Kommentar
10:04 Uhr, 11.08.2016

Ultraniedrigzinsen: Jetzt noch schnell Schulden machen?

Für Finanzminister hat die Schuldenaufnahme wohl selten so viel Spaß gemacht wie in diesen Tagen. Statt Zinsen zahlen zu müssen, erhalten sie welche. Wenn das nicht ein Argument ist, noch schnell Schulden aufzunehmen, bevor der Spaß vorbei ist...

Die Tage von Euro- und Staatsschuldenkrise scheinen endgültig vorüber zu sein. Das ehemalige Krisenland Irland kann sich auf Sicht von 10 Jahren Geld für 0,5 % leihen. In Deutschland, den Niederlanden, der Schweiz und in Japan funktioniert das auch zu negativen Raten. Andere müssen vergleichsweise tief in die Tasche greifen. Spanien und Italien zahlen noch immer 1 %, doch im Vergleich zu den 7 % während der Schuldenkrise vor wenigen Jahren ist das fast geschenkt.

Bei so niedrigen Zinsen gibt es derzeit zwei Diskussionspunkte. Einerseits stellt sich die Frage, ob Regierungen nicht von diesen historisch niedrigen Zinsen Gebrauch machen sollten, um zu investieren; andererseits muss man hinterfragen, ob die Annahmen für die Schuldentragfähigkeit noch gelten.

Die Frage nach der Schuldentragfähigkeit ist ganz entscheidend. Sparbemühungen gibt es vor allem in europäischen Ländern (wenn die Sparbemühungen teils auch recht halbherzig sind) wegen Bedenken in Bezug auf die Schuldentragfähigkeit. Wenn die Staatsverschuldung immer weiter steigt, dann sind die Schulden irgendwann zu hoch. Investoren leihen Staaten nur noch ungern Geld und tun dies nur, wenn sie höhere Zinsen erhalten. Steigen die Zinsen für die Schulden jedoch an, dann muss der Staat relativ rasch seine kompletten Einnahmen für die Zinszahlungen ausgeben. Ein Kollaps ist unvermeidlich.

Keiner weiß, wo die Grenze zur "Untragfähigkeit" liegt. Italien lag mit einer Verschuldung von 123 % der Wirtschaftsleistung 2012 kurz vor dem Kollaps. Heute liegt die Quote bei 133 % und die Zinsen sind historisch niedrig. Ganz offensichtlich hat sich die Grenze der Tragfähigkeit verschoben.

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Für viele Länder bedeutet die Verschiebung der Grenze, dass sie ihre Verschuldung weiter erhöhen können. Dies geht nicht nur, weil der Markt die Verschuldung derzeit weitaus weniger kritisch sieht als vor wenigen Jahren, sondern auch, weil die niedrigen Zinsen die Zinslast reduzieren.

Für Länder wie Italien macht es wenig Sinn, die jährlichen Defizite wieder auf 5 % auszuweiten. Es würde dann nicht lange dauern, bis der Markt wieder kritischer auf die Zinsen blickt. Bei ausufernden Defiziten in Ländern mit sehr hoher Verschuldung ist das derzeitige Gleichgewicht ein sehr fragiles.

Wer wirklich mehr Schulden machen will, der findet natürlich Gegenbeispiele. Japan ist dabei ein Klassiker. Die Verschuldung liegt bei deutlich über 200 % der Wirtschaftsleistung. Dagegen ist Griechenland sogar ein Sparmeister. In Japan werden jedoch sehr viel mehr Anleihen von inländischen Investoren gehalten als in Ländern wie Italien. Ob dieses Argument in Zeiten von QE noch gilt, sei dahingestellt.

Es gibt jedenfalls Fälle, in denen die Sachlage eindeutiger ist. Investoren reißen sich um deutsche Anleihen. Der Staat könnte problemlos 50 Mrd. zu 0 % für 10 Jahre aufnehmen und das Geld investieren. Der Markt würde vermutlich auch ein großangelegtes Investitionspaket von 100 oder 200 Mrd. tragen. Doch soll der Staat allein deswegen nun Schulden aufnehmen?

Deutschland gehört zu den Ländern, die diese Frage aktuell mit Nein beantworten. Bis vor kurzem galten auch die USA als Befürworter von Budgetdisziplin. Das harte Ringen, „Government Shutdowns“, automatische Ausgabenkürzungen und Steuererhöhungen sind die Zeugen davon. Derzeit redet niemand mehr von Kostenkontrolle. Republikaner wie Demokraten wollen Geld ausgeben – und zwar jetzt und in großen Mengen. Wieso auch nicht? Die Zinsen sind niedrig, die Zinsausgaben sinken und die Schuldentragfähigkeit scheint auf Jahrzehnte gesichert.

Der Eindruck täuscht.

Die Grafik zeigt die projizierte Entwicklung der US-Schulden. Dargestellt sind nur die Bundesschulden und nicht die Schulden der Länder usw. Würden diese miteinbezogen, dann läge die Verschulden schon jetzt bei 100 %.

Nach den hohen Kosten der Finanzkrise stabilisiert sich die Verschuldung nun wieder. Das gibt eigentlich Spielraum für Investitionen. Insbesondere Investitionen, die die Produktivität steigern, wären langfristig willkommen. Die Produktivität stagniert praktisch und das begrenzt das potentielle Wirtschaftswachstum.
Betrachtet man die Projektion, dann kommen einem jedoch Zweifel daran, dass höhere Defizite wirklich sinnvoll sind. Die Defizite kommen in den nächsten Jahren ganz automatisch wieder. Das liegt daran, dass vor allem die festen Ausgaben (Sozialhilfe usw.) nicht einfach angepasst werden können und mit der Überalterung der Bevölkerung steigen. Will der Staat diese Ausgaben nicht durch erdrückende Steuererhöhungen finanzieren, dann steigt das Defizit ganz automatisch.

Das gilt nicht nur für die USA, sondern auch für Deutschland. Das Thema hatte ich bereits Anfang des Jahres thematisiert. Selbst unter besten Voraussetzungen steigt die Verschuldung Deutschlands bis Mitte des Jahrhunderts in den Bereich von 100 bis 120 %. Andere Analysten sind weitaus skeptischer als ich und gehen vielmehr von 150 % bis 2050 und sogar über 200 % bis 2060 aus.

Es mag gut sein, dass mit einer endlosen Weiterführung von QE auch 200 % Verschuldung tragfähig werden, doch wofür will der Staat überhaupt so viel Geld ausgeben? Wenn der Staat Konjunkturprogramme auflegt, wenn Vollbeschäftigung herrscht (wie in den USA) oder die Arbeitslosenrate so niedrig ist wie seit 25 Jahren nicht mehr (Deutschland), was ist das für ein Signal und was bedeutet das für die Wirtschaft?

Je mehr der Staat in Hochkonjunkturzeiten in die Wirtschaft eingreift, desto wichtiger wird die Rolle des Staates als Wirtschaftsakteur. Investitionen sind derzeit gering, doch wenn der Staat fehlende Investitionen durch Unternehmen und andere Akteure ersetzt, dann wird es wahrscheinlich nie wieder zu einer natürlichen Dynamik kommen.

Großangelegte Neuverschuldung nur wegen billigem Geld ist kein Erfolgsmodell. Im Gegenteil, es ist für die Wirtschaft genauso schädlich wie die Notenbankpolitik. Wenn der Staat jederzeit beliebig hohe Schulden aufnehmen kann, um zu investieren und Arbeit zu schaffen, verdrängt das die Privatwirtschaft. Und es führt langfristig zu einer immer geringeren Risikobereitschaft der Privatwirtschaft. Risiko soll dann gefälligst der Staat auf sich nehmen.

Wird dieser Weg beschritten wie es unter anderem auch vom Internationalen Währungsfonds angemahnt wird, führt das langfristig zu noch größeren Ungleichgewichten als wir ohnehin schon sehen. Das kann nicht das Ziel sein.

Also nein, liebe Regierungen, bitte nicht den Schuldenhahn weiter aufdrehen!

Clemens Schmale

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13 Kommentare

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  • Cristian Struy
    Cristian Struy

    kaum geschrieben, hier das konkrete Problem gelesen. Es wollen zu wenige verkaufen. ...

    http://www.nzz.ch/finanzen/aktien/bank-of-england-...

    00:55 Uhr, 12.08. 2016
  • Gone Fishing
    Gone Fishing

    Geanu vor diesem Hintergrund der verhältnissmässig niedrigen Zinsen haben sich die Schuldenländer Griechenland, Portugal u.A. nach Ihrem Beitritt zum Euro "billig" verschuldet - bis dann ca. 10 Jahre nach dem Beitritt die Kredite mitten in der Krise "fällig" wurden und wir kennen das Ergebniss.

    Das ein Staat inklusive Schuldendienst nicht mehr ausgeben kann als im Vorjahr auch eingenommen wurde, sollte selbstverständlich sein. Tolle, gemeinützige Grossprojekte müssten dann eben ein Jahr später durchgeführt werden. Na und?

    Für Sonderfälle gezielter Einsatz eines EZB-Ausgleichsmechanismus.

    Staaten und Politiker haben per Definition eine unendliche Ausgaben/ Verschwendungs-kapazität. Am Bürger der es letztendlich bezahlen muss, geht das schon lange vorbei.

    Wieder schönes Beispiel in Griechenland und Portugal. Die Bürger bekommen für die zwangseingetriebenen Steuern ganz einfach weder einen sozialen noch sonstigen "Gegenwert" wie in Nordeuropa. Das Geld ist eben einfach weg.

    Keinerlei Beachtung finden bisher im Europa der sozialen Ungleichheiten die Preisniveaus. Während vor 20 Jahren der Grieche 1/3 verdient hat und im Inland alles 1/6 gekostet hat im Vergleich zum reichen Norden, verdient er heute weniger als ein Drittel, aber jedes Brot, jeder Kaffee, jede Kartoffel oder jeder Fisch kostet (nahezu) dasselbe in ganz Europa. Der langfristige Effekt ist falls keine zügigen Änderungen kommen einfach untragbar.

    20:41 Uhr, 11.08. 2016
  • Fredo Escalade
    Fredo Escalade

    @Roy66, @gtpaul, @kopfsache, @kingkong007:

    VOLLE Zustimmung.

    Sehr verwunderlich dieser Artikel von Herrn Schmale, denn er ist weit von der Realität entfernt...

    Auch die Forderung "keine Schulden lieber Staat" ist realitätsfern, denn dieses Wirtschaftssystem ist absolut schrottreif und fordert ständiges Wachstum... Woher soll das kommen, Herr Schmale??

    So bräuchte es dringend staatliche Aufbauprogramme für Straßen, Schulen, Bildung...
    Ach nein, lieber Allianz &. Co für deren geplante "Infrastrukturinvestitionen" durch den Bürger 5% Zinsen zahlen lassen???
    *Kopf schüttel*

    Wo ist eigentlich des Problem? Der Staat sollte über eine Monetative die Geldschöpfung selbst regulieren können, anstatt uns und unsere Kinder ans private Zentral- und Geschäftsbankensystem zu verpfänden...

    Da das gesamte System m.M.n. ohnehin nicht mehr vernünftig funktioniert, sollte man nun für Negativzinsen endlich die Dinge in Angriff nehmen, für die angeblich schon seit Jahren Geld "fehlt"... Irgendwann kommt ohnehin der globale Schuldenschnitt.

    Es gibt keine Ausreden mehr.

    14:20 Uhr, 11.08. 2016
  • kingkong007
    kingkong007

    Mit 3 Jobs sind die Amis voll beschäftigt.

    Vollbeschäftigung auch bei uns in den Job Centern, die kaum noch nachkommen

    alle Hartz 4 Empfänger und Aufstocker zu verwalten.

    Selten gelingt eine Vermittlung in die Vollbeschäftigung, es sei denn, man wird

    Arbeitskollege.

    13:36 Uhr, 11.08. 2016
  • kopfsache
    kopfsache

    looooooool, jo vollbeschäftigung. der war gut !

    10:52 Uhr, 11.08. 2016
  • Weißer Ritter
    Weißer Ritter

    Ein neuer Besinnungsaufsatz von Herrn Schmale, bei dem am Ende herauskommt, was ohnehin schon klar war, dabei aber wichtie Punkte vernachlässigt werden:

    1. Es stellt sich die Frage, wieviel zusätzliche Verschuldung der Staaten möglich wäre, bis die Zinsen just deswegen beginnen, wieder anzuziehen.

    2. Es stellt sich die Frage, wofür der Staat das Geld ausgeben würde. Für gesamtgesellschaftlich sinnvolle Projekte wohl kaum - jedenfalls ganz überwiegend nicht. Dazu muß man sich ja nur ansehen, wozu das Geld seit Beginn der großen Schuldenorgie in den 70ern ausgegeben wurde. Ganz überwiegend für den Sozialkonsum. Dafür, daß gerade jetzt eine Besinnung auf die wirklichen Staatsaufgaben stattfände, fehlt jeder Anhaltspunkt.

    3. Eine weitere Erhöhung des Schuldenberges wird dem Staat bei der kleinsten Erhöhung des Zinsniveaus das Genick brechen, da er diesen nicht mehr refinanzieren könnte. Oder glaubt Herr Schmale ernsthaft, das auslaufende Anleigen einfach zurückgezahlt werden? Das wäre ein absolutes Novum.

    Also kurz und gut und mal wieder: Wovon wird hier eigentlich geredet!?

    10:49 Uhr, 11.08. 2016
  • gtpaul
    gtpaul

    Warum kann man nicht einfach Altschulden ablösen und die eingesparten Zinsaufwendungen sinnvoll investieren?

    10:41 Uhr, 11.08. 2016
    3 Antworten anzeigen

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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