Kommentar
09:20 Uhr, 15.05.2024

Was wissen Unternehmen, das wir nicht wissen?

Unternehmen legen in den ersten Monaten ein merkwürdiges Verhalten an den Tag. Sie geben Anleihen aus, als gäbe es kein Morgen. Mit der Aussicht auf Zinssenkungen ist das Timing alles andere als nachvollziehbar. Was wissen Unternehmen also, was wir nicht wissen?

Ob in Europa oder den USA, Unternehmen beschaffen sich Geld. Sie geben Anleihen in einem Tempo aus, das an 2020 erinnert. 2020 war es absolutes Rekordjahr. Wegen Lockdowns war klar, dass Unternehmen Kredit brauchten, um die Durststrecke zu überstehen. Gleichzeitig waren die Zinsen so tief wie nie und Notenbanken kauften nicht nur Staats- sondern auch Unternehmensanleihen.

In den USA gaben Unternehmen im Investment Grade Bereich Anleihen im Volumen von 1,85 Billionen USD aus. Unternehmen im Hochzinssegment gaben 424 Mrd. USD aus. Beides war ein Rekordwert. Dieser wurde im Hochzinssegment nur 2021 übertroffen. 2024 wird es aller Voraussicht nach bei Hochzinsanleihen keinen Rekord geben. Halten Unternehmen das Tempo der ersten vier Monate durch, geben Investment Grade Firmen Anleihen in der Höhe von 1,91 Billionen USD aus. Das wäre ein neues Hoch (Grafik 1).

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Es gibt mehrere Erklärungen dafür, weshalb Unternehmen gerade jetzt zugreifen. Ein Teil der Schulden, die 2020 aufgenommen wurden, müssen refinanziert werden. Das erklärt allerdings nicht, wieso gerade zu Jahresbeginn so viele Anleihen ausgegeben wurden. Eine gewisse Flexibilität besteht immer und alles deutet auf mittelfristig tiefere Zinsen hin. Wieso kurz vor einer Zinssenkung so viele Anleihen ausgegeben werden, bleibt unklar.


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Vielleicht sorgen sich Unternehmen auch um etwas anderes. Derzeit ist das Marktumfeld gut. Der Stress auf dem Anleihemarkt ist gering. Es ist einfach, sich Geld zu beschaffen. Die Zinsen mögen zwar mittelfristig fallen, doch wenn dies aus Gründen eines wirtschaftlichen Abschwungs geschieht, ändert sich das Marktumfeld. Trotz eines niedrigeren Leitzinses sind Anleihen nicht unbedingt zu einem tieferen Zins platzierbar. Es könnte sich also um die Angst vor wirtschaftliche Schwäche handeln.

Kurzfristig ist diese noch kaum ein Thema. Das ist auch für den Aktienmarkt gut, nicht nur aus wirtschaftlicher Sicht. Ein gutes Marktumfeld für Anleihen bedeutet auch ein gutes Marktumfeld für Aktien (Grafik 2). Es herrscht wenig Stress. Im Hochzinsbereich hat sich die Lage ein klein wenig eingetrübt. Eventuell ist das ein Vorbote für einen heißen Sommer.

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Die Erklärung für die Geldbeschaffung könnte auch eine vollkommen andere sein. Unternehmensanleihen verlaufen im Vergleich zu Staatsanleihen sehr gut (Grafik 3). Die Renditedifferenz zwischen Staats- und Unternehmensanleihen ist sehr klein. Das bleibt erfahrungsgemäß nicht ewig so. Wer jetzt nicht zugreift, muss in der Zukunft vielleicht einen höheren Spread bezahlen.

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Zu guter Letzt ist auch denkbar, dass Unternehmen doch noch einmal einen Inflations- und Zinsanstieg befürchten. In diesem Fall sind die Zinsen derzeit tief. Auch ohne Inflationsanstieg könnten Renditen nochmals ansteigen. Die US-Wahl wirft ihre Schatten voraus und Unsicherheit dürfte für ein schlechtes Marktumfeld sorgen.

Es gibt viele Erklärungen, aber keine Sicherheit. Was auch immer der genaue Grund ist, Unternehmen beschaffen sich dann viel Geld, wenn sie zukünftig mehr Unsicherheit erahnen. Im Gegensatz zu Anlegern machen Unternehmen nicht den Eindruck, dass sie von einem ewigen Goldilocks-Szenario ausgehen.

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  • masi123
    masi123

    Kredite nimmt man auf, wenn man einen dringenden Finanzierungsbedarf hat (z. B. für Investitionen) und/oder für die Zukunft schlechtere (Finanzierungs-)Konditionen erwartet. Neben den genannten Unsicherheiten spielt für US-Unternehmen vielleicht auch die Währungskonstellation einen Rolle. Momentan steht der USD sehr stark da, vielleicht erwartet man für die Zukunft hier eine (deutliche) Abschwächung. Daneben gibt es aufgrund der geopolitischen Lage (z. B. Nahost, China-Decoupling) genügt weitere Risiken/Unsicherheiten für die Finanzmärkte.

    11:43 Uhr, 15.05.

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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