Kommentar
13:50 Uhr, 16.03.2007

Wie kam es zum Kursrutsch in China?

Am 27. Februar wurden an den Schwellenländermärkten massiv Aktienbestände abgestoßen: Der MSCI EM Index fiel um rund 3,1 Prozent, während der MSCI BRIC Index um 3,9 Prozent nachließ. Der Kursrutsch startete in China, wo auf Renminbi lautende A-Aktien nahezu 9 Prozent ihres Wertes einbüßten (der MSCI Asia sank allerdings nur um 1,3 Prozent). Es folgte eine Kettenreaktion: Die Märkte Osteuropas, des Nahen und Mittleren Ostens sowie Afrikas tendierten um 3,7 Prozent schwächer, während Lateinamerika sogar einen Kursverfall von 6,7 Prozent hinnehmen musste. Hier wirkte sich auch die Schwäche am US-Markt aus. Der MSCI World Index sank um 2,5 Prozent und der S&P 500 um 3,5 Prozent.

Wie kam es zu dem Kurssturz?

1. China. Anscheinend war der Kursverfall der chinesischen A-Aktien der Auslöser für die Einbrüche an den weltweiten Aktienmärkten. Wir meinen jedoch nicht, dass es sich dabei um einen echten Dominoeffekt handelte, auch wenn die Marktstimmung eine gewisse Rolle spielte. Ausländer können keine auf Renminbi lautende A-Aktien kaufen und der Markt ist – global gesehen – nicht groß genug, um weltweite Liquiditätsengpässe auszulösen. Ausländische Investoren kaufen chinesische Aktien in der Regel an der Börse von Hongkong (z. B. in Hongkong notierte H-Aktien und Red Chips). Diese Aktien sind nur um 2 bis 3 Prozent gefallen, die Börse von Hongkong schloss um etwa 2 Prozent schwächer. Unsere GEM- und BRIC-Fonds engagieren sich vor allem über solche Titel auf dem chinesischen Markt (die Fonds halten auch eine so genannte chinesische B-Aktie).

Wir meinen auch nicht, dass die Rückgänge am A-Aktienmarkt Vorzeichen einer drohenden Wirtschaftskatastrophe in China sind. Sie reflektieren vielmehr das Bemühen der chinesischen Aufsichtsbehörden, dem Entstehen einer wirtschaftlichen „Blase“ entgegenzuwirken. Die jüngst gemeldeten Wirtschaftsdaten bestätigen, dass die chinesische Volkswirtschaft weiterhin unter Volldampf steht. So verzeichnete die Industrieproduktion im Dezember einen Zuwachs von 14,7 Prozent, während die Einzelhandelsumsätze im November um 14,6 Prozent zulegten. Das BIP stieg im vierten Quartal um 10,4 Prozent; die annualisierte Wachstumsrate für 2006 liegt damit bei 10,7 Prozent. Die Devisenreserven wuchsen um weitere 247 Mrd. US-Dollar und betragen jetzt über eine Billion Dollar. Der A-Aktienmarkt hat seit Anfang 2006 um fast 150 Prozent zugelegt; die politisch Verantwortlichen sahen sich daher genötigt, einer „Bubble“ zuvorzukommen. Die Auflegung neuer Fonds wurde bis auf weiteres ausgesetzt, den Banken wird nahegelegt, keine Investitionskredite mehr zu bewilligen und ganz allgemein ziehen die chinesischen Aufsichtsbehörden die Bremse an, was die weitere Marktentwicklung betrifft. Dieses marktpolitische Klima sollte bis auf weiteres anhalten und voraussichtlich zu stärkerem Druck infolge der hohen Binnenliquidität führen. Wir rechnen mit einem höher tendierenden, aber volatilen Markt. Insgesamt bewerten wir die Maßnahmen der politischen Entscheidungsträger in China als angemessen und konstruktiv.

2. USA. Im Zeitraum Dezember bis Januar stiegen die Renditen zehnjähriger US-Schatzanleihen von rund 4,4 Prozent auf 4,9 Prozent. Die insgesamt positiven Konjunkturdaten deuteten darauf hin, dass sich der Einbruch des Wohnimmobilienmarktes nicht weiter auf die Konsumentwicklung ausgewirkt hat. Auch die Federal Reserve zeigte sich in keiner Weise besorgt, was das rückläufige Wachstum angeht. Im Gegenteil: Die amerikanische Notenbank wurde nicht müde, auf den anhaltenden Inflationsdruck hinzuweisen. Eine baldige Senkung der Leitzinsen ist damit unwahrscheinlich. Immerhin schlossen die Aktienmärkte fester und vor allem zyklische Aktien, wie Stahl- und Chemiewerte, zogen deutlich an. Insgesamt waren die Weichen also für weiteres Wachstum – wenn auch mit anhaltendem Inflationsdruck – gestellt.

Was hat sich also geändert? In der Zwischenzeit haben sich schwerwiegende Probleme im „Sub-prime“-Segment des amerikanischen Hypothekenmarktes abgezeichnet. Gleichzeitig sind die Konjunkturdaten nicht so gut ausgefallen, wie man erwartet hatte. Die Renditen zehnjähriger Schatzbriefe gingen wieder auf 4,55 Prozent zurück. Es lässt sich nicht leugnen, dass die Folgen des Preisverfalls am Immobilienmarkt jetzt langsam durchsickern. Unserer Auffassung nach war die globale Marktreaktion am 27. Februar Ausdruck der wieder erstarkten Rezessionssorgen.

Vor dem Hintergrund problematischer Wirtschaftsdaten ist es vor allem wichtig, sich von den kurzfristigen Fluktuationen zu lösen und die langfristige Perspektive im Auge zu behalten. Als sich im letzten Sommer die Probleme am Immobilienmarkt abzeichneten, formulierten wir ein makroökonomisches Szenario, das von einer sanften Landung der US-Konjunktur ausging. Danach sollte die Wachstumsrate sich auf 2,5 bis 3 Prozent verlangsamen. Dieses Szenario entspricht mittlerweile dem Konsens unter den Volkswirtschaftern. Auch wir halten selbstverständlich daran fest und es gibt bisher keine Indikatoren, die diesem Szenario widersprechen. Man kann nicht erwarten, dass der Rückgang der konjunkturellen Wachstumsdynamik in den USA von einem Niveau weit über 3 Prozent nahtlos und linear vonstatten geht. Vor allem der rückläufige Immobilienmarkt beeinflusst die anderen Wirtschaftsbereiche auf vielfältige Weise und in unterschiedlichen Phasen. Da sind zunächst die primären Folgen für Hausbesitzer, dann die Sekundäreffekte in Form von Hypothekenausfällen und schließlich die langfristigen Auswirkungen auf das Konsum- und Ausgabeverhalten. Von Quartal zu Quartal könnten die Wirtschaftsdaten sich also durchaus als günstig erweisen. Das widerspricht in keiner Weise dem Grundszenario einer sanften konjunkturellen Landung.

Das eigentliche Problem ist vielmehr die Überreaktion des Marktes auf eine uneinheitliche Einschätzung der weiteren konjunkturellen Entwicklung. Die Fakten, auf die wir unsere Prognose einer sanften Landung stützen, haben sich jedoch nicht geändert: relativ niedriger Realzins, günstige Darlehensbedingungen und ausgewogene Unternehmensbilanzen mit einer leicht gegenläufigen Tendenz infolge des schwächelnden US-Immobilienmarktes.

3. Yen-Carry-Trade. Immer wieder Sorgen bereitet auch die Aussicht, dass steigende Zinsen in Japan den Märkten bei Auflösung von Yen-Carry-Trades massiv Liquidität entziehen würden. Die Leitzinsen wurden in Japan erst kürzlich angehoben. Damit hatte man allerdings allgemein gerechnet. Tatsächlich erfolgte die Zinserhöhung sogar später als erwartet. Bis auf weiteres dürfte das Zinsgefälle indes bestehen bleiben, auch wenn die japanische Notenbank – wie wir annehmen – weiter an der Zinsschraube drehen wird. Inwieweit sich die Carry-Trades wirklich auf die globalen Märkte auswirken, bleibt strittig. Klar ist jedoch, dass sich das Thema negativ auf die Marktstimmung niederschlägt.

Was bedeutet das für die Schwellenländermärkte?

Eine sanfte Landung wäre zweifelsohne positiv. Das Wachstum wird in den Industrienationen zwar etwas geringer ausfallen, aber immer noch voll und ganz ausreichen, damit die Volkswirtschaften der Emerging Markets ihren Wachstumsvorsprung von 4 Prozent gegenüber den Industrieländern aufrechterhalten können. Mit geldpolitischen Erschütterungen ist in den Industrieländern ebenfalls nicht zu rechnen. Die Emerging Markets selbst erfreuen sich bester wirtschaftlicher Gesundheit: allgemein gesunde Handels- und Haushaltsbilanzen, solide Devisenreserven, Deflation und Zinssenkungen prägen – mit Ausnahme von Indien – alle Schwellenländer. Aber natürlich gibt es auch hier Unterschiede. Eine Verschlechterung der Marktstimmung könnte insbesondere denjenigen Emerging Markets schaden, die ein hohes Handelsbilanzdefizit aufweisen, wie beispielsweise Indien, Ungarn, Südafrika und die Türkei.

Bevor der Schock des Kursrutsches überwunden ist, werden Anleger und Fondsmanager wohl noch ein paar Tage lang eifrig ihre Portfolios umschichten. Vor dem Hintergrund der dynamischen Wirtschaftsentwicklung an den Emerging Markets und günstiger Bewertungen begreifen wir diesen Preisverfall als hervorragende Kaufgelegenheit. Unsere Einschätzung würde sich natürlich grundlegend ändern, wenn sich tatsächlich die Indizien für eine harte Landung mehrten. Momentan ist das jedoch unwahrscheinlich und wir bleiben bei unserer positiven Prognose.

Quelle: Schroders

Die Schroders-Gruppe ist eine führende internationale Vermögensverwaltungsgesellschaft, die 1804 gegründet wurde. Schroders verwaltet Anlagen für Pensionsfonds, Regierungsbehörden, Wohltätigkeitsorganisationen, Körperschaften, Familienunternehmen und vermögende Privatpersonen weltweit und ist ein führender Verwalter von Investmentfonds. Schroders bietet Anlagen in allen wichtigen Vermögenskategorien in entwickelten Ländern und Schwellenländern an: Aktien, Schuldtitel, Geldmarktinstrumente, Beteiligungen und Immobilien. Das weltweit verwaltete Vermögen betrug zum 31. März 2006 rund 184,2 Mrd. Euro.

Keine Kommentare

Du willst kommentieren?

Die Kommentarfunktion auf stock3 ist Nutzerinnen und Nutzern mit einem unserer Abonnements vorbehalten.

  • für freie Beiträge: beliebiges Abonnement von stock3
  • für stock3 Plus-Beiträge: stock3 Plus-Abonnement
Zum Store Jetzt einloggen

Das könnte Dich auch interessieren

Über den Experten

Thomas Gansneder
Thomas Gansneder
Redakteur

Thomas Gansneder ist langjähriger Redakteur der BörseGo AG. Der gelernte Bankkaufmann hat sich während seiner Tätigkeit als Anlageberater umfangreiche Kenntnisse über die Finanzmärkte angeeignet. Thomas Gansneder ist seit 1994 an der Börse aktiv und seit 2002 als Finanz-Journalist tätig. In seiner Berichterstattung konzentriert er sich insbesondere auf die europäischen Aktienmärkte. Besonderes Augenmerk legt er seit der Lehman-Pleite im Jahr 2008 auf die Entwicklungen in der Euro-, Finanz- und Schuldenkrise. Thomas Gansneder ist ein Verfechter antizyklischer und langfristiger Anlagestrategien. Er empfiehlt insbesondere Einsteigern, sich strikt an eine festgelegte Anlagestrategie zu halten und nur nach klar definierten Mustern zu investieren. Typische Fehler in der Aktienanlage, die oft mit Entscheidungen aus dem Bauch heraus einhergehen, sollen damit vermieden werden.

Mehr Experten