Analyse
12:30 Uhr, 06.09.2007

Warum die EZB den Leitzins morgen anheben sollte

Externe Quelle: Postbank

Die EZB steht bei ihrer morgigen Zinsentscheidung vor einem Dilemma. Soll sie den Refisatz, wie bereits im August angekündigt, aufgrund der weiterhin bestehenden Inflationsrisiken auf 4,25% anheben? Oder soll sie die Zinsanhebung aussetzen oder verschieben, weil die derzeitigen Finanzmarktturbulenzen potenzielle Risiken für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung beinhalten?

Wie auch immer die Entscheidung ausfällt - risikolos ist keine dieser Varianten. Hebt die EZB jetzt den Leitzins an und stellt sich kurze Zeit danach heraus, dass die Konjunktur tatsächlich unter der Finanzmarktkrise leidet, wird ihr wohl der Vorwurf gemacht, den Ernst der Lage verkannt zu haben. Zudem wird sie dann ihre Entscheidung revidieren und den Leitzins wieder senken müssen. Ihre über Jahre hinweg aufgebaute Reputation könnte darunter leiden. Auf der anderen Seite ist es aber keine ausgemachte Sache, dass die Finanzmarktkrise tatsächlich auf die Realwirtschaft übergreift. Wir halten dieses Risiko aufgrund des robusten Aufschwungs im Euroraum und auch auf globaler Ebene sogar für gering. Ohnehin dürften sich die Auswirkungen erst auf längere Sicht - zumindest mit deutlichem zeitlichen Abstand zur Zinserhöhung - bemerkbar machen. Bremst die Finanzmarktkrise die Aufschwungskräfte aber nicht und zögert die EZB dann zu lange mit einer Zinsanhebung, läuft sie Gefahr, eine Überhitzung der Wirtschaft zu begünstigen. Mittelfristig würde sie sich dann unnötig große Inflationsprobleme einhandeln, die sie dann erst recht dazu zwingen, den Leitzins kräftig zu erhöhen. Warnsignale, wie die hohe Kapazitätsauslastung und eine nahezu explodierende Geldmenge im Euroraum, sind unübersehbar und weisen auf langfristige Inflationsrisiken hin. Die Mehrheit der EZB-Beobachter hält das zuletzt genannte Risiko aber für das geringere Übel und fordert von der EZB eine Aussetzung oder zumindest Verschiebung der Zinserhöhung.

Wir teilen diese Meinung nicht. Der Verzicht auf die Anhebung des Refisatzes wäre ein Eingeständnis der EZB, dass sie die Lage als dramatischer betrachtet, als sie bisher zugegeben hat. Zudem würde sie damit signalisieren, dass sie der Inflationsbekämpfung im Zweifelsfall nicht die oberste Priorität einräumt. Aus Marktsicht könnte ein solcher Verzicht sogar als eine Art "Versicherung" durch die Zentralbank verstanden werden: Notwendige Marktkorrekturen nach vorangegangenen Übertreibungsphasen werden geldpolitisch aufgefangen. Diese als "Greenspan Put" bezeichnete Strategie der US-Notenbank unter Bernankes Vorgänger hat in der Vergangenheit selbst den Keim für Blasen an den Vermögensmärkten gelegt. Ein Aussetzen der Zinserhöhung würde das aktuelle Hauptproblem der Finanzmärkte - das gegenseitige Misstrauen der Marktteilnehmer - ohnehin nicht beseitigen. Genau dies ist aber auch der Grund für die partielle Illiquidität der Geldmärkte und den scharfen Anstieg der mittel- bis längerfristigen Terminsätze am Interbankenmarkt. Der Verzicht auf die Zinserhöhung würde hier kaum für eine Entspannung oder gar Normalisierung sorgen.

Für essenziell halten wir dagegen Maßnahmen der EZB, um die Liquidität des Bankensystems sicherzustellen, aber auch die Liquidität einzelner Institute zu garantieren, die aufgrund der Marktverspannungen vorübergehende Schwierigkeiten haben, sich über den Geldmarkt zu refinanzieren. Anderenfalls wären die Funktionsfähigkeit des gesamten Finanzsystems und die Versorgung der Volkswirtschaft mit Liquidität gefährdet. Mit ihren kurzfristigen Liquiditätsspritzen und der Aufstockung ihrer dreimonatigen Refinanzierungsgeschäfte hat die EZB hier schon Einiges getan. Aber ihr Potenzial ist damit nicht ausgeschöpft.

Die EZB könnte, wie zuletzt schon die US-Notenbank, die Inanspruchnahme der Spitzenrefinanzierungsfazilität relativ verbilligen, indem sie den Spitzenrefinanzierungssatz näher an den Hauptrefinanzierungssatz heranführt. Sie könnte also den Refisatz auf 4,25% anheben und gleichzeitig den Spitzenrefinanzierungssatz bei 5% belassen oder sogar auf 4,75% absenken. Entsprechend könnte sie dann auch den Einlagezinssatz bei 3% belassen oder auch auf 2,75% reduzieren. Damit müssten dann Institute, die übermäßig Liquidität horten, einen größeren Zinsverlust befürchten als bislang. Dies gilt allerdings nur, wenn die EZB die Märkte über ihre regulären Tendergeschäfte großzügig mit Liquidität versorgt, was sie in der aktuellen Lage und bei höheren Preisen auch durchaus tun sollte.

Mit diesem Maßnahmenpaket würde die EZB gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen:

- Mit der Anhebung des Refisatzes würde sie den eingeschlagenen Kurs konsequent fortsetzen.
- Mit der Beibehaltung oder gar Absenkung des Spitzenrefinanzierungssatzes zieht sie eine Obergrenze für die Termingeldsätze ein. Die Erhöhung des Refisatzes würde sich deshalb wohl nur am kurzen Ende des Geldmarktes niederschlagen. Kurz- und mittelfristige Terminsätze würden wieder zusammenrücken.
- Die Ausweitung der Zinsdifferenz zwischen Refi- und Einlagesatz verteuert für die Banken tendenziell das Horten von Liquidität. Es würde damit für die Banken ein Anreiz geschaffen, die gegenseitigen Finanzierungslinien wieder zu öffnen, und damit eine Normalisierung des Geldmarktes begünstigen.

Dieser Artikel wurde auf http://www.boerse-go.de veröffentlicht.

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Über den Experten

Harald Weygand
Harald Weygand
Head of Trading

Harald Weygand entschied sich nach dem Zweiten Staatsexamen in Medizin, einer weiteren wirklichen Leidenschaft, dem charttechnischen Analysieren der Märkte und dem Trading, nachzugehen. Nach längerem, intensivem Studium der Theorie ist Weygand als Profi-Trader seit 1998 am Markt aktiv. Im Jahr 2000 war er einer der Gründer der stock3 AG und des Portals www.stock3.com. Dort ist er für die charttechnische Analyse von Aktien, Indizes, Rohstoffen, Devisen und Anleihen zuständig. Über die Branche hinaus bekannt ist der Profi-Trader für seine Finanzmarktanalysen sowie aufgrund seiner Live-Analysen auf Anlegerveranstaltungen und Messen.

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