Kommentar
14:28 Uhr, 13.01.2016

Was wäre wenn der Ölpreis dauerhaft so niedrig bliebe?

  • Der Ölpreis liegt inzwischen real, das heißt unter Berücksichtigung der allgemeinen Geldentwertung, so niedrig wie vor der großen Ölkrise vor vierzig Jahren.
  • Wenn das so bleiben sollte, muss mit dramatischen Veränderungen im ökono­mischen und politischen Umfeld der Welt gerechnet werden.
  • Für die Kapitalmärkte wäre es mit erheblichen Belastungen verbunden. Es könnte auch zu einer weltweiten Rezession führen.

Alle reden derzeit von China und den damit zusammenhän­genden Gefahren. Dabei gibt es daneben noch ein Risiko, das in seiner Dimension weit darüber hinaus geht. Das ist der Ölpreis (der natürlich auch zum Teil mit China zusam­menhängt). Er ist seit Jahresbeginn noch einmal um 10 % gefallen. Er hat jetzt ein Niveau erreicht, bei dem die Aus­wirkungen über die Freude an den niedrigen Benzinpreisen hinausgeht.

Um die neuen Risiken zu verstehen, muss man sich die langfristige Perspektive anschauen. Der Ölpreis liegt heute mit 31 Dollar je Barrel auf dem Niveau der Zeit der zweiten Ölkrise vor 35 Jahren (siehe Grafik). Das ist für sich ge­nommen schon ungeheuerlich. Berücksichtigt man dazu aber noch die zwischenzeitliche allgemeine Geldentwer­tung, so ist der Ölpreis heute mit real etwas mehr als 5 Dol­lar je Barrel so hoch wie vor der ersten Ölkrise 1973. Das machen sich viele nicht klar. Ich war selbst überrascht, als ich mir diese Zahlen angeschaut habe.

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Quelle: Fred

Wenn das so bliebe, dann wären alle Veränderungen, die sich in den letzten 50 Jahren durch den höheren Ölpreis er­geben haben, ökonomisch gesehen auf Sand gebaut. Sie müssten sich zurückbilden. Nun wird das sicher nicht so kommen. Zum einen, weil die Ölländer noch viele Reserven haben und weil der Ölpreis auf lange Sicht vermutlich nicht so niedrig bleibt. Trotzdem ist es interessant, so ein Gedan­kenexperiment einmal durchzuspielen, auch um zu sehen, in welche Richtung die Entwicklung gehen könnte.

Was hat sich seit der ersten Ölkrise 1973 nicht alles getan? Es entstand eine Gruppe von Staaten mit unglaublichem Reichtum, für die alle Gesetze des rationalen Wirtschaftens nicht mehr galten. Mitten in der Wüste fließt in öffentlichen Gebäuden der Golfstaaten mehr Wasser als in vergleichba­ren Häusern im amerikanischen Manhattan. In Saudi Arabi­en zahlen die Bürger keine Einkommensteuern, Grundnah­rungsmittel und Benzin werden subventioniert. Das Land ist mit gerade einmal 28 Mio. Einwohnern Mitglied der Gruppe der G20, in der die größten und wichtigsten Industrie- und Schwellenländer der Welt sitzen. Nur wegen seinem Geld.

»Bei so niedrigen Ölpreisen können die positiven Effekte niedrigerer Ölpreise in den Verbraucher­ländern die negativen Wirkungen auf die Ölförderländer in aller Welt nicht mehr ausbalancieren.«

Die Staaten des Nahen Ostens gehören mit ihren Staats­fonds zu den größten Investoren auf den internationalen Ka­pitalmärkten. Katar ist mit 17 % an Volkswagen beteiligt, Kuwait mit 7 % an Daimler. Adia, der Staatsfonds von Abu Dhabi, hatte Assets in Höhe von zeitweise über USD 800 Mrd.

Die Ölländer dominieren ganze Branchen. Im Luftverkehr tun sich die etablierten Gesellschaften der Industrieländer schwer im Wettbewerb mit den Carriern des Nahen Ostens. Das liegt nicht nur an der günstigen Zeitzone, in der die Länder liegen. Entscheidend ist die finanzielle Unterstüt­zung, die sie von den dortigen Regierungen erhalten.

Aber nicht nur der Nahe Osten hat gewonnen. Der Ölpreis­anstieg hat auch vielen Schwellen- und Entwicklungslän­dern geholfen. Ohne den höheren Ölpreis wären Brasilien, Nigeria oder Mexiko, von Venezuela ganz zu schweigen, noch viel weiter zurück in der wirtschaftlichen Entwicklung. Die Armut in der Welt wäre größer. Russland hätte seine Expansionspläne nicht verwirklichen können und wäre eine Regionalmacht geblieben.

Noch ein ganz anderer Aspekt: Die Umwelt- und Nachhal­tigkeitsdebatte wäre ohne die Ölpreissteigerung nicht oder sehr viel später in Gang gekommen. Wer dachte zu Zeiten des niedrigen Ölpreises schon ans Energiesparen? Das Klima wäre noch stärker verpestet worden, bevor entspre­chende Sparmaßnahmen ergriffen worden wären. Die grü­nen Parteien hätten erst sehr viel später Bedeutung erlangt.

Mit all dem wäre es vorbei, wenn der Ölpreis auf dem jetzi­gen Niveau bleiben würde. Die Welt müsste sich wieder an die alten Preisverhältnisse anpassen. Das ist in marktwirt­schaftlichen Systemen möglich. Aber es ist mit Kosten ver­bunden und bringt am Ende vielleicht Lösungen zustande, an die vorher niemand gedacht hatte. Sicher erscheint mir erstens, dass es eine größere Konjunkturschwäche geben würde, vielleicht eine Weltrezession. Bei so niedrigen Öl­preisen können die positiven Effekte niedrigerer Ölpreise in den Verbraucherländern die negativen Wirkungen auf die Ölförderländer in aller Welt nicht mehr ausbalancieren.

Zweitens kommen die Kapitalmärkte in erhebliche Proble­me, wenn von den bisherigen Überschussländern keine Zuflüsse mehr kommen, sondern es Abflüsse gibt. Ka­sachstan will, wie die Financial Times am Wochenende berichtete, angeblich seinen Staatsfonds schließen. Saudi Ara­bien denkt daran, den Ölkonzern Aramco (der vor der ers­ten Ölkrise 1973 privat war) jetzt wieder zu privatisieren.

Es kann auch zu überraschenden politischen Konstellatio­nen kommen. Regierungen auch in dieser Region sind oft kreativ. Warum etwa könnte Saudi Arabien sich nicht in höchster Not mit dem Erzfeind Iran zusammentun und den Ölmarkt stabilisieren? Dann würde der Ölpreis mit einem Mal wieder stark ansteigen und das ganze Problem wäre gelöst.

Für den Anleger

Die Auswirkungen des niedrigeren Ölpreises sind ange­sichts der Größenordnung, die inzwischen erreicht ist, auch in Europa nicht mehr unbedingt positiv zu sehen. Es gibt zwar Branchen und Unternehmen, die profitieren (Konsum, Autos, Luftfahrt oder Chemie). Die Gefahr, dass der Kapital­markt insgesamt aber einen Schlag bekommt, ist gewach­sen. Wenn dann noch eine Rezession hinzukommen sol­lte, dann würde es schwierig.

5 Kommentare

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  • bembes
    bembes

    Ich glaube nicht, dass ein Land wie Ab Dhabi einen Staatsfonds mit 800 Mrd. Dollar für seine wenigen Bürger benötigt. Wird höchste Zeit, dass davon etwas abgeschmelzt wird.

    Selbst wenn Deutschland momentan etwas sparen wird, brauchen wir das für unsere lieben neuen Mitbürger, welche IM Erika Merkel eingeladen hat.

    Das wird uns viel teurer kommen, an die Verwerfungen von KÖLN gar nicht zu denken.

    12:40 Uhr, 14.01. 2016
  • Austrochris
    Austrochris

    "was" natürlich

    19:01 Uhr, 13.01. 2016
  • Austrochris
    Austrochris

    Guter Artikel Herr Hüfner !

    Richtig erkannt . Da kann sich zusammenbrauen mit ungeahnten Folgen !

    19:00 Uhr, 13.01. 2016
  • 0815
    0815

    Europa darf sich freuen. Europa ist der größte Importeur von Rohöl. Außer UK und Norwegen verliert auch niemand etwas in Europa. Selbst dort sind die Verluste überschaubar.

    Selbst wenn es durch die gefallenen Rohstoffpreise zu weltweiten Verwerfungen kommen sollte ist doch Europa relativ unberührt davon.

    16:07 Uhr, 13.01. 2016
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