Wahlen sind kein guter Ausgangspunkt für Anlageentscheidungen
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Joe Biden wird am 20. Januar 2021 als 46. Präsident der Vereinigten Staaten vereidigt werden. Angesichts der jüngsten Entwicklungen lässt sich dieser Satz wohl zunehmend ohne einschränkende Nebenbedingungen sagen. Bidens Vorsprung ist unter normalen Umständen nicht einholbar, ausländische Staats- und Regierungschefs gratulieren bereits zum Sieg, ebenso erste Repräsentanten der Republikanischen Partei. Die Chancen, das Ergebnis noch auf rechtlichem Wege zu drehen, scheinen gering. Es dürfte Trumps Team schwerfallen, genügend Mittel aufzutreiben, um die zahlreichen kostspieligen Anfechtungsprozesse zu stemmen.
So sicher der Ausgang der Präsidentenwahl, so unsicher bleibt das Resultat der Senatswahlen. Wir gehen weiter von einer republikanischen Mehrheit aus, doch könnte allein die wahrscheinliche Nachwahl des Senators (oder der Senatoren) aus Georgia am 5. Januar hier noch für Überraschungen sorgen.
Diese Überraschung träfe auch die Kapitalmärkte. Verständlicherweise machen sich Anleger nach einer vielbeachteten Weichenstellung wie den US-Wahlen Gedanken über Implikationen für ihre Portfolios. Wir würden davon abraten, langfristige Investitionen auf die Ergebnisse und Geschehnisse im unmittelbaren Umfeld einer Wahl zu stützen, aus folgenden drei Gründen: 1. Unsicherheit über die künftige Politik. 2. Unsicherheit über die Auswirkungen der Politik auf Wirtschafts- und Unternehmensaussichten. 3. Unsicherheit darüber, was der Markt davon bereits eingepreist hat.
Zu Punkt 1: Auch nach dem – offiziell noch unbestätigten - Wahlsiegs Joe Bidens bleibt vieles in der Schwebe: Wie wird sein Kabinett aussehen? Auf welche Parteiflügel wird er wie stark Rücksicht nehmen werden? Welche Prioritäten und Umsetzungschancen haben seine Vorhaben? Wer wird die Senatsmehrheit gewinnen? Ist eine "blue wave", also das Durchregieren der Demokraten, noch möglich? Das sind eine Menge Fragezeichen. Zwar hat Biden seine vier Kernthemen bereits genannt (Covid-19, Belebung der Wirtschaft, Klimawandel und Gleichstellung der Rassen), doch welche wirtschaftsrelevante Konsequenzen sich daraus ergeben, muss sich erst noch zeigen.
Punkt 2: Inwieweit beeinflussen politische Prioritäten überhaupt wirtschaftliche Kernzahlen? Wirkt sich, auf der makroökonomischen Ebene, ein massives Stimulusprogramm positiv auf den Dollar aus, da sich die Wachstumsaussichten verbessern? Oder negativ, da die höhere Staatsverschuldung im Vordergrund steht? Und auf mikroökonomischer Ebene stellt sich die Frage, inwieweit sich die Ertragsaussichten einzelner Sektoren durch politische Bevorzugung überhaupt verbessern. Nehmen wir beispielsweise die letzte Wahl. Die 2016 von Trump favorisierten Sektoren Stahl, Öl, Kohle oder Hotels und Immobilien haben sich sogar überwiegend schlechter als die Gesamtwirtschaft geschlagen. Letztlich sind politische Rahmenbedingungen nur ein Faktor von vielen, welche die Wirtschaftsperspektiven einer Branche determinieren, vielleicht ein kleinerer als man denkt.
Was uns zu Punkt 3 bringt: Wenn die Politik nur einer von vielen Faktoren für die Gewinnaussichten ist, dann gilt die erst recht für die Bewertung an der Börse. Trumps Unterstützung der Ölwirtschaft etwa hat dieser angesichts globaler Überkapazitäten wenig geholfen. Dazu gesellen sich die Unsicherheiten rund um eine Wahl: Inwieweit hatte die Börse einen Sieg Bidens und eine geteilte Regierung bereit eingepreist? Allein der volatile Handel im Umfeld der Wahl lässt da viel Interpretationsspielraum. Galt vielen ein enger, angreifbarer Wahlausgang bis vor kurzem noch als schlechtestes Szenario für die Börse, drehte sich dies im Handumdrehen in ein Idealszenario: Ein gemäßigter demokratischer Präsident, den ein republikanischer Senat in die Schranken weist, sollte er die Verschuldung allzu stark ausweiten oder die Trump'schen Steuerkürzungen rückgängig machen.
Dies unterstreicht unseres Erachtens die Empfehlung, längerfristige Anlageentscheidungen nicht allein auf Basis politischer Erwägungen zu treffen. Zumal wenn der politische Ausblick noch so vage ist. Ohnehin überwiegen marktbestimmende Faktoren, auf welche die Regierung nur wenig Einfluss hat: kurzfristig der weitere Verlauf der Pandemie, wie auch die stark kurstreibende Nachricht zum Impfstoff am Montag zeigte. Und mittelfristig die Zentralbankpolitik. Letztere dürfte, nicht nur in den USA, auch weiterhin versuchen, die Märkte mit niedrigen Zinsen und gegebenenfalls anderen Mitteln zu unterstützen. Allerdings wird die Börse schwerlich von beiden Seiten Unterstützung bekommen können, da die Zentralbanken ihre Unterstützung abhängig vom Fortschritt bei der Pandemiebekämpfung machen werden.
Auf Zwölfmonatssicht bleiben wir somit vorerst weiterhin moderat positiv auf die Aktienmärkte gestimmt, rechnen mit einem Fortbestand des Niedrigzinsumfelds und sehen keine nachhaltige Dollarabschwächung gegenüber dem Euro.
Einen Hinweis würden wir uns beim vieldiskutierten Thema Senatsmehrheit erlauben: es handelt sich weit weniger um eine binäre Entscheidung, als angenommen. Eine einzige Stimme macht, auch wenn sie auf dem Papier die Mehrheit sichert, nicht immer den Unterschied, ob ein Gesetzesvorhaben vom Senat angenommen oder abgelehnt wird. Dafür reicht die Parteidisziplin regelmäßig nicht aus, da Senatoren auch Partikularinteressen folgen.
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