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15:24 Uhr, 06.02.2008

Weizen: Flächenkonkurrenz, Missernten und Rohstoffhunger

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  • Weizen
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    Aktueller Kursstand:   (ARIVA Indikation)

Der Preis für einen Scheffel Weizen hat sich im Jahr 2007 beeindruckend entwickelt. Weizen verteuerte sich um 77,8% und baute damit den Preissprung um 15,6% auf dem Jahr 2006 noch weiter aus. Zeitweise sprang der Preis über 10 Dollar – das war ein neuer Rekord. Missernten, ausgelöst durch Dürreperioden in wichtigen Produzentenländern wie Australien und der Ukraine, lösten den Rückgang der Weltlagerbestände auf das niedrigste Niveau seit Ende der 70er Jahre aus. Die US-Vorräte sind sogar auf dem niedrigsten Stand seit 60 Jahren angelangt.

Neben den zahlreichen Missernten stützte auch die hohe Nachfrage aus den Schwellenländern die Preise. Besonders jene Länder, die selbst eine niedrige Weizenproduktion haben, kauften in Erwartung noch weiter steigender Preise hohe Mengen auf dem Weltmarkt ein und verknappten dort das Angebot zusätzlich.

Für Landwirte ist die überraschende Verbesserung der Preise ein Segen. Lange Jahre lagen die Preise am Boden und brachten magere Einkünfte. Nur Subventionen halfen, die Phase zu überstehen. Noch im Jahr 2004 fiel der Preis für Weizen an der Warenterminbörse CME in Chicago um 21,4%, in 2005 um weitere 4,7%. Seither haben sich die Preise um 114% erhöht.

Fleischproduzenten haben wirtschaftliche Probleme

Des einen Freud ist des anderen Leid. Fleischproduzenten, die Weizenschrot und andere Restprodukte aus Weizen verwenden, um ihr Vieh zu füttern, verdienen nur noch schlecht oder kämpfen sogar um ihr wirtschaftliches Überleben. Es kann bis zu 8 Kilogramm Getreide benötigen, um ein Kilogramm Fleisch zu produzieren. Länder mit sehr niedrigen Einkommen und wenig eigener Landwirtschaft, wie viele Länder in Afrika und Asien, leiden ebenso. Die Welternährungsorganisation (FAO) mit Sitz in Rom schätzt, dass sich die Importpreise der Entwicklungsländer in diesem Jahr um weitere 14% erhöhen werden. Die Schwellenländer müssen einen Betrag von 52 Milliarden Dollar aufwenden, um Getreide auf dem Weltmarkt zu importieren, so viel wie nie zuvor.

Proteste verärgerter Konsumenten

Die hohen Preise führen zu Aufständen von Jakarta bis Rom. In China hat die Regierung in Beijing die Preise zahlreicher Nahrungsmittel eingefroren, in der Angst vor Aufständen der Bevölkerung. Die Ausschreitungen auf dem Tiananmen Square im Jahr 1989 wurden mit auch von steigenden Preisen ausgelöst. Auch Moskau hat Preiskontrollmechanismen bei Nahrungsmitteln eingeführt. In Erinnerung bleiben die Massenproteste in Mexiko über steigende Tortillapreise, es gab Aufstände wegen hoher Reispreise im Senegal und Straßenproteste in Italien über steigende Pastapreise. In Pakistan bewacht das Militär die Getreidespeicher des Landes. In Indonesien haben 10,000 Sojaverkäufer den Palast der Regierung gestürmt, um gegen hohe Preise zu protestieren. Im Jahr 2007 gab es mehr weltweite Proteste über die Preisanstiege bei Nahrungsmitteln als über die Preisanstiege bei Benzin und anderen Treibstoffen.

US-Energiegesetz koppelt Nahrungs- an Energiepreise

Neben den Missernten und der hohen Nachfrage aus den Schwellenländern ist ein großer Teil der Preisanstiege bei Weizen auf das neue Energiegesetz zurückzuführen, dass die USA im Dezember 2007 in Kraft treten ließen. Es schreibt die Erhöhung der Ethanolproduktion von aktuell 9 auf 36 Milliarden Gallonen bis 2022 vor. Der erwartete Anstieg der Verwendung von Mais für das Benzin-Additiv Ethanol hat zu einem weiteren Preisanstieg bei den Getreidesorten geführt. Die Mengen an Getreide, die zur Herstellung einer Tankfüllung eines Geländewagens mit Ethanol mit der heutigen Technologie benötigt werden, reichen einem Menschen ein ganzes Jahr, so eine Analystenschätzung. Die Energiemengen, die für die Herstellung von Ethanol benötigt werden, sind enorm. Daher hofft die Industrie auf eine schnelle Weiterentwicklung der Technologie, um den Rentabilitätsgrad der Ethanolherstellung weiter zu steigern.

In der EU möchte man damit nichts zu tun haben. Mariann Fischer Boel, Kommissarin für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung, drückte es in einer Rede Mitte Januar vor der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie so aus: „Die europäische Biokraftstoffindustrie verbraucht aktuell weniger als 2% unserer Getreideproduktion. Das können wir wirklich nicht als Grund für die Preissteigerungen anführen, die wir bislang gesehen haben.“ Trotzdem habe man auf die hohen Preisanstiege in der EU reagiert, so Boel. Importzölle wurden für alle Getreidesorten außer Hafer ausgesetzt. Hinzu kommen Exporterstattungen für Schweinefleisch, um die durch die hohen Futtermittelkosten belasteten Produzenten international wettbewerbsfähig zu halten. Die EU bezahlt auf unbestimmte Zeit für den Export von Schweinefleisch 31,10 Euro pro Tonne. Zudem wurden Vorschriften zur Einhaltung von Brachflächen zeitweise außer Kraft gesetzt.

Gerade in Deutschland habe die gesetzliche Bioenergieförderung dazu geführt, massive Investitionen anzustoßen. Bernhard Krüsken vom Verband Deutsche Tiernahrung gibt an, dass gerade in "viehstarken Regionen" die Anzahl der Biogasanlagen sprunghaft angestiegen sei. Die Ressourcenkonkurrenz setze die Tierhaltung unter starken wirtschaftlichen Druck, da zum einen die Preise für Futtermittel steigen und zum anderen vermehrt Flächen für den Anbau von Bioenergie-Getreide genutzt würden, die damit für die Tierhaltung verloren gingen. Krüsken fordert, nach dem Grundsatz "Food comes first" zu fördern und die Anschubförderung des Bioenergiesektors zu beenden.

Die Börsen, an denen die Marktpreise schließlich gebildet werden, haben die wachsende Flächenkonkurrenz in der Landwirtschaft erkannt und bilden diesen Trend in die Preise ein. Zusammenfassend kann also gesagt werden, dass die Preise für Weizen derzeit durch drei Determinanten maßgeblich beeinflusst werden: 1) Missernten in wichtigen Produzentenländern, 2) hohe Nachfrage aus den Schwellenländern und 3) Flächenkonkurrenz.

Ausblick: Wohin gehen die Preise?

Wir rechnen mit einer weiteren Verdopplung der Weizenpreise ausgehend vom aktuellen Niveau von 9,42 Dollar pro Scheffel. Interessant ist in diesem Zusammenhang eine Untersuchung der Deutschen Bank. Sie hat die durchschnittliche preisliche und zeitliche Ausdehnung vergangener Rohstoffpreisanstiege untersucht. In den vergangenen 40 Jahren sind die Agrarrohstoffe in einer Rallye um durchschnittlich 160% angestiegen. Der Preisanstieg dauerte dabei im Schnitt 18 Monate. Damit seien die Preisanstiege im Agrarsektor kürzer und sprunghafter als bei anderen Rohstoffen, wie Erdöl oder den Basismetallen.

Sowohl Erdöl als auch die Basismetalle wie Kupfer oder Nickel hätten aber in der aktuellen Hausse jegliche historische Vergleiche übertroffen. Eine „normale“ Öl-Hausse halte den Untersuchungen zufolge zwei Jahre an und bringe einen Anstieg vom Tiefst- zum Höchstpunkt von 225% mit sich. Die aktuelle Hausse dauere allerdings bereits sechs Jahre an und brachte einen Preisanstieg um 450% mit sich. Daher zeigen sich die Analysten zuversichtlich, dass auch die laufende Hausse bei den Agrarrohstoffen noch lange anhalten werde. Sie halten einen Preisanstieg bei Weizen bis in die erste Hälfte des Jahres 2009 auf 20,30 Dollar pro Scheffel für möglich. „Wir glauben, dass die Preisrallyes bei Mais, Baumwolle, Sojabohnen und Weizen noch ganz am Anfang steht“, so Michael Lewis, Rohstoff-Analyst bei der Deutschen Bank. Das Kursziel von 20,30 Dollar pro Scheffel entspricht einem Aufwärtspotenzial zum jetzigen Preis von 116%.

Quelle: Rohstoff-Report

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Über den Experten

Jochen Stanzl
Jochen Stanzl
Chefmarktanalyst CMC Markets

Jochen Stanzl begann seine Karriere in der Finanzdienstleistungsbranche als Mitbegründer der BörseGo AG (jetzt stock3 AG), wo er 18 Jahre lang mit den Marken GodmodeTrader sowie Guidants arbeitete und Marktkommentare und Finanzanalysen erstellte.

Er kam im Jahr 2015 nach Frankfurt zu CMC Markets Deutschland, um seine langjährige Erfahrung einzubringen, mit deren Hilfe er die Finanzmärkte analysiert und aufschlussreiche Stellungnahmen für Medien wie auch für Kunden verfasst. Er ist zu Gast bei TV-Sendern wie Welt, Tagesschau oder n-tv, wird zitiert von Reuters, Handelsblatt oder DPA und sendet seine Einschätzungen über Livestreams auf CMC TV.

Jochen Stanzl verfolgt einen kombinierten Ansatz, der technische und fundamentale Analysen einbezieht. Dabei steht das 123-Muster, Kerzencharts und das Preisverhalten an wichtigen, neuralgischen Punkten im Vordergrund. Jochen Stanzl ist Certified Financial Technician” (CFTe) beim Internationalen Verband der technischen Analysten IFTA.

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