Kommentar
07:00 Uhr, 14.01.2007

Wenn Tradingtagebücher nicht funktionieren

Autor: Brett B. Steenbarger, Ph. D.

Eines der meistempfohlenen Dinge, die Tradingmentoren an ihre Schüler weitergeben, ist das Führen eines Tradingtagebuches. Durch die Dokumentation Ihres Tradings, so zumindest die verbreitete These, kann man lernen, was man richtig und was man falsch macht, und somit die Lernkurve beschleunigen. Ich bin ebenfalls ein großer Fan von Tradingtagebüchern; tatsächlich habe ich das Führen von Tagebüchern sogar zu einem zwingend vorgeschriebenen Bestandteil des Trainingsprogramms von einer in Chicago ansässigen Tradingfirma gemacht. Dennoch habe ich immer wieder feststellen müssen, dass diese Tagebücher nicht ihren eigentlichen Zweck erfüllen. Sie wurden zu Routineübungen, die es nicht bis zum Kern von Tradingproblemen bzw. deren Lösungen geschafft haben. Aus diesem Grund habe ich mich dazu entschlossen, die fünf gröbsten Unzulänglichkeiten im Umgang mit Tradingtagbüchern aufzuzeigen, und wie man diese in Angriff nimmt.

1. Das Tagebuch weist einen Mangel an Spezifikationen auf. Oftmals wird das Tagebuch für den Trader zum Ausgang, ein Art Entlüftung. Obwohl an einer Entlüftung an sich überhaupt nichts einzuwenden ist, ist es schwierig zu erkennen, wie „einfach“ das Entlüften in einem Tagebuch zu einer Verbesserung der Performance führen kann. Ein Eintrag könnte folgendermaßen lauten, „Ich habe einen langsamen Markt übertradet und habe dabei all meine Regeln gebrochen. Ich weiß, dass ich nehmen muss, was mir der Markt überlässt. Morgen muss ich mit mehr Disziplin traden“. All diese Dinge sind vielleicht wahr, aber diesem Eintrag mangelt es ganz einfach an der Spezifikation bezüglich des „warum“ der Trader übertradet hat; „wie“ das Übertrading am nächsten Handelstag vermieden wird; und „welche Schritte“ gesetzt werden um zur gewünschten Disziplin zurückzukehren. Ein Tagebucheintrag ohne diese Spezifikationen kommt einem Statement der guten Vorsätze gleich; und keinem Plan. Wenn Ihr Tagebucheintrag keine konkreten Schritte aufweist, die Sie befolgen können um ein Problem in Angriff zu nehmen, dann ist es auch sehr unwahrscheinlich, dass es Ihnen als Aktionsplan dienlich sein kann.

2. Das Tagebuch konzentriert sich auf Probleme, und nicht auf Lösungen. Trader lieben es Tagebücher zu führen, wenn Sie gerade verlieren, hören aber mit ihren Aufzeichnungen auf, sobald es gut für sie läuft. Ich hingegen behaupte, dass gerade wenn Sie Geld verdienen, der Zeitpunkt für das Führen eines Tradingjournals am besten ist. Ihr Ziel sollte es sein, erfolgreiche Tradingmuster immer und immer wieder zu kopieren, und nicht nur problematische zu analysieren. Ideale Tagebücher isolieren, was Trader tun, wenn Sie gerade ihr bestes geben. Diese Lösungsmuster können somit isoliert, und im Lernprozess mental geprobt werden. Im schlimmsten Fall sind Tagebücher wie schlechte Eltern, die ihre Kinder bestrafen, wenn sie etwas falsch gemacht haben, jedoch niemals Lob und Anerkennung zeigen, wenn gutes Verhalten gezeigt wird. Kinder verübeln dies ihren Eltern mit der Zeit, genauso wie Trader lernen problemorientierte Tagebuchführung Übel zu nehmen.

3. Das Tagebuch sagt zu viel über den Trader aus und nicht genug über die Märkte. Tagebücher sind ein Lernwerkzeug. Und Ihr primäres Ziel liegt im Erlernen des Tradings. Wenn Sie sich ausschließlich auf Ihren geistigen Zustand konzentrieren, was Sie in einem Trade getan und gelassen haben, etc., vergeben Sie die Chance Muster, die am Markt auftreten zu identifizieren und zu erlernen. Es ist äußerst wertvoll einen Markttag durchzusehen, und festzustellen, auf was Sie hätten achten sollen, um auf eine Marktbewegung aufmerksam zu werden. Vielleicht ist es beim Öl zu einer Ausbruchsbewegung gekommen, der einer Pause an den Aktienindizes vorangegangen war; vielleicht hätte eine Bewegung im Währungsmarkt Ihnen dabei helfen können frühzeitig zu erkennen, wie der Markt auf Neuigkeiten der Fed reagiert. Wenn man solche Tradingmuster in der Retroperspektive betrachtet, trainiert man sein Hirn darauf, auf diese Muster zu achten, wenn sie das nächste mal auftreten.

4. Das Tagebuch ist re-aktiv und nicht pro-aktiv. Dies ist ein Teil des Entlüftungsphänomens: Trader werden zwar Tagebucheinträge nach dem Handelstag machen, das Tagebuch aber nur selten für die Vorbereitung auf den nächsten Handelstag heranziehen. Ein ideales Tradingtagebuch erfasst, wonach Sie in den nächsten Tagen am Markt suchen (antizipierte Setups), und woran Sie an Ihrem eigenen Trading arbeiten wollen. Betrachten Sie Ihr Trading wie ein Unternehmen und das Tagebuch als Businessplan für den Tag. Ein solcher Plan sollte Ihre Stärken und Schwächen zeigen, und Chancen sichtbar machen. Ein Businessplan sollte auch genau beschreiben, wie Sie diese Gelegenheiten ausnutzen wollen. Von früheren Leistungen zu lernen, ist sehr wichtig. Wenn das Lernen jedoch nicht in zukünftigen Plänen widergespiegelt wird, dann wird es sich auch nicht auf die Ergebnisse auswirken.

5. Das Tagebuch hat einen Mangel an Maßen. Dies ist vielleicht das Thema, das meine Leidenschaft am stärksten berührt. Ich habe herausgefunden, dass Trader ihre Stärken und Schwächen am besten beurteilen können, indem sie detaillierte Aufzeichnungen ihrer Trades führen und sich selbst anhand einiger Leistungsmaße beurteilen. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie viele Trader ich kennen gelernt habe, die nicht die geringste Ahnung davon haben, wie groß Ihr durchschnittlicher Profit pro Trade ist; wie groß die durchschnittliche Gewinn- bzw. Verlustgröße ist; wie lang die durchschnittliche Haltedauer ist; etc. Es ist ja nicht so, dass den Tradern ihre Performance egal wäre; sie haben ganz einfach noch nicht nachgeforscht, was das Trade-um-Trade Level ist, um zu sehen, was sie an den Märkten eigentlich tun. Oftmals „glauben“ Trader, dass sie auf eine ganz bestimmte Art und Weise traden, nur um bei der Auswertung der Daten zu erkennen, dass dies überhaupt nicht der Fall ist. Es ist für einen Trader nur sehr schwer feststellbar, ob er Probleme mit dem Trading am Vormittag im Vergleich zu Nachmittag hat; ob er öfter bei Longpositionen richtig liegt, als bei Shortpositionen; und ob er große Positionen anders tradet als kleinere, wenn keine Statistik vorliegt, die ausgewertet und analysiert werden kann.

Was sollte ein Trader also machen? Der erste Schritt liegt darin, zu erkennen, ob man wirklich wissen „will“, was man eigentlich tut, und wie gut man das tut; ob man nun tatsächlich die Zeit und den Aufwand investieren will, um Muster an jedem Tradingtag zu erkennen – und zwar seine eigenen und die des Marktes. Um den U.S. College Basketballcoach Bobby Knight zu interpretieren, viele Trader wollen traden ,und viele wollen gewinnen, aber nicht viele von ihnen sind bereit, jenen Aufwand zu investieren, dem es bedarf um ein Gewinner zu sein. Trainer Knight hat sehr viel Kritik geerntet. Werfen Sie aber einmal einen Blick auf den puren Einsatz, den er immer wieder in das nächste Spiel investiert hat. Dieselbe Intensität findet man bei den Tour de France Spitzenfahrern wie Lance Armstrong, Jan Ullrich oder Ivan Basso, die für jede Phase des Rennens aktiv trainieren und üben. Das ist der Einsatz, der von Gewinnern verlangt wird, und jeder Trader muss wissen, ob er genug Feuer in sich hat, um solch eine Arbeit auch auszuhalten.

Letzten Endes wird der Einsatz um zu gewinnen, vom Verlangen nach Wissen aufrechterhalten. Exzellente Trader führen immer Auswertungen: Sie wollen wissen, was sie richtig oder falsch gemacht haben, und was sie Geld gewinnen und verlieren lässt. Sie arbeiten permanent an sich selbst, und an ihrem Trading. Ich habe viel zu viele „Breakeven“ Trader kennen gelernt, die, nach genauerer Betrachtung konstant Geld verloren haben. Es ist ja nicht so, dass sie lügen würden, sie wollen nur nicht mit der Wahrheit konfrontiert werden. Deshalb vermeiden sie diese. Es ist ganz einfach zu schmerzhaft einen Blick auf das verlorene Geld und die verpassten Möglichkeiten zu werfen. Auch das Führen eines Tagebuchs „sollte“ manchmal schmerzhaft sein, aber dennoch das Beste in Ihnen nach außen kehren. Ohne Tagebuch sind Sie wahrscheinlich nur ein Business ohne Plan.

Quelle: www.traders-journal.de

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Über den Experten

Jochen Stanzl
Jochen Stanzl
Chefmarktanalyst CMC Markets

Jochen Stanzl begann seine Karriere in der Finanzdienstleistungsbranche als Mitbegründer der BörseGo AG (jetzt stock3 AG), wo er 18 Jahre lang mit den Marken GodmodeTrader sowie Guidants arbeitete und Marktkommentare und Finanzanalysen erstellte.

Er kam im Jahr 2015 nach Frankfurt zu CMC Markets Deutschland, um seine langjährige Erfahrung einzubringen, mit deren Hilfe er die Finanzmärkte analysiert und aufschlussreiche Stellungnahmen für Medien wie auch für Kunden verfasst. Er ist zu Gast bei TV-Sendern wie Welt, Tagesschau oder n-tv, wird zitiert von Reuters, Handelsblatt oder DPA und sendet seine Einschätzungen über Livestreams auf CMC TV.

Jochen Stanzl verfolgt einen kombinierten Ansatz, der technische und fundamentale Analysen einbezieht. Dabei steht das 123-Muster, Kerzencharts und das Preisverhalten an wichtigen, neuralgischen Punkten im Vordergrund. Jochen Stanzl ist Certified Financial Technician” (CFTe) beim Internationalen Verband der technischen Analysten IFTA.

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