Kommentar
09:10 Uhr, 29.03.2016

Wie risikofreudig sind Sie?

Berufsbedingt lese ich relativ viel, und insbesondere Fachbücher, aber selten ist man von einem Buch stark beeindruckt und hat das Gefühl, etwas für das Leben gelernt zu haben. Aber genau so erging es mir mit diesem Buch.

Aus meiner Sicht ein geradezu bahnbrechendes Werk: „Thinking fast and slow“ von Nobelpreisträger Daniel Kahnemann. Auch auf Deutsch liegt der Titel vor: Schnelles Denken, langsames Denken. Es geht grob zusammengefasst um das Zusammenspiel von „System 1“ und „System 2“, wie Kahnemann unsere Intuition (thinking fast) und den analytischen Verstand (thinking slow) nennt. Dabei räumt er u.a. endgültig mit dem Mythos Homo oeconomicus auf, aber auch darüber hinaus werden Sie, das verspreche ich Ihnen, nach der Lektüre vieles gelernt haben. Zuvor müssen Sie sich allerdings durch über 600 Seiten kämpfen.

Das Thema Börse wird nur am Rande gestreift, aber selbst diese paar Seiten sind auch schon den Kaufpreis wert. Besonders haben mich die Untersuchungen Kahnemanns zur Risikoaversion der Menschen überrascht. Dass die allermeisten von uns Gewinne und Verluste nicht gleich gewichten, ist an sich nichts Neues. Sie kennen das vielleicht – ein Gewinn von 1000 EUR macht nicht so viel Freude, wie ein Verlust von 1000 EUR schmerzt. Aber das Ausmaß der Abneigung gegen Verluste ist schon erstaunlich.

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In einem Experiment wurde Teilnehmern die Möglichkeit eröffnet, an einem simplen Münzspiel teilzunehmen. Kopf oder Zahl – die Wahrscheinlichkeit beträgt also exakt 50 %, richtig zu liegen. Nun wurde die Frage gestellt, wie hoch der Gewinn im Vergleich zum Einsatz sein muss, damit die Teilnehmer auch wirklich spielen. Dabei stellte sich heraus: Die meisten Menschen würden ein solches Wagnis erst eingehen, wenn der mögliche Gewinn mindestens doppelt so hoch ist wie der mögliche Verlust. Viele verlangen sogar ein noch weit besseres Chance-Risiko-Verhältnis, wie ich in Umfragen im Bekanntenkreis herausgefunden habe.
Die alten ökonomischen Theorien, die von einem rational handelnden „Homo oeconomicus“ ausgehen, können dieses Phänomen nicht erklären. Denn sobald der Erwartungswert auch nur leicht positiv ist, sollte man das Spiel rational betrachtet mitmachen. Der Gewinn muss also nur eine Nuance höher liegen als der Verlust.

Es stellt sich aber heraus, dass sich das Blatt wendet, wenn man die Möglichkeit eröffnet, viele Male hintereinander zu spielen. Tatsächlich steigt dann auch die Wahrscheinlichkeit, dass man insgesamt einen Gewinn einfährt. Bei einem einzigen Münzwurf gibt es immerhin eine 50 %-Chance, dass man den Einsatz verliert. Bei zwei Würfen macht man schon mit 75 % Wahrscheinlichkeit keinen Verlust, wenn das CRV 2:1 beträgt. Darf man 100mal die Münze werfen, und setzt man jeweils 1000 EUR, wobei der mögliche Gewinn 2000 EUR pro Spiel beträgt, dann liegt der erwartete Gewinn bei 100 TSD EUR !(100*1000 EUR Erwartungswert pro Spiel). Diese Zahlen beeindrucken jeden, und so gibt es kaum jemanden, der einer solchen Chance nicht folgen würde. Aber bei einem einzigen Münzwurf? Zu gefährlich!

Kahnemann empfiehlt nun, alle im Leben präsentierten Chancen mit gutem Chance-Risiko-Verhältnis im Verbund zu betrachten und sich von der Einzelwahrscheinlichkeit, den Einsatz (wie auch immer dieser geartet ist) einzubüßen, zu lösen. Dies würde dann im Laufe des Lebens insgesamt notwendigerweise zu einem höheren Ertrag führen. Mit anderen Worten: Wer Risiko ständig scheut, obwohl das Verhältnis zur Chance gut ist, verpasst systematisch Gewinne.

Wenn man sich das Beispiel mit den Münzen als Trader durchliest,kommt man ins Schwärmen: Wann hat man schon ein Chance-Risiko-Verhältnis von 2:1 vor sich, und dann auch noch eine 50/50-Chance für beide Varianten? CRVs von 2 kann man sich schon konstruieren, aber die Eintritts-Wahrscheinlichkeit für die jeweiligen Szenarien lässt sich objektiv gar nicht ermitteln. Man kann diese immer nur subjektiv schätzen.

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