwangsversteigerungen von in Not geratenen Kreditnehmern zu verhindern. Die Republikaner wiederum strebten einen ganz anderen Ansatz an als den Kauf Not leidender Vermögenswerte. Sie zogen die Einrichtung einer neuen Versicherungsinstitution vor, um die Not leidenden Positionen zu garantieren. Die Treasury hatte dieses Vorgehen bereits geprüft und als nicht praktikabel verworfen. Letztlich schaffte es dieser Ansatz in den Gesetzentwurf, allerdings blieb es dem Finanzminister vorbehalten, diese Klausel nach eigenem Ermessen zu befolgen. Weder die Demokraten noch die Republikaner hatten alle ihre Forderungen umsetzen können. Die Demokraten wollten zusätzlich das Konkursrecht ändern, damit Richter in bestimmten Fällen den Erlass von Hypothekenschulden erzwingen könnten; die Republikaner wollten die Marktpreisbewertung von Vermögenswerten (Mark to Market) abschaffen. In den Verhandlungen mussten beide Seiten immer von ihren Zielen zurückstecken.

Was wurde in der gestrigen Senatsvorlage geändert?

Der ursprüngliche Paulson-Plan war eng auf die Finanzkrise bzw. die Rettung der Banken zugeschnitten – zu eng, wie sich zeigen sollte. Selbst die Kompromisse, die kurz vor Schluss noch in die Vorlage eingearbeitet wurden, zielten darauf ab. Die verheerende Abstimmungsniederlage im Repräsentantenhaus führte jedoch zu einem Strategiewechsel.

In die jüngste Senatvorlage wurden zahlreiche zusätzliche Maßnahmen eingearbeitet:

– Massive Anhebung der Einlagensicherung: Sowohl Mc- Cain als auch Obama hatten den Vorschlag gemacht, die staatliche Einlagenversicherung von 100.000 auf 250.000 USD anzuheben, um unter den Republikanern eine breitere Unterstützung des Rettungsplans zu erreichen. Der Gedanke dabei ist, den umfangreichen Abfluss von Einlagen aus staatlich versicherten Banken und Sparkassen einzudämmen. Dieser Faktor hatte in der letzten Woche für die Übernahme der Washington Mutual durch die Federal Deposit Insurance Corporation auch eine Rolle gespielt. Der Senat stimmte schließlich dieser vertrauensbildenden Maßnahme zu.

– Steuerliche Maßnahmen: Sie beinhalten zahlreiche Steuervergünstigungen für die Unternehmen wie z.B. für den Einsatz erneuerbarer Energien oder Gutschriften für Investitionen in Forschung und Entwicklung. Zudem wird das Konzept der so genannten "alternative minimum tax", AMT, ausgeweitet. Das AMT ist eine alternative Methode, die individuelle Steuerverpflichtung zu berechnen. Ursprünglich sollte sie nur auf die Superreichen angewendet werden; nun aber können auch Millionen anderer USBürger darauf hoffen, weniger Steuern zahlen zu müssen.

– Suspendierung der Marktpreisbewertung von Vermögenstiteln: Die Aufsichtsbehörden veröffentlichten am Dienstag eine Erklärung, die den Unternehmen mehr Spielräume bei der Bepreisung hochkomplexer Vermögenstitel gibt, für die sich keine Käufer finden lassen. In die gestrige Vorlage wurde nun ein Passus eingearbeitet, der es der Aufsichtsbehörde SEC erlaubt, die Mark to Market-Vorschrift vorübergehend außer Kraft zu setzten, macht dies allerdings nicht zur Pflicht. Sie sieht zudem vor, eine Studie in Auftrag zu geben, wie die Mark to Market-Methode die Bankbilanzen bzw. die Solidität der Institute beeinflusst. Das alles mag die Finanzberichte der Banken „verbessern“, könnte, so die Kritik, aber auch dazu führen, dass die Banken Verluste verstecken.

– Das neue Gesetz erlaubt es zudem der Federal Reserve, Einlagen der Banken bei ihr unverzüglich zu verzinsen. Für diese Maßnahme hatte die Zentralbank schon seit langem geworben, um damit die Reservepositionen präziser managen zu können.

Die Gesetzesvorlage passierte den Senat mit einer satten Mehrheit von 74:25 Stimmen. Die Zustimmung kam aus beiden Lagern und signalisiert damit dem Repräsentantenhaus, dass der Senat der Überzeugung ist, dass das Gesetz von nationalem Interesse ist. Die eindrucksvolle Mehrheit in der ersten Kammer hat die Wahrscheinlichkeit spürbar steigen lassen, dass auch das Repräsentantenhaus der Vorlage zustimmt, die Ungewissheit aber nicht restlos beseitigt.

Wie gut stehen nun die Chancen, dass die Vorlage auch das Repräsentantenhaus passiert?

Die Antwort darauf erfordert eine gründliche Diagnose dessen, was beim ersten Mal schiefging. In der Presse wurde kolportiert, die Republikaner hätten gegen den Plan gestimmt, um ihre Sitze bei den Wahlen im November zu verteidigen. Dies ist völlig falsch. Der bei Weitem größte Anteil der Nein-Stimmen stammte von Republikanern, deren Mandate in den Wahlen gar nicht oder kaum bedroht sind. Von den 133 Republikanern, die den Plan ablehnten, müssen nur 22 mit einem Demokraten um ihren Sitz kämpfen. Das bedeutet, dass 111 der 133 Nein-Stimmen, bzw. 83%, von Republikanern stammten, deren Mandate so gut wie sicher sind. Ihre Entscheidung ist nicht auf die Befürchtung persönlicher oder politischer Konsequenzen sondern auf andere Faktoren zurückzuführen, darunter wirtschaftsphilosophische Überlegungen sowie die grundsätzliche Ablehnung eines Gesetzes, dem zufolge die normalen Steuerzahler die „verdorbenen“ Unternehmen der Wall Street retten sollen. Die Behauptung, Kongressmitglieder hätten den Plan abgelehnt, um ihre politische Karriere zu sichern, trifft auf die Demokraten ebenso wenig zu. Von den 95 Demokraten, die mit „Nein“ stimmten, verfügen ganze 83 (bzw. 87%) über sichere Mandate. Ihre Opposition hatte andere Gründe, einschließlich des Unmuts bezüglich der Exzesse unvorsichtiger Bankmanager sowie der Überzeugung, Programme einzufordern, die eher den niedrigen und mittleren Einkommensklassen als den großen Banken zu Gute kämen. Somit war die repräsentative Demokratie für die Niederlage des Gesetzes verantwortlich – und nicht überwiegend eigennützige Interessen von Mitgliedern des Repräsentantenhauses.

Die Modifikationen, die in die gestrige Senatsversion eingingen, haben durchaus das Zeug dazu, diejenigen im Repräsentantenhaus, die zuvor noch mit nein gestimmt hatten, dazu zu bewegen, ihre Meinung zu ändern. Andererseits besteht natürlich auch die Möglichkeit, dass diejenigen, die noch mit ja gestimmt haben, die Änderungen nun nicht mehr mittragen könnten. Dazu könnten einige Demokraten zählen, die gegen Steuersenkungen für Unternehmen plädieren, die nicht durch entsprechende Steueränderungen bzw. Ausgabenkürzungen gegenfinanziert sind und so ein Anschwellen des Haushaltsdefizits verhindern. Es ist daher fast unmöglich vorherzusagen, wie die Abstimmung im Repräsentantenhaus ausgeht, die wahrscheinlich am Freitag stattfindet.

Konsequenzen für die Federal Reserve

Ungeachtet der engen Verbindung von Bernanke und Paulson, sowohl in der Anhörung vor dem Kongress in der letzten Woche als auch in anderen Punkten, hat die Fed ihre Aktivitäten weitgehend unter dem Motto „business as usual“ fort gesetzt. Das bedeutet, dass die Notenbank das US-Finanzsystem weiterhin mit Liquidität überschwemmt und dabei herkömmliche Instrumente einsetzt – solche, die letztes Jahr entwickelt wurden, sowie Instrumente, die sich erst in den vergangenen Wochen herausgebildet haben,. Zudem hat die Fed den Umfang und die Reichweite von Währungsswaps mit anderen Zentralbanken enorm ausgeweitet, um diesen Banken zu ermöglichen, ihre eigenen Finanzmärkte direkt mit US-Dollar zu versorgen. Dennoch verharrt die Federal Funds Rate weit über dem Zielsatz. In dieser Woche lag sie zu einem bestimmten Zeitpunkt sogar bei 7%, während der Zielsatz unverändert 2% betrug.

Die Forderungen, die Fed solle die Zinsen senken, um „die Marktpsychologie zu verbessern“ wurden von Vertretern der Fed zurückgewiesen. Eine solche Maßnahme könnte, da die Fed Funds immer noch deutlich über dem Zielsatz liegen, genau die umgekehrte Folge haben und bei den Marktteilnehmern neue Befürchtungen bezüglich der Gesundheit des Finanzsystems auslösen. Angesichts der Ereignisse um Washington Mutual und Wachovia, die nur eineinhalb Wochen zurückliegen, ist dies keine unbegründete Sorge. Es ist besser, die Märkte auf technischem Wege mit Liquidität zu versorgen, anstatt zu versuchen, die Marktpsychologie zu manipulieren. Im Zentrum der Aufmerksamkeit steht derzeit eindeutig Washington (oder wo auch immer die Präsidentschaftskandidaten ihren Wahlkampf führen). Der freie Fall des ISM-Einkaufsmanagerindex gestern, als er von 49,9 Punkten auf nur noch 43,5 Zähler und damit auf den niedrigsten Stand seit der letzten Rezession absackte, hat noch einmal nachdrücklich klar gemacht, wie groß die Abwärtsrisiken für die US-Wirtschaft wirklich sind. Das hat sicherlich Einfluss auf die kommenden Zinsentscheide. Das letzte Wort darüber, ob die Fed ihren Senkungszyklus doch noch aufnimmt, hängt wohl davon ab, ob die Talfahrt am Arbeitsmarkt unverändert anhält.

Autor: Roger Kubarych

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