Kommentar
13:08 Uhr, 14.06.2013

Wir hätten es doch so schön haben können…

Die Unsicherheiten über die weitere Entwicklung der Geldpolitik halten an. In Euroland scheint der ein oder andere Anleger Sorge zu haben, dass das Bundesverfassungsgericht den von der EZB im Juli 2012 beschlossenen Notmaßnahmen in Form unbegrenzter Staatsanleihenkäufe einen Riegel vorschiebt.

Damit ist nicht zu rechnen. Würde es der Bundesbank verboten, die Beschlüsse des EZB-Rats umsetzen, würde sie Europarecht brechen. Dieser Verfassungskonflikt ließe sich dann nur durch den Euro-Austritt Deutschlands mit der Folge der Auflösung der Eurozone in ihrer heutigen Form lösen.

Die Karlsruher Richter werden ihrer bisherigen Linie treu bleiben und mit mahnend erhobenem Zeigefinger den Aufkauf von Staatsanleihen seitens der EZB an die Entwicklung bestimmter Indikatoren - z.B. die Inflationsrate in Euroland - knüpfen. Die geschönten Inflationsraten werden dann insofern als Absolution für Aufkäufe von Schuldtiteln dienen.

Immerhin hat das Euro-Rettungsversprechen der EZB - trotz z.B. einer instabilen italienischen Regierung und einer reformrenitenten französischen Mangelwirtschaft - seit einem Jahr zu einer deutlichen Beruhigung an den euroländischen Finanzmärkten geführt. Schon das verbale Versprechen von Herrn Draghi hat für eine Normalisierung der Renditen 5-jähriger italienischer und spanischer Staatsanleihen ausgereicht, ohne dass auch nur für einen Cent Staatsanleihen gekauft worden wären. Tatsächlich ist die Bilanzsumme der EZB rückläufig.

Fed-Wende - Wenig Pro, viel Kontra

Insbesondere aber werden die Finanzmärkte von den aktuellen Spekulationen über das „ob“, „wie“ und „wann“ einer verringerten Liquiditätsoffensive der Fed irritiert.

Grundsätzlich verträgt die US-Wirtschaft keinen signifikanten Anstieg des Zinsniveaus. Szenarien wie der abrupt eingeleitete Zinserhöhungszyklus 1994 - die Rendite 5-jähriger US-Staatsanleihen stieg binnen Jahresfrist um 3,3 Prozentpunkte an - oder der drei Jahre andauernde, konjunkturschädliche Renditeanstieg seit Ende 2003 von insgesamt 3,2 Prozentpunkten, gilt es heutzutage zu verhindern. Dies gilt umso mehr, als im Gegensatz zu 1994 bzw. 2004 noch keine breit angelegte US-Konjunkturerholung erkennbar ist. Im Gegenteil, die Frühindikatoren haben an Dynamik eingebüßt.

Insbesondere vor dem Hintergrund der lethargischen Beschäftigungslage in den USA ist an einen geldpolitischen Ausstieg immer noch nicht zu denken. Die Arbeitslosenquote ist noch weit von der seitens der Fed selbst definierten Schwelle von 6,5 Prozent entfernt, ab der sie eine restriktive Politik in Betracht zieht. Selbst bei Fortschreibung des aktuellen Trends einer sinkenden Arbeitslosenquote dürfte der Schwellenwert frühestens im Herbst 2014 erreicht werden.

Die Fed macht ihre Geldpolitik neben dem Arbeitsmarkt jedoch auch von der Entwicklung der Inflation abhängig. Beide zusammen, nicht ein Indikator allein ist maßgeblich. Aber auch seitens der Inflation droht kein geldpolitisches Ungemach. Denn der geldpolitisch relevante Schwellenwert für die Inflationsrate von maximal 2,5 Prozent ist mit einer Preissteigerung von aktuell 1,1 Prozent alles andere als in Reichweite.

Bei einer geschönten US-Inflationsrate, die das tatsächliche Preissteigerungsumfeld nicht adäquat wiedergibt, haben wir es ohnehin mit einem dehnbaren Gummiparagraphen zu tun, der es der Fed erlaubt, den Ausstiegszeitpunkt aus ihrer expansiven Geldpolitik nach eigenem Gutdünken zu bestimmen.

Im Zweifel für die Kern- und gegen die Randmärkte

Für den Euro ist die derzeitige geldpolitische Unsicherheit offensichtlich weniger dramatisch. Zwar wird aktuell mehrheitlich immer noch auf einen schwächeren Euro spekuliert. Allerdings hat sich die Anzahl der spekulativen Derivatepositionen am Terminmarkt, die auf einen Wertverfall des Euros gegenüber dem US-Dollar setzen, von ihrem Hochpunkt Mitte Juni 2012 aktuell um 75 Prozent deutlich zurückgebildet. Der Wechselkurs des Euros zum US-Dollar zeigt sich mit gut 1,33 solide.

Dass die Sorgen der Finanzanleger über die weitere Entwicklung der Eurozone deutlich in den Hintergrund getreten sind, verdeutlicht auch die Stärke des Euros im Vergleich zu anderen Welt-Währungen. Diese leiden unter der Eintrübung der weltweiten Konjunkturstimmung. So hat die Weltbank zuletzt die Wachstumsprognose 2013 für die Schwellenländer von 5,5 auf 5,1 Prozent herunterrevidiert. Der Euro wertet gegenüber den großen Schwellenländer-Währungen wie dem brasilianischen Real und dem chinesischen Renminbi, aber auch gegenüber Rohstoffwährungen wie der norwegische Krone und dem australische Dollar auf.

Nicht zuletzt zeigen die Aktienmärkte der Schwellenländer das bereits aus früheren Phasen zunehmender Risikoscheu und Konjunkturunsicherheit bekannte Bild. Brasilien, China, Mexiko und Indonesien - gemessen an den jeweiligen MSCI Aktienindices in Euro gerechnet - verzeichnen Kursverluste. Auch der Vertrauensverlust in die intransparente Geldpolitik des ehemaligen Aktien-Shooting Stars Japan ist unübersehbar. Im Gegensatz dazu halten sich US-Aktien vergleichsweise stabil. An ein baldiges Ende der geldpolitischen Liquiditätsschwemme scheint man nicht wirklich zu glauben.

Vergleichsweise stabil entwickeln sich auch deutsche Aktien, die sich dennoch dem negativen internationalen Grundton nicht entziehen können.

Mit Blick auf die erhöhte Risikoaversion ist also ein grundsätzlicher Repatriierungseffekt in die etablierten Kernfinanzmärkte nicht zu leugnen. Davon sind auch die Staatsanleihemärkte der Schwellenländer betroffen. So sind seit Mitte Mai sprunghaft ansteigende Risikoaufschläge 5-jähriger brasilianischer, südafrikanischer oder auch indonesischer zu deutschen Staatsanleihen zu beobachten.

Selbst auf den euroländischen Staatsanleihemärkten zeigt sich eine stärkere Risikoscheu. Die Risikoaufschläge 2-jähriger italienischer und spanischer zu deutschen Staatstiteln legten zuletzt wieder zu. Auch die französischen Risikoaufschläge zeigen sich in der Tendenz - wenn auch nur leicht - aufwärtsgerichtet.

Am heftigsten zeigt sich die veränderte Risikowahrnehmung bei Pfandbriefen, Unternehmens- und insbesondere High Yield-Anleihen, die - gemessen an den Iboxx Euro Performance Indices - seit ihrem Kurshoch Ende Mai kräftig verloren haben.

Grafik der Woche: Kursentwicklung euroländischer Anleiheindices (Iboxx)

Und was passiert in der nächsten Woche?

In Amerika verdeutlichen weiter aufwärts gerichtete Baubeginne und -genehmigungen, dass der US-Immobiliensektor auch weiterhin eine wichtige Rolle als Stabilisator für die US-Gesamtwirtschaft hat. Das wird auch der Wohnungsmarktindex der US-Bauherrenvereinigung bestätigen. Zudem deutet der Einkaufsmanagerindex der Philadelphia Fed einen abnehmenden Gegenwind für die US-Industrie an, so dass die vergleichsweise langsame US-Konjunkturerholung auch von dieser Seite gestützt wird.

Die US-Wirtschaft ist aber keinesfalls so gefestigt, dass die US-Notenbank auf ihrer Zinssitzung geldpolitisch restriktive Töne verlauten lassen wird. Trotzdem dürften die Äußerungen von Fed-Chef Bernanke genauestens auf mögliche Abschwächungssignale abgeklopft werden.

In Euroland liegt der Anlegerfokus auf den vorläufigen Einkaufsmanagerindices für das Verarbeitende Gewerbe. Es ist von einer leichten Stimmungsaufhellung auszugehen. Das gilt insbesondere für Deutschland und sollte von den ZEW Konjunkturdaten unterstrichen werden

Aus charttechnischer Sicht hat sich im Rahmen der technischen Gegenreaktion beim DAX die Marke bei 8122 als solide Unterstützung erwiesen. Darunter verlaufen die nächsten Haltelinien bei 7953, 7872 und an der 200-Tage-Linie bei aktuell 7656 Punkten.

Auf der Oberseite trifft der DAX im Falle einer Erholung bei 8145 Punkten auf einen ersten Widerstand. Darüber liegen weitere Hürden bei 8250 und 8340 Punkten.

Halvers Woche:

Geldpolitische Worte zerstören, wo sie nicht hingehören

Die Notenbanker waren wohl selbst über die durchschlagende Wirkung ihrer Liquiditätsdroge auf die Finanzmärkte überrascht. Alle Anleihemärkte von Triple A bis D und die Aktienmärkte - sogar das japanische Sorgenkind - wurden in den siebten Himmel gehoben. Allerdings sind die westlichen Zentralbanken sehr enttäuscht, dass die geldpolitische Muse die reale Wirtschaft bislang nicht wirklich inspirieren konnte.

Die Herkules-Aufgabe der Notenbanker

Dieser Kontrast zwischen den mit schönem Geschenkpapier versehenen Finanzmärkten und dem bescheidenen Inhalt einer noch ausbaufähigen, realen Wirtschaft bereitete zuletzt insbesondere der US-Geldpolitik große Kopfschmerzen: Wie bekommt man wieder eine Angleichung hin, verhindert also A) Kapitalmarktblasen, stützt aber B) weiterhin die noch insgesamt verhaltene Konjunktur und berücksichtigt nicht zuletzt mögliche realwirtschaftliche Schocks, die von A) auf B) ausgehen, wie z.B. sich verschlechternde Finanzierungsbedingungen über steigende Zinsen?

So eine komplizierte Aufgabe mussten Zentralbanken noch nie bewältigen, sie betreten notenbankpolitisches Neuland, sie experimentieren und müssen bei Fehltherapien befürchten, wieder dort zu landen, wo sie 2008 mit ihrer geldpolitischen Rettungsexpedition gestartet sind.

Gefragt ist die Kunst der Notenbanker, den Finanzmärkten den Pelz zu waschen, ohne sie nass zu machen. Rentenanleger haben nicht vergessen, dass frühere radikale Beendigungen der geldpolitischen Happy Hour sehr schmerzhaft waren. So mancher alte Rentenhase hat den Schock von 1994 nicht vergessen, als die Renditen in den USA binnen Jahresfrist revolutionsartig um drei Prozentpunkte angestiegen sind und in den Anleihedepots verbrannte Erde hinterlassen haben. Zwischen 2003 und 2004 entwickelten sich die Rentenkurse zwar weniger schockartig nach unten, aus Renditesicht war trotzdem kein Rentenanleger entzückt. Im Übrigen hat sich die Konjunktur nicht gefreut.

Auch aktuell kann man dieses rein in die Kartoffeln und raus aus den Kartoffeln der US-Notenbank, ob, wann und unter welchen Bedingungen die Liquiditätsoffensive in die Defensive geht, wohl auch kaum als vertrauensbildende Maßnahme werten. Eher hat es etwas von „Sie liebt mich, sie liebt mich nicht“.

Und die EZB? Nun, Herr Draghi steht zwar momentan nicht im Verdacht, den Finanzmärkten irgendeine Daumenschraube anlegen zu wollen. Aber allein die Beschäftigung des obersten deutschen Gerichts mit dem Thema Staatsanleiheaufkäufe der EZB hat zumindest auf der Einbildungsebene die Angst vor einem Abpumpen der Liquidität auch in Euroland verstärkt.

Wenn die Finanzmärkte Flöhe husten hören

Vor diesem Hintergrund scheinen die Finanzmärkte eine böse Vorahnung zu hegen, wie der Kneipenbesucher auf die nahende Sperrstunde. Neben Chance ist wieder Risiko im Spiel. Auch jetzt leiden Staats-, aber auch Unternehmensanleihen unter dem Liebesentzug der Investoren. Damit wird die dringend erforderliche Stabilisierung der Volkswirtschaften schwieriger, weil teurer.

Und auch vor den Aktienmärkten wird nicht mehr Halt gemacht. Denn wenn schon die Aktienmärkte der Realwirtschaft weit vorausgelaufen sind, warum sollte dieser Abstand nicht durch Mitnahme von Kursgewinnen - an denen noch nie jemand gestorben ist - verkleinert werden? Überhaupt, wer will während der Sommerpause seine durchaus ansehnliche Performance riskieren, zumal man nicht reagieren kann, weil im Urlaub der Berg ruft oder man im Pool planscht. Und wenn die Stimmung auf den Aktienmärkten nicht gut ist, kommt schwerlich Freude in der Wirtschaft auf.

Normalität ist heute nicht mehr die Norm

Ach, es hätte doch alles so schön werden können. Und jetzt scheinen die Notenbanken tatsächlich wieder Normalität anzustreben.

Moment mal, Normalität? Ich meine, normal können Notenbanken doch nur dann handeln, wenn sie normale Zustände vorfinden, oder? Haben wir die? Sehen Sie einen selbsttragenden Aufschwung in der westlichen Welt oder in Japan? Sehen Sie ein Ende der globalen Verschuldungskrise. Ist die Euro-Krise vorbei? Hat die antibakterielle Wirkung der Geldpolitik ohne Gefahr eines Rückfalls bereits gewirkt? Setzen Sie frühzeitig ein Antibiotikum ab, bevor die Packung leer ist? Und glauben Sie wirklich, dass das Bundesverfassungsgericht die euroländische Geldpolitik mit einem renitenten Urteil in eine stabilitätspolitische Zwangsjacke steckt und damit die Existenzfrage der Eurozone stellt? Sollten Sie - wie ich einfach einmal unterstelle - keine dieser Fragen mit Ja beantwortet haben, was spricht dann für baldige normale geldpolitische Zustände?

Der Notenbanker als Wort-Künstler gefragt

Genügend Freibier für Alle bleibt, nein muss die Doktrin der Notenbanken zur Systemstabilisierung bleiben. Das gilt auch dann, wenn aus 3,0 Promille 2,8 werden. Das ist nicht der erste Schritt zur Nüchternheit der Geldpolitik oder gar zum kalten Entzug, sondern die Bemühungen über eine anhaltend stabile Heiterkeit in der Stammkneipe der Güter- und Finanzmärkte.

Das müssen die Notenbanker - vor allem die in den USA - den Anlegern glaubhaft vermitteln. Sie müssen wie Wort-Künstler an ihrer Rhetorik arbeiten. Diese darf nicht hart, sondern muss sanft und zart sein, wie beim Schonwaschgang. Das muss gelingen.

Dann stört es auch nicht, wenn der DAX oder Dow Jones hin und wieder Rücksetzer zeigen oder zwischenzeitlich stärker schwanken. Das ist nicht schlimm, sondern sogar gesund. Einbahnstraßen habe ich ohnehin immer als langweilig empfunden.

Volkswirtschaftliche Prognosen auf einen Blick

Kapitalmarkt auf einen Blick

Robert Halver, Leiter Kapitalmarktanalyse der Baader Bank AG

Rechtliche Hinweise/Disclaimer und Grundsätze zum Umgang mit Interessenskonflikten der Baader Bank AG:

http://www.baaderbank.de/disclaimer-und-umgang-mit-interessenskonflikten/

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