Analyse
17:35 Uhr, 10.10.2008

Weiteres entschlossenes Vorgehen ist angesagt!

Externe Quelle : Unicredit

Die globalen Entscheidungsträger haben sich in dieser Woche zu einer beispiellosen konzertierten Aktion entschlossen, um sich vor der Kurve zu positionieren und die rasante Verschlechterung der Marktstimmung zu stoppen. Bislang haben sie ihre Ziele noch nicht erreicht und dürfen deshalb in ihren Bemühungen nicht nachlassen. Der Druck auf Zentralbanken und Regierungen wächst, auf die konzertierte Senkung der Leitzinsen weitere Maßnahmen folgen zu lassen. Schließlich stehen die Stabilität des globalen Finanzsektors und der Weltwirtschaft auf dem Spiel. Es wäre sicherlich besser gewesen, wenn die Zentralbanken früher gehandelt hätten. Das Gleiche gilt auch für ein koordiniertes Vorgehen der EU-Regierungschefs, das bislang ausgeblieben ist. Doch es ist noch nicht zu spät. Wir erleben derzeit eine entschlossene Haltung der Politik. Die globalen Entscheider stehen mit dem Rücken zur Wand. Nun sollte niemand mehr ihren Willen zum Handeln unterschätzen. Die Märkte reagieren panisch und ohne Hoffnung. Im gewissen Sinn ist dies die Blase in umgekehrter Form: Sie ist irrational, ansteckend und scheinbar unaufhaltsam – doch am Ende wird sie wie alle Blasen vor ihr auch platzen. Und diesmal sollten die Verantwortlichen sie ordentlich pieksen, damit sie bald platzt. Wir brauchen härtere, bessere, schnellere und entschlossenere Maßnahmen, denn die nächsten Tage sind kritisch.

Am vergangenen Mittwoch senkten die Fed und EZB sowie die Notenbanken Großbritanniens, der Schweiz, Kanadas und Schwedens ihre Leitzinsen zeitgleich um 25-50 Basispunkte (Bp). China schloss sich mit einer Senkung um 27 Bp an. Japan unterstützte diese Aktion ausdrücklich, sah sich offenbar jedoch nicht in der Lage, ebenfalls daran teilzunehmen. Der japanische Leitzins liegt weiterhin bei 0,50%. Die konzertierte Aktion war ein starkes Signal dafür, dass die weltweiten Zentralbanken zusammenstehen und bereit sind zu handeln. Die EZB ließ ihrem in der letzten Woche angekündigten Kurswechsel Taten folgen: Sie nahm ihre vor rund zwei Monaten beschlossene Zinsanhebung zurück und senkte den Leitzins sogar noch etwas mehr. Äußerst wichtig ist auch die Tatsache, dass sich China dieser Aktion angeschlossen hat. Denn damit handelt es sich tatsächlich um eine globale Reaktion mit Beteiligung eines der führenden Schwellenländer. Chinas Feuerkraft im Hinblick auf Devisenreserven und Wachstumspotenzial ist enorm. Dass sich auch China gegen die globale Finanzkrise stemmt, erhöht die Erfolgschancen für alle.

Die historische Leitzinssenkungsrunde wurde vom Bemühen der europäischen Regierungen flankiert, nationale Rettungspläne für die Stabilisierung der nationalen Bankensysteme zu schmieden. Entsprechende Mitteilungen kamen aus Spanien, Großbritannien, Frankreich und schließlich auch aus Italien. Wahrscheinlich werden andere Länder folgen. Ich hätte ein koordiniertes Vorgehen der EU-Regierungschefs begrüßt, aber dies ist zumindest der zweitbeste Weg. Der britische Rettungsplan ist sehr gut strukturiert und äußerst schlagkräftig, denn er adressiert die drei Hauptursachen für den weltweiten Finanzschock: Kapitalausstattung, Liquidität und Refinanzierung. Außerdem sollen die Banken mit Hilfe staatlicher Kreditbürgschaften dazu gebracht werden, die Realwirtschaft wieder mit Liquidität zu versorgen. Offenbar ist es den Briten gelungen, einen Rettungsplan mit nahezu unbegrenzter Feuerkraft auf die Beine zu stellen.

Doch bislang hat es noch keine dieser Maßnahmen geschafft, die Märkte aus ihrer Schockstarre zu befreien. Haben Zentralbanken und Regierungen nicht entschlossen genug und zu spät gehandelt? Nein, das glaube ich nicht. Natürlich wäre es sinnvoller gewesen, schneller zu handeln. Insbesondere in Europa blieben die politischen Entscheider zeitweise deutlich hinter der Kurve zurück. Doch jetzt bewegen sie sich, und zwar sehr schnell!

Aus meiner Sicht gibt es für die enttäuschten und enttäuschenden Marktreaktionen drei Gründe: Erstens fürchten die Märkte die Auswirkungen einer Rezession, die wahrscheinlich in den meisten entwickelten Volkswirtschaften bereits vor der Tür steht. Daran dürften auch die weltweiten Leitzinssenkungen vom Mittwoch wenig ändern. Doch wenn die Zentralbanken diesem Schritt weitere Zinskürzungen folgen lassen, kann der globale Abschwung weniger ausgeprägt und von kürzerer Dauer sein. Die Rezessionsgefahren lassen sich natürlich nicht einfach beiseite schieben, dürften aber nicht mehr ganz so weh tun, sobald die Aktienanleger den Eindruck gewinnen, dass die Abwärtsrisiken ausreichend eingepreist sind. Und bei diesem Tempo dürfte dies nicht mehr allzu lange auf sich warten lassen. Zweitens hat die verspätete Reaktion der EU-Regierungschefs das Vertrauen der Marktteilnehmer untergraben. Eine abgestimmte EU-Reaktion hätte sicherlich deutlich mehr bewirkt. Allerdings dürften auch die nationalen Rettungspläne, die jetzt aufgestellt wurden, ähnlich effektiv sein. Drittens haben sich an den Märkten Panik und Hoffnungslosigkeit breit gemacht. Dies ist die Blase in umgekehrter Form. Dabei sind mittlerweile durchaus viele Marktteilnehmer der Meinung, dass die Korrektur zu stark ausfällt. Scheinbar hat aber niemand die Kraft, sich gegen den Trend zu stellen. Die Situation ist in der Tat bizarr: Wir alle gehen weiterhin jeden Morgen zur Arbeit und scheinen uns dabei langsam mit dem Gedanken vertraut zu machen, dass das globale Finanzsystem kurz vor dem Aus steht. Fast ist es so, als würden wir unsere Arbeit verrichten und dabei auf den Weltuntergang um Mitternacht warten.

So wie jede Blase irgendwann platzen muss, wird sich auch diese Spirale der Hoffnungslosigkeit irgendwann auflösen. Wenn ich das Tempo der Talfahrt an den globalen Märkten betrachte, erwarte ich, dass dieser Punkt schon bald erreicht sein dürfte. Allerdings dürfen die politisch Verantwortlichen in ihrem entschlossenen Handeln nicht nachlassen. Sie müssen in den nächsten Tagen weitere entscheidende Maßnahmen folgen lassen, um die Märkte zum Umdenken zu bringen. Was könnten sie sonst noch tun? Der britische Premierminister Gordon Brown appellierte an die G7- Staaten, gemeinsame Garantien für den Interbankenmarkt abzugeben. Dies wäre eine dieser entscheidenden Maßnahmen, die noch fehlen. Die EZB könnte als Clearingzentrum die Interbankentransaktionen im Euroraum steuern und Bürgschaften für Interbankenkredite mit ausdrücklicher Unterstützung durch die nationalen Regierungen übernehmen. Damit steigen die Erwartungen an das Treffen der G7- Finanzminister an diesem Wochenende in Washington. Ich rechne weiter mit einer Stärkung der Finanzpositionen der Banken nach spanischem oder britischem Vorbild. Letztlich geht es darum, das Kontrahentenrisiko zu minimieren. Sobald die Transparenz in den Bankbilanzen wiederhergestellt ist, sollte auch wieder Kapital vonseiten der Staatsfonds und anderer wichtiger Investoren fließen.

Es wird weitere Leitzinssenkungen geben, eventuell auch erneut im Rahmen einer konzertierten Aktion. Sowohl in Großbritannien als auch im Euroraum muss der Leitzins noch stärker zurückgenommen werden, um die Auswirkungen des Konjunkturabschwungs abzufedern und die Lage an den Finanzmärken zu entspannen. Angesichts fallender Indikatoren und Rohstoffpreise rechne ich in den nächsten Monaten mit einem raschen Rückgang der Gesamtinflation. Dies sollte den Spielraum für deutliche Zinssenkungen zusätzlich erweitern. Diese Krise ist äußerst ernst, aber nicht aussichtslos. Wir sollten die Entschlossenheit der globalen Entscheidungsträger nicht mehr länger unterschätzen. Die Märkte werden dies schließlich zur Kenntnis nehmen und eine Kehrtwende vollziehen. Die nächsten Tage sind auf alle Fälle kritisch!

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