Kommentar
15:18 Uhr, 21.03.2014

Wenn Wohl und Wehe der Aktienmärkte vom Live-Ticker abhängig sind…

Erwähnte Instrumente

Nach dem eindeutigen Ausgang der Volksabstimmung für eine Abspaltung von der Ukraine hat Russland mit der uneingeschränkten Aufnahme der Krim in die russische Föderation begonnen. Zwar sehen die USA und die EU darin einen Verstoß gegen das Völkerrecht und beschlossen als Reaktion u.a. ein Einreiseverbot sowie die Kontosperrung für bis jetzt 33 russische bzw. pro-russische Politikfunktionäre.

Von harten Wirtschaftssanktionen gegen Russland kann jedoch keine Rede sein. Vielmehr hält man den Weg für eine diplomatische Lösung des Krim-Konflikts offen. Offensichtlich hat man die möglichen wirtschaftlichen Kollateralschäden - die insbesondere Deutschland export- und energieseitig schwer träfen - fest im Blick. Denn wenn erst einmal der Prozess von Sanktion und Gegensanktion einsetzt, ist ein Ende nicht absehbar.

Dennoch ist die wirtschaftliche Unsicherheit zu spüren: Die vom ZEW befragten Finanzanalysten zeigen sich insbesondere in punkto Konjunkturerwartungen für die deutsche Wirtschaft kritischer. Sie sind mit aktuellen 46,6 im Vergleich zum Vormonatswert von 55,7 deutlich schwächer ausgefallen, auch wenn sie sich noch immer auf vergleichsweise hohem Niveau befinden. Immerhin verbesserte sich die Einschätzung der aktuellen Lage leicht von 50 auf 51,3. Auch für Euroland sind die Konjunkturerwartungen zuletzt gefallen, wenn auch nicht so stark wie in Deutschland. Das Exportland Deutschland ist von weltkonjunkturellen Eintrübungen stärker betroffen.

Internationale Geldpolitik als Konjunkturpuffer

Auch vor dem Hintergrund einer schwelenden Krim-Krise und den grundsätzlichen Konjunktursorgen in den Schwellenländern bleibt die internationale Geldpolitik weiter extrem großzügig.

In Euroland liefert eine im Februar schwächer als erwartete Inflationsrate von 0,7 Prozent der EZB Argumente für weitere expansive Maßnahmen. Auch der exporthemmende, starke Euro ist ihr ein Dorn im Auge. EZB-Chef Draghi weiß um die große Bedeutung des Exports für die Genesung der euroländischen Wirtschaft.

Auch die US-Notenbank bleibt expansiv. So bekräftigte Janet Yellen auf ihrer ersten Zinssitzung als Fed-Chefin zwar die Fortführung der Drosselung der Liquiditätszuführung (Tapering) in bisher bekanntem Tempo. Zurzeit weist der Tapering-Autopilot klar auf das Ende der Liquiditätszuführung im Herbst hin, obwohl sich die Fed je nach ökonomischer Datenlage weiterhin alle Hintertüren für eine mögliche Verringerung bzw. sogar Aussetzung des Tapering offen hält

Grundsätzlich ruht der Fokus der Finanzmärkte zunehmend auf den US-Notenbankzinsen.

Zwar geht die Fed in ihren Konjunkturprojektionen von einer anhaltenden Konjunkturdynamisierung aus. Gleichzeitig verschafft sie sich allerdings mehr zinspolitischen Spielraum, indem sie sich insbesondere von ihrem bisherigen quantitativen Schwellenwert einer sinkenden Arbeitslosenquote auf 6,5 Prozent - der eine restriktive Zinspolitik nahe gelegt hätte - löst. Die Fed bezieht sich nun auf eine Vielzahl an Konjunkturdaten zur Bestimmung ihrer zukünftigen Zinspolitik. Diese „weite Bandbreite“ an Informationen reicht von Arbeitsmarktbedingungen über Inflationsdruck und -erwartungen bis hin zu finanzwirtschaftlichen Entwicklungen. Man könnte sagen, die Fed schaut schwammig auf alles und eröffnet sich damit mehr Möglichkeiten zur Beibehaltung niedriger Zinsen, selbst bei Besserung auf dem Arbeitsmarkt und bei anziehender Inflation.

Wichtig zu betonen ist auch die Aussage von Frau Yellen, dass die langfristigen Zinsprojektionen der einzelnen Fed-Mitglieder, die zuletzt auf eine mögliche Zinswende im II. Quartal 2015 hindeuteten, von den Finanzmärkten nicht überbewertet werden dürften.

Denn die Fed ist sich der globalen Auswirkungen ihrer Geld- und insbesondere Zinspolitik, vor allem auf die Schwellenländer, bewusst. Sie weiß, dass Zinserhöhungen einen fatalen Kapitalabzug aus den Schwellenländern auslösen könnten, die neben der Weltwirtschaft nicht zuletzt auch der amerikanischen Exportwirtschaft schaden würden. Befürchtungen, dass unmittelbar auf das Ende des Tapering Notenbankzinserhöhungen folgen, muss sie daher zerstreuen.

Zudem sorgt die People’s Bank of China für eine Stabilisierung der chinesischen Wirtschaft über eine zunehmende Flexibilisierung - auf Deutsch Abwertung - der heimischen Währung. Die seit Wochen betriebene Abwertung des Renminbi greift der zuletzt schwächelnden chinesischen Exportindustrie unter die Arme. China spürt die zunehmende Billigkonkurrenz aus Japan. Überhaupt dient die plötzliche Abweichung von der langjährigen Politik der Währungsaufwertung zur Abschreckung von auf Aufwertung der chinesischen Währung spekulierenden Investoren. Nicht zuletzt erhalten so die chinesischen Schattenbanken weniger Kapital, das sie bislang zur unkontrollierten Aufblähung des Kreditwachstums nutzten.

Anstehende Dividendensaison als Sorgenpause für die Aktienmärkte

Die Berichtsaison für das zurückliegende IV. Quartal 2013 im DAX ist beendet. Zwei Drittel der berichtenden Unternehmen konnten gewinnseitig positiv überraschen.

Linde konnte trotz massiver negativer Währungseffekte im Schlussquartal 2013 dank einer starken Entwicklung der Tochter Lincare einen Rekordgewinn erzielen. Im Ausblick äußert sich das Unternehmen etwas vorsichtiger, erwartet trotz Währungsrisiken dennoch weiterhin ein solides Wachstum des Konzernumsatzes. Sollten sich allerdings die negativen Währungseffekte 2014 fortsetzen, könnten diese spätestens 2016 zu einer Ergebnisschmälerung führen. HeidelbergCement kann dank eines soliden Finanzergebnisses sowie Verkäufen von Unternehmensanteilen negative Währungseffekte ausgleichen und seinen Jahresüberschuss um 78 Prozent steigern. Im Ausblick erwartet der Baustoffkonzern für 2014 aufgrund eines positiven Ausblicks für die Industrieländer ein solides Wachstum bei Umsatz und Ergebnis. Hohe Abschreibungen und Restrukturierungskosten haben Lanxess im vergangenen Jahr in die Verlustzone gebracht. Zwar erwartet Lanxess auch für 2014 aufgrund eines scharfen Wettbewerbs und Überkapazitäten ein schwieriges Geschäftsumfeld. Allerdings trauen die Finanzmärkte dem neuen Vorstandschef Matthias Zachert einiges zu.

Vor dem Hintergrund der für 2014 grundsätzlich - wenn auch verhalten - optimistischen Ausblicke bleiben die Dividenden gut unterfüttert. Dieses Jahr wird für die Aktionäre von DAX-Unternehmen ein insgesamt gutes Dividendenjahr. Knapp zwei Drittel aller im deutschen Leitindex gelisteten Unternehmen haben ihre Ausschüttungssummen erhöht. Die grundsätzlich hohe Überschussliquidität geben die Unternehmen offenbar an ihre Aktionäre weiter.

Grafik der Woche: Dividendenzahlungen im DAX

Dividenden sind ein klares pro-Argument für Aktien in aktuell schwierigem Umfeld. Deutsche - aber auch europäische Substanzaktien - liefern auch nach Abzug der Inflation eine ordentliche Dividendenrendite, die die Renditen deutscher Staatsanleihen sowie Festgeldanlagen weit in den Schatten stellt.

Aktuelle Marktlage und Charttechnik

Die Chancen auf eine diplomatische Stabilisierung im Krim-Konflikt sind grundsätzlich gegeben. Aufgrund einer zwischenzeitlichen Stabilisierung der politischen Lage, konnten die Aktienmärkte ihre Kursverluste der letzten Wochen sogar wieder etwas ausgleichen. Die Erleichterung über das Ausbleiben harter Wirtschaftssanktionen gegen Russland kam insbesondere russischen Aktien zugute.

Dennoch kann eine Eskalierung der Krise nicht ausgeschlossen werden. Vorerst bleibt die Volatilität der Aktienmärkte in Abhängigkeit des Live-Tickers hoch.

Aus charttechnischer Sicht wartet im DAX die erste Hürde auf dem Weg nach oben bei 9.340 Punkten. Im Falle einer erneuten Gegenbewegung im DAX liegt die erste Unterstützung bei 9.140 Punkten. Darunter ist entscheidend, dass der DAX die derzeit an der 200 Tage Linie verlaufende Unterstützung bei 8.846 Punkten verteidigt. Wird diese jedoch signifikant durchbrochen, wartet die erste nennenswerte Unterstützung im Bereich zwischen 8.500 und 8.450 Punkten. Unterhalb dieser Zone besteht die Gefahr einer Baisse. Dann muss ein Rutsch bis zur nächsten wichtigen Auffangzone zwischen 7.600 und 7.500 Punkten einkalkuliert werden.

Und was passiert in der nächsten Woche?

In den USA deutet der Einkaufsmanagerindex der Fed Chicago auf eine Konjunkturbeschleunigung nach dem harten Winter hin. Auch der Gegenwind bei den Auftragseingängen für langlebige Güter dürfte im Februar nachgelassen haben. Solide zeigt sich auch das Verbrauchervertrauen der Universität von Michigan.

In Euroland kommt es zum konjunkturellen Stimmungstest. Die zuletzt wieder gestiegene Unsicherheit in punkto Wirtschaftsentwicklung in den für die euroländische Exportwirtschaft wichtigen Schwellenländern sowie bezüglich der Krim-Krise dürfte für einen Dämpfer bei den euroländischen Einkaufsmanagerindices sorgen.

Insbesondere die deutsche, exportsensitive Konjunkturstimmung dürfte sich belastet zeigen. Insofern werden von Anlegern die deutschen ifo Konjunkturdaten mit großer Spannung erwartet. Immerhin signalisiert der GfK Konsumklimaindex eine weiterhin solide deutsche Binnenkonjunktur.

Wer diplomatisch zu spät kommt, den bestraft der Aktienmarkt mit politischen Börsen

Wenn man über den Tellerrand des aktuellen politischen Hick-Hack schaut, stehen die Chancen gar nicht mal so schlecht, die Reibereien in punkto Krim-Krise auch zum Wohle der Aktienmärkte zu entschärfen.

Auf der einen Seite hat Putin sein Ziel, die Krim mit Russland „wiederzuvereinigen“ erreicht. Nun kann er, der Machtmensch Putin, der beim Kreuzworträtsel auf die Frage „Weltmacht mit drei Buchstaben“ sicherlich „ICH“ eintragen würde - mit stolzgeschwellter Brust behaupten, es dem Westen so richtig gezeigt zu haben. Das russische Trauma des seit 1991 - seit dem Zerfall der Sowjetunion - währenden geopolitischen Bedeutungsverlustes mit zunehmender Umzingelung durch Nato-Mitgliedsländer im Westen hat er jetzt umgekehrt. Es waren wohl die Vladimir Putin-Wohlfühltage.

Leben und Leben lassen…

Auf der anderen Seite: Wie will der Westen gegen eine russische Annexion der Krim argumentieren, wenn genau dies ca. 97 Prozent der Bevölkerung der Krim wollten. Der Westen ist doch immer mit viel Schmackes für das Selbstbestimmungsrecht der Völker eingetreten, oder?

Ohnehin hat sich der Westen hinter vorgehaltener Hand längst mit den geschaffenen russischen Tatsachen abgefunden. Und selbst die Ukraine scheint die Krim verloren zu geben: Die Regierung in Kiew bereitet den Truppenabzug vor. Natürlich musste der Westen Sanktionen beschließen, um sein Gesicht zu wahren. Aber die bis jetzt ergriffenen Sanktionen, die uns als scharfe „Waffen“ verkauft wurden, sind wohl eher Stinkbomben, die Russland nicht wirklich weh tun. Und die Konteneinfrierung von russischen Oligarchen? Die wird seit zwei Wochen diskutiert. Da hatte jeder Betroffene genügend Zeit, seine finanziellen Schäfchen ins Trockene zu bringen. Harte westliche Bestrafungen sind das nicht, das ist eher das Werfen von Wattebällchen. Übrigens, von russischen Gegensanktionen hört man noch auffallend wenig.

Ein Kalter Krieg 2.0 sieht wohl anders aus. Alles anderer könnte die Diplomatie jetzt hinbekommen. Allmählich könnte man dieses politische Thema langsam, aber sicher aus den Schlagzeilen bringen. Dann würden die Aktienbörsen vom russisch kalten, politischen Winter befreit wie Strom und Bäche vom Eis im Frühjahr. Die Anleger könnten sich wieder mit den ganz ordinären Themen der Aktienmärkte wie Konjunktur, Schwellenländer oder Yellens US-Geldpolitik beschäftigen.

…oder GAU?

Bin ich zu optimistisch? Es gibt grundsätzlich auch die harte Variante der Konflikteskalation: Es besteht die theoretische Gefahr, dass im Osten der Ukraine oder in sonstigen früheren Sowjetrepubliken Scharmützel zwischen pro- und contra-russischen Gruppierungen von Putin als Gelegenheit macht Diebe-Chance genutzt werden, um unter dem Alibi des Schutzes der russischen Bevölkerung auch diese Gebiete „wiederzuvereinigen“.

Dann allerdings würde aber selbst China - der langjährige außenpolitische Wegbegleiter, wenn nicht sogar Freund Russlands - auf Distanz zu Putin gehen. Denn China fürchtet eine fatale Blaupause, die auch zu Separationsbestrebungen in seinem Riesenreich führen könnte. Außerdem wird der Westen dann die ganz große Sanktionskeule auspacken. Sicherlich tut dies gerade Deutschland energie- und exportseitig weh, aber auch dem russischen Bären. Russland ist zwar wie kaum ein zweites Land mit Rohstoffen - u.a. (Edel-)Metalle, Öl, Gas, Holz - gesegnet. Vor diesem Hintergrund müsste Putin eigentlich der Präsident einer alleinigen Weltsupermacht sein. Aber konjunkturell ist der Rohstoffriese schwachbrüstig, nicht zuletzt weil es an ordentlicher Industrieinfrastruktur sowie vernünftigen Verwaltungs- und Wirtschaftsprozessen mangelt. Russland braucht hier westliches Know How wie die Bienen die Frühlingsblüten. Viele westliche Bienen können selbst dem großen russischen Bären das wirtschaftliche Leben sehr schwer machen. Überhaupt, wie attraktiv kann Russland als Investitionsstandort sein, wenn die Oligarchen ihr Geld lieber großzügig im Ausland anlegen?

Das Zeitfenster zum Wohl des Aktienmarkts nutzen

Noch einmal: Eigentlich wäre jetzt der Zeitpunkt für beide Seiten günstig, verbale Abrüstung zu betreiben. Damit stutzte man der politischen Börse gehörig die Beine. Hier ist vor allem Deutschland gefragt, das im Westen am meisten zu verlieren hat und mit Frau Merkel und Herrn Steinmeier zwei sehr versierte Putin-Versteher zu bieten hat.

Ich bin optimistisch, dass wir an den Börsen bald wieder Krim-Sekt trinken werden.

Volkswirtschaftliche Prognosen auf einen Blick

Kapitalmarkt auf einen Blick

Robert Halver, Leiter Kapitalmarktanalyse der Baader Bank AG

Rechtliche Hinweise/Disclaimer und Grundsätze zum Umgang mit Interessenskonflikten der Baader Bank AG:

http://www.baaderbank.de/disclaimer-und-umgang-mit-interessenskonflikten/

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