Kommentar
19:04 Uhr, 19.12.2017

Wie weit ist die nächste Rezession entfernt?

Den Blick in die Glaskugel wagen viele. Was dabei herauskommt, ist häufig leider wenig hilfreich und akkurat. Ein Investmenthaus hat dafür eine Lösung.

Einige behaupten ja, dass die Wirtschaft leicht zu durchschauen ist. Ich habe daran so meine Zweifel. Wäre alles so leicht, würden sich nicht 80 % der Analysten permanent irren. Der Irrtum hat häufig auch psychologische Ursachen. Ob Analyst oder Privatanleger, wir alle leiden unter einer gewissen Voreingenommenheit (Bias).

Jeder bedient sich gewisser Vereinfachungen (Heuristiken), um zu Schlussfolgerungen zu kommen, wenn Sachverhalte analysiert werden. Diese Vereinfachungen spiegeln sich häufig in einem bestimmten Bias wider. So gewichten wir z.B. bei Prognosen mehr die jüngeren Daten als die älteren.

Bei Prognosen zum Wirtschaftswachstum ist das nicht anders. Hier werden zwar einfach Werte in ein Modell gefüttert, doch auch diese Modelle legen mehr Gewicht auf das, was gerade eben geschehen ist als auf das, was vor etwa drei Jahren passierte.

Das geht häufig gut, denn wenn sich erst einmal ein Trend etabliert hat, hält dieser für gewöhnlich lange an. Eine wirtschaftliche Expansion kann im Extremfall mehrere Jahrzehnte andauern. Wenn im Vorquartal alles gut gelaufen ist, kann man auch davon ausgehen, dass in diesem Quartal alles glattgeht.

Durch diese Herangehensweise werden Trendwenden leider konsequent verpasst. Selbst wenn sich das Wachstum schon deutlich abgeschwächt hat, wird immer noch hohes Wachstum vorhergesagt. Im Abschwung sind die Schätzungen zu hoch. Dreht der Trend dann von Rezession auf Expansion, sind die Prognosen oft zu konservativ. Unterm Strich sind so Prognosen in Wendezeiten wenig wert.

Glücklicherweise gibt es eine Systematik in der Wirtschaft, die recht zuverlässig ist. Anstatt also Werte in ein Modell zu füttern, welches dann ohnehin nur eine Trendfortsetzung vorhersagt, kann man sich dieser Systematik bedienen, um Wendepunkte vorherzusagen.

Am zuverlässigsten sind immer noch zwei Datenreihen: Zinsen und Arbeitsmarkt. Zinsen spiegeln die Markterwartung wider und der Arbeitsmarkt die tatsächliche Verfassung der Wirtschaft. In den USA zeigt der Arbeitsmarkt noch keine Schwäche.

Konkret geht es bei der Arbeitslosigkeit um den Vergleich zwischen der tatsächlichen Arbeitslosenrate und dem neutralen Niveau. Im Aufschwung wird die Lücke zwischen tatsächlicher Rate (sie ist höher als das neutrale Level) und neutraler Rate immer kleiner und sogar negativ.

Sinkt die tatsächliche Rate weit unter die neutrale, kann man von einer Überhitzung sprechen. Die Lage verbessert sich dann nicht mehr, sondern stagniert für einige Quartale, bevor sich die Lage verschlechtert (Grafik 1). Dieser Systematik nach haben wir noch zwei Jahre Zeit, bevor die nächste Rezession kommt.

Wie-weit-ist-die-nächste-Rezession-entfernt-Kommentar-Clemens-Schmale-GodmodeTrader.de-1

Der Markt sieht das genauso. Der Zinsspread (Zinskurve) bewegt sich ziemlich nah am Durchschnitt der Zyklen der letzten Jahrzehnte. Auch hier deutet sich an, dass wir noch zwei Jahre Luft haben (Grafik 2).

Wie-weit-ist-die-nächste-Rezession-entfernt-Kommentar-Clemens-Schmale-GodmodeTrader.de-2

Absolute Sicherheit gibt es bei Prognosen nicht. Viele Faktoren deuten auf eine Abschwächung hin. In der Realität sehen wir sie aber Quartal um Quartal nicht. Die Lage ist also vermutlich besser, als viele glauben und kann auch noch ohne Probleme zwei Jahre anhalten. Sachverhalte können sich jederzeit ändern, doch nach aktuellem Stand der Dinge wird es so bald keine Rezession geben.

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4 Kommentare

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  • Newton1642
    Newton1642

    Und eine noch gravierendere Fehlallokation ist, dass der Großteil dieser Schulden nicht in die Realwirtschaft geflossen ist, sondern in die Finanzmärkte.

    18:06 Uhr, 20.12.2017
  • Thomas Spornraft
    Thomas Spornraft

    Ich frage mich immer wie man von Wachstum sprechen kann wenn man keinen ausgeglichenen Haushalt hinbekommt. Solange man die Schulden ewig ausweitet wird es doch theoretisch nie eine Rezession geben denn wenn man einen $ Kredit aufnimmt und ihn auf irgendeine Weise im Inland investiert oder konsumiert wird er doch automatisch ganz oder in Teilen dem BIP zugerechnet.
    Logisch betrachtet bedeutet doch das, solange ich die Schulden beim BIP außen vor lasse: Mehr Schulden = Mehr Wachstum.?

    20:39 Uhr, 19.12.2017
    2 Antworten anzeigen

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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