Vertrauensbildende Maßnahmen sind dringend erforderlich
- Lesezeichen für Artikel anlegen
- Artikel Url in die Zwischenablage kopieren
- Artikel per Mail weiterleiten
- Artikel auf X teilen
- Artikel auf WhatsApp teilen
- Ausdrucken oder als PDF speichern
Externe Quelle: UniCredit
In den letzten beiden Wochen waren wir Zeugen eines nahezu vollständigen und umfassenden Vertrauensverlustes in das globale Finanzsystem. Das Ausmaß dieser Vertrauenskrise steht eigentlich in keinem Verhältnis zu den zugegebenermaßen fragilen Fundamentaldaten des Finanzsystems und der Weltwirtschaft. Doch nun droht sie zu eskalieren und könnte dadurch eine globale Kernschmelze im Finanz- und Wirtschaftssystem auslösen. Nach meiner Meinung gibt es hierfür zwei Gründe: Erstens sind die Befürchtungen groß, dass die politischen Entscheidungsträger in Europa entweder nicht gut genug vorbereitet oder nicht in der Lage sein könnten, ihre Finanzsysteme mit koordinierten Maßnahmen zu unterstützen. Zweitens ist es möglich, dass aus den sich verschlechternden Wachstumsbedingungen und dem brüchigen Finanzsystem eine wechselseitige Beziehung entsteht, die am Ende beide in den Abgrund reißt. Die Verantwortlichen müssen deshalb deutlich differenzierter auf diese Befürchtungen reagieren. Nach dem Schock vom Montag, als Paulsons Rettungsplan vom Repräsentantenhaus zurückgewiesen wurde, passierte eine modifizierte Vorlage gestern Nacht den Senat und dürfte am Freitag dem Repräsentantenhaus zur Abstimmung vorgelegt werden. Auch die europäischen Parlamentarier sollten ein klares und lautes Signal für die zeitnahe Implementierung eines europäischen Rettungspakets oder einer vergleichbaren systemischen Intervention aussenden, um eine größere Transparenz und angemessene Kapitalausstattung im Finanzsystem zu gewährleisten. Im Idealfall müsste sich die EZB dann auch noch überraschend zu einer Zinssenkung oder zumindest zu einer Abkehr von ihrem Inflationsfokus durchringen, was ihre Bereitschaft zu einer geldpolitischen Lockerung signalisieren würde. Ich weiß sehr wohl, dass die EZB in diesem Fall mit ihrem bisherigen Kurs bräche. Doch inzwischen hat sich ihr selbstgefälliges Beharren auf einer angeblichen Begrenzung des Problems auf die USA bitter gerächt. Und ihr sturer Inflationsfokus scheint zunehmend realitätsfern. Die globale Krise bedarf einer globalen Lösung, und zwar genau jetzt! Die Alternative wäre es aufzugeben, aber dies kann keine ernsthafte Option sein.
Der Ernst der Lage kann gar nicht genug betont werden. Zugleich darf niemand die Gefahren unterschätzen. Wir erleben derzeit einen völligen Vertrauensverlust in das globale Finanzsystem, der trotz der äußerst ernsthaften Probleme, die das System zugegebenermaßen belasten, allerdings absolut überzogen ist. So stürzten die Finanzwerte an den weltweiten Börsen in die Tiefe, und zwar ungeachtet ihres Finanzierungsbedarfs, ihrer Engagements am Immobilienmarkt, ihrer Bestände an toxischen Vermögenswerten und ihres Mix aus Commercial- und Investment-Banking. Geld- und Interbanken-Markt stehen weiterhin unter Schockstarre. Die Marktteilnehmer horten liquide Mittel, während sich die Finanzinstitute untereinander kein Geld mehr leihen wollen. Die bereits vorhandenen Finanzierungsprobleme werden dadurch zusätzlich erschwert. Wenn das so weiter geht, müssen die Banken ihre liquiden Vermögenswerte in Cash umwandeln und könnten so eine neue Verkaufswelle und Kursabstürze bei ansonsten soliden Vermögenswerten auslösen.
Für die derzeit herrschende Panik gibt es meines Erachtens zwei Gründe:
– Erstens die Angst, dass der US-Rettungsplan nicht ausreichen könnte, um diese in der Tat globale Krise beizulegen.
– Zweitens die Angst, dass das bereits rückläufige Weltwirtschaftswachstum diese Bemühungen zur Stabilisierung des Finanzsystems zunichte machen könnte.
Während die US-Kongressabgeordneten am letzten Wochenende noch darum kämpften, bis zur Öffnung der asiatischen Märkte am Montagmorgen eine Einigung über einen Rettungsplan zu erzielen, hatte sich der Fokus der Krise bereits nach Europa verlagert. Die teilweise bzw. komplette Verstaatlichung des belgischen Finanzkonzerns Fortis, der britischen Hypothekenbank Bradford & Bingley und der zweitgrößten Bank Islands Glitnir sowie die staatliche Rettungsaktion für den Immobilienfinanzierer Hypo Real Estate bestätigen eindrucksvoll, dass die Risiken im europäischen Finanzsektor zunehmen und der Druck immer größer wird. Ganz offensichtlich ist der Markt skeptisch und glaubt nicht daran, dass die Entscheidungsträger in Europa einen solch koordinierten Rettungsplan zustande bringen wie er derzeit in den USA ansteht. So haben einige Kommentatoren in den letzten Tagen darauf hingewiesen, dass manche europäische Banken eventuell nicht nur zu groß sind um unterzugehen, sondern auch zu groß, um gerettet zu werden. Tatsächlich übertrifft das Volumen ihrer Verbindlichkeiten in vielen Fällen die Feuerkraft der jeweiligen nationalen Regierungen. Im Fall von Fortis bedurfte es gar der konzertierten Aktion von drei Regierungen, um den Konzern vor der Insolvenz zu bewahren.
Unterdessen enttäuschen die Konjunkturdaten weiterhin auf breiter Front: In den Schwellenländern bröckelt das Wachstum rascher als erwartet, der Euroraum steht wahrscheinlich kurz vor einer (hoffentlich milden und kurzen) Rezession, und der US-Ausblick wird immer fragiler. Es droht die Gefahr einer Negativspirale, die den Finanzsektor und die Realwirtschaft in die Tiefe ziehen könnte. Das verlorene Vertrauen muss also so schnell wie möglich wiederhergestellt werden. Verschlechtern sich die Bedingungen an den Finanzmärkten nämlich weiter, ist fast sicher mit einer Kreditklemme zu rechnen, die in den einzelnen ökonomischen Regionen eine unterschiedliche Intensität erreichen dürfte. Es droht eine globale Rezession, durch die sich die Probleme im Finanzsektor weiter verschärfen könnten.
Doch weder die Fundamentaldaten der Weltwirtschaft noch des globalen Finanzsystems rechtfertigen dieses Endzeitszenario. So verzeichnet die Weltwirtschaft weiterhin ein solides Wachstum. Auch die Performance in den Schwellenländern bleibt robust, erreicht aber nicht mehr die früheren Rekordmarken. In den entwickelten Ländern sind die Konjunkturdaten zwar enttäuschend, deuten aber bislang nicht auf eine ausgeprägte Rezession hin. In ähnlicher Weise sind die extremen Marktreaktionen bei Finanztiteln zu bewerten, die einen augenfälligen Kontrast zu den Fundamentaldaten bilden. Ich hatte schon lange davor gewarnt, dass Europa von dieser globalen Krise nicht verschont bleiben würde. Doch zweifellos befindet sich der europäische Finanzsektor in einem ungleich besseren Zustand als sein US-Pendant. Viele, wenn nicht die meisten der europäischen Banken, die jetzt unter Druck geraten, verfügen über ein stabiles Geschäftsmodell und weisen weder einen zu hohen Fremdkapitalanteil noch einen übermäßig hohen Bestand an toxischen Vermögenswerten auf. Es scheint, als ob der Markt auf die komplette Auslöschung des globalen Finanzsystems wettet, was in der Tat eine extreme Annahme wäre.
Dass die jüngsten Marktreaktionen aufgrund der Fundamentaldaten eigentlich nicht gerechtfertigt sind, macht diese nicht weniger gefährlich. Das verlorene Vertrauen muss dringend wiederhergestellt werden. Andernfalls könnte daraus eine massive und selbst verstärkende Krise entstehen, die das globale Finanzsystem zunächst ins Wanken bringt, um anschließend eine globale Kernschmelze im Finanz- und Wirtschaftssystem einzuleiten.
Keine Kommentare
Die Kommentarfunktion auf stock3 ist Nutzerinnen und Nutzern mit einem unserer Abonnements vorbehalten.