Kommentar
17:17 Uhr, 25.11.2016

Trumponomics - Should I stay or should I go?

Die Analyse des Vorher-Nachher-Trump geht weiter. Wie viel realpolitische Substanz hat sein Wahlprogramm tatsächlich? Und was heißt das für die Anlageklassen? Bleibt die Trump-Rallye bestehen? Wird an den US-Aktienmärkten weiter die Zukunft seiner ökonomischen Wundermedizin bezahlt oder scheitert sie z.B. an geldpolitischen Hemmnissen? Inwieweit können deutsche Industrieaktien von den Trumponomics profitieren? Signalisiert hier Trumps Rückzug vom Transpazifischen Handelsabkommen bereits kommendes Ungemach? Ohnehin schwebt über europäischen Aktien das Damoklesschwert des Super-Polit-Jahres 2017.

„Trump Jump“ bei US-Aktien von Dauer?

Das Vorhaben, US-Wirtschaft und -Arbeitsmarkt mit Infrastrukturinvestitionen, Deregulierungen im Energie- und Finanzsektor und massiven Steuersenkungen zu dynamisieren, wird Trump umsetzen müssen, um seine Wähler, die durch die Aufweichung seiner Wahlkampfthesen bereits irritiert sind, nicht zusätzlich zu enttäuschen. Damit sind fundamentale Argumente für eine nachhaltig stabile Aktienentwicklung in Amerika gegeben.

Die Trump-Administration wird binnenwirtschaftlich klotzen, nicht nur kleckern. Sorgen, dass diese Konjunkturoffensive die ohnehin atemberaubende US-Staatsverschuldung bis 2021 erneut um fünf Bill. US-Dollar ansteigen lassen dürfte, sind berechtigt. Dennoch, um deren reibungslose Finanzierung zu ermöglichen, setzen die US-Aktienmärkte darauf, dass die Fed - die Konjunktur- gegenüber Stabilitätspolitik gerne Priorität einräumt - einen wirklich restriktiven geldpolitischen Kurs nicht verfolgen wird. In Europa wird überhaupt oft verkannt, dass Schulden in Amerika nur als Mittel zum Zweck, als Instrument zur Konjunkturförderung betrachtet werden. Insgesamt wird Amerika zu einem wirtschaftlich sicheren Hafen mit Ausstrahlung auf US-Aktien.

Trump als handelspolitischer Diktator?

Ohne Zweifel stimmen die von der neuen amerikanischen Regierung angeschlagenen handelspolitischen Töne alarmierend. Trumps Rückzug vom Transpazifischen Handelsabkommen TPP ist ein Paukenschlag, auch weil die Region Asien/Pazifik für die USA wirtschafts- und geopolitisch als logischer Nachfolger des früheren Interessengebiets Atlantik gilt. Doch wird auch unter Trump der transpazifische Handel nicht eingeschränkt, sondern „amerikanisiert“. Durch bilaterale Handelsabkommen lassen sich US-Bedingungen sicherlich besser umsetzen als in Verhandlungen mit einer geschlossen auftretenden Gegenpartei.

Damit wird auch der amerikanische Zeigefinger Richtung Europa erhoben. TPP ist tot und TTIP hat unter Trump ganz gewiss keine Chance auf Wiederauferstehung. Die USA werden die EU auffordern, über höhere Neuverschuldung und großzügige Schuldenschnitte nicht nur für Griechenland mehr globale positive Konjunkturstimmung zu entfalten. Nur bei „Entgegenkommen“ werden sich protektionistische amerikanische Maßnahmen vermeiden lassen. Es ist nicht zu erwarten, dass Amerikas Interessen auf allzu großen Widerstand einer ohnehin wenig geschlossenen EU-Phalanx treffen. Länder wie Deutschland hätten aufgrund ihrer Exportabhängigkeit ansonsten viel zu viel zu verlieren. Vor allem im Wahljahr 2017 wird Europa wenig arbeitsplatzgefährdende Gegenwehr zeigen.

Insgesamt dürfte sich Europa „kooperativer“ zeigen als Asien. Diese handelspolitische Einschätzung signalisieren auch die Aktienmärkte: DAX und Euro Stoxx 50 entwickeln sich seit November deutlich stabiler als der Sammelindex der Schwellenländer.

Vergleich der Aktienmärkte USA, Eurozone und Deutschland seit November 2016 

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Leidet die deutsche Industrie unter Trumpophobie?

Trotz der potenziellen handelspolitischen Gefahr, die von der neuen US-Regierung ausgeht, hält sich die Aufregung im Verarbeitenden Gewerbe Deutschlands in Grenzen. Man vertraut auf eine weit weniger dramatische Realpolitik. Sowohl ifo Geschäftserwartungen als auch ifo Geschäftsklima für November halten sich mit Rückgängen zurück. Die ifo Geschäftslage zeigt sich sogar weiterhin stabil.

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Für konjunktursensible deutsche Aktien spricht durchaus, dass ein sich reindustrialisierendes Amerika an deutschem Industrie-Know How nicht vorbeikommt. Davon profitieren insbesondere mittelständischen Werte, die mit ihren Qualitätsprodukten und Patenten Weltmarktführer auch in Nischenmärkten sind. Vor diesem Hintergrund dürfte die seit Juli 2016 zu beobachtende, relative Schwäche von Titeln des MDAX und SDAX zum DAX auslaufen und einen Trendumschwung verstetigen.

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Wie schwach wird der Euro?

Ein schwächerer Euro ist grundsätzlich ein unterstützender Faktor für deutsche Exportaktien, mindestens im Kopfkino der Anleger. Denn Erwartungen einer von der US-Wachstumsoffensive ausgehenden sogenannten „Trumpflation“ schüren Ängste vor einer restriktiven US-Notenbank, die über höhere Leitzinsen und Anleiherenditen zu einer Aufwertung des US-Dollar führt. Diese Dollar-Befestigung würde aber nicht nur die US-Wirtschaft exportseitig bremsen, sondern könnte auch zu einer Kapitalflucht aus den für die Weltkonjunktur bedeutenden Schwellenländern führen bzw. ihren Zinsdienst der zu großen Teilen in US-Dollar denominierten Verschuldung erschweren. Im Übrigen erklärt auch dies die Underperformance der Aktienmärkte der Schwellenländer.

Allerdings ist aus Gründen einer ansonsten globalen finanz- und realwirtschaftlichen Verunsicherung nicht von einer konsequent restriktiven Zinspolitik der Fed und steigenden Anleiherenditen auszugehen, die zu systemischen Finanzmarktrisiken führten. (Mehr zum Thema Zinsänderungsrisiko in der vorliegenden Publikation unter „Halvers Kolumne“)

Da gleichzeitig die Rendite-Tiefs in der Eurozone trotz anhaltender Liquiditätsoffensive der EZB durchschritten sind, ist mit einer nachhaltigen Ausweitung der Renditedifferenz - wesentliches Argument für Wechselkursbewegungen - zugunsten des Dollars nicht zu rechnen. Der Euro-USD-Wechselkurs dürfte sich im Jahresverlauf 2017 um 1,04 einpendeln.

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Steuerwettbewerb kommt ganz groß in Mode

Steuererleichterungen allein haben in vielen Ländern bereits für eine markante Standortverbesserung gesorgt. Trotz vermeintlichem Steuerausfall können sie sogar das Gegenteil bewegen, wenn global agierende Unternehmen - auch aus Konkurrenzdruck - ihre Gewinne in diesen Ländern versteuern oder dort investieren und Arbeitsplätze aufbauen. Dieses Rezept wird nicht nur Donald Trump für die USA, sondern auch Theresa May für Großbritannien verfolgen. Die britische Premierministerin ist geradezu gezwungen, einer durch Brexit geschädigten Wirtschaft mit geeigneten Instrumenten wieder Stabilität zu verleihen.

May kündigte bereits an, die Unternehmenssteuern von 20 auf 15 Prozent zu senken. U.a. für diesen Konjunkturimpuls lässt man in London 2017 gerne eine deutliche staatliche Neuverschuldung in Höhe von umgerechnet 143 Mrd. Euro zu.

Trump verspricht sogar noch eine markantere Steuersenkung von 35 auf 15 Prozent. Interessanterweise gelten die USA momentan in puncto Unternehmensbesteuerung als „Hochsteuerland“. Insgesamt läge damit das britische und US-amerikanische Steuerniveau auf dem niedrigsten Niveau aller 20 größten Industrieländer.

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Mit rund doppelt so hohen Unternehmenssteuern (29,83 Prozent) entstünde Deutschland ein massiver Wettbewerbsnachteil, der zu Investitions- und Steueranfallverlagerungen führen könnte. Die Lobbyisten vor allem der Exportunternehmen werden ihren Druck auf Steuererleichterungen zukünftig massiv erhöhen.

Marktlage und Anlegerstimmung - Bewertungsfrage und politische Risiken als Gefahr für die Jahresend-Rallye?

Seit spätestens 2008 haben sich die Bewertungen von US-Staatspapieren auf Basis des Kurs-Gewinn-Verhältnisses (KGV) dramatisch erhöht. Dadurch wurden hohe absolute Aktienbewertungen des S&P 500 relativ geheilt. Tatsächlich ist der amerikanische Aktienmarkt mit einem KGV von aktuell ca. 17 nicht als historisch günstig zu beschreiben. Würde die bereits eingesetzte Bewertungsnormalisierung des amerikanischen Rentenmarkts unbeirrt weitergehen, bräche auch das Bewertungsalibi für US-Aktien ein. Die theoretischen Kollateralschäden, die hiermit verbunden wären, können praktisch nur begrenzt zugelassen werden.

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Mit Blick auf insgesamt ausbleibende dramatische Strukturveränderungen am Rentenmarkt bleibt auch der Renditevorsprung von Dividenden gegenüber Zinsvermögen erhalten.

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Die in den USA von einer noch nicht klar abschätzbaren Amtsführung Trumps und in der Eurozone von mindestens drei Nationalwahlen ausgehenden Risiken, schüren Ängste um die Finanzstabilität in Europa. Der erste Gefahrenherd ist das am 4. Dezember stattfindende Verfassungsreferendum in Italien. Bei diesem als Anti-Establishment- und Europa-Wahl hoch stilisiertem Votum liegt das Nein-Lager aktuellen Umfragen zufolge mit 53,8 zu 46,2 Prozent klar vorne. Wäre das Endergebnis entsprechend, kommen die europäischen Aktienmärkte bei dann vier Nationalwahlen im nächsten Jahr aus der politischen Verunsicherung gar nicht mehr heraus.

Erste Anzeichen kommen bereits in einem Anstieg des von der BNP Paribas veröffentlichten Political Risk Index zum Ausdruck, der die politischen Risiken für die Euro-Finanzmärkte misst. Im Trend sind mit ihm auch entsprechende Kursschwankungen verbunden. Aktuell allerdings scheinen diese jedoch noch nicht auf die ansteigenden politischen Risiken zu reagieren. Bei einer Ablehnung des italienischen Verfassungsreferendums ist mit deutlich größeren Kursschwankungen am deutschen Aktienmarkt zu rechnen.

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Auch der vergleichsweise hohe Anteil der Optimisten am US-Aktienmarkt, der auf den höchsten Wert seit Februar 2015 gestiegen ist und damit deutlich über der oberen Begrenzung der ersten Standardabweichung liegt, liefert als Kontraindikator Argumente für zwischenzeitliche Aktienschwankungen und -konsolidierungen in den USA.

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inem wirklichen Unsicherheitsschock wird u.a. die EZB zur Verhinderung des Wildwuchses einer systemischen Polit-Krise wirksam entgegentreten. Gerne im vorauseilenden Gehorsam auftretende Direktoriumsmitglieder der EZB haben sich mit der kürzlichen Warnung vor ständigen Währungsschocks und höheren Risiken für die Finanzmarktstabilität bereits ausreichend Alibis besorgt, um auch zukünftig geldpolitisch kraftvoll zubeißen zu können.

Insgesamt ist die fortgesetzte Übergewichtung von Aktien aber weiter zu empfehlen.

Charttechnik DAX - Vor einer schwer überwindbaren Hürde

Charttechnisch liegt beim DAX eine erste markante Barriere bei 10.802. Wird diese nachhaltig durchbrochen, treten weitere Widerstände bei 11.055, 11.187 und schließlich bei 11.431 Punkten in den Vordergrund. Kommt es beim DAX zu einer Gegenreaktion, liegt eine wichtige Unterstützung zunächst bei 10.535. Wird diese durchbrochen, ist mit Kursverlusten bis zu den Haltelinien bei 10.492, 10.383 sowie darunter bei 10.250 Punkten zu rechnen.

Der Wochenausblick für die KW 48 - ISM Index als Frühindikator für Trumps Wirtschaftspolitik

In China signalisiert der fortschreitende Seitwärtstrend des offiziellen sowie vom Finanzdatenanbieter Caixin veröffentlichten Einkaufsmanagerindex für das Verarbeitende Gewerbe eine konjunkturelle Stabilisierung auf aktuell niedrigem Niveau.

In den USA erholt sich das vom Conference Board veröffentlichte Verbrauchervertrauen leicht, was auch in stabilisierten Konsumentenausgaben zum Ausdruck kommt. Der ISM Index für das Verarbeitende Gewerbe geht nach der starken Erholung der Vormonate in einen Seitwärtstrend über. Das gilt auch für den monatlichen Stellenaufbau, der sich nur mit moderater Geschwindigkeit fortsetzt.

In der Eurozone bestätigen ein unverändertes Wirtschaftsvertrauen der EU-Kommission sowie erste Schätzungen einer auch im November grundsätzlich schwachen Inflation die EZB in ihrer Absicht, ihre Liquiditätsoffensive im Rahmen ihrer Sitzung im Dezember auszuweiten.

Halvers Woche: Wie viel Angst müssen Anleger vor dem GAU an den Zinsmärkten haben?

An niedrige Zinsen haben wir uns gewöhnt wie an Tagesschau, den sonntäglichen Tatort oder Glühwein auf dem Weihnachtsmarkt. Sicherlich, damit wurde unsere deutsche vor allem auf Zinsvermögen basierende Altersversorge von den Notenbanken sturmreif geschossen. Doch unsere (Finanz-)Welt hätte weder die Immobilien- noch diverse Euro-Krisen ohne die barmherzige Geldpolitik seit 2008 überlebt.

Auch Deutschland hätte nicht die offenen Rechnungen der Schwestern und Brüder der Eurozone bezahlen können, ohne seinen eigenen Staatshaushalt zu ruinieren oder Steuern und Sozialabgaben kräftig zu erhöhen. Und die aktuell wie eine Monstranz zur Schau getragene schwarze Null der Bundesregierung hätte es auch nie gegeben.

Marktwirtschaft kann man suchen, am Rentenmarkt wird man sie sicher nicht finden

Es gab einmal eine Zeit, da spürten Länder, die der Schuldenmanie verfielen und sich weigerten, wirtschaftliche Reformhausaufgaben zur Sicherstellung ihrer Schuldentragfähigkeit durchzuführen, die harte Knute der Finanzmärkte. So wie leistungsunwillige Schüler schlechte Noten erhalten, wurden Staatspapiere mit steigenden Renditen und Verkaufsproblemen bestraft. Und jetzt mal ehrlich: Kann es angesichts von weltweit annähernd 250 Bill. US-Dollar Schulden - Tendenz weiter steigend - oder mangelnder Bonität der meisten Euro-Staaten auch nur einen winzigen Grund für niedrige Zinsen geben? Normalerweise nicht! Aber wo ein geldpolitischer Wille, da ein finanzwirtschaftlicher Weg: Heutzutage sorgen planwirtschaftliche Anleihekäufe der Notenbanken für niedrige Schuldzinsen und entsorgen gleichzeitig das Absatzproblem von staatlichen Schuldtiteln.

Die Angst vor der Zinswende

Doch genau damit hat die internationale Bruderschaft des freizügigen Geldes die am meisten überbewertete Anlageklasse aller Zeiten geschaffen: Das Zinsvermögen.

Verständlicherweise will kein Anleger hier investiert sein, wenn diese unter enormem Überdruck stehende Anlageblase durch eine massive Zinswende platzen sollte.

Aber wie könnte es zu dieser Zinswende kommen? Das Szenario einer durch die Trumponomics kaltgestarteten US-Konjunktur hat das Potenzial von weltweitem Inflationsdruck. Hinzu kommen steigende Rohstoffpreise wegen Förderkürzungen durch das Ölkartell Opec. Denn sollte Trump den Atom-Deal mit dem Iran aufkündigen, wäre auch die Rückkehr des Iran an den Rohölmarkt beendet. Insofern müssten die Opec-Staaten ihre hohen Förderquoten im Preiskampf mit dem Erzfeind Iran zur Verteidigung von Marktanteilen nicht mehr aufrechterhalten.

Gemäß geldpolitischem Lehrbuch würde schnell der „Casus Belli“, der Kriegsfall ausgerufen: Mobilmachungen in Form von Leitzinserhöhungen und Zurückführungen von Anleiheaufkäufen zum Zwecke der Inflationsvorbeugung sind unverzüglich durchzuführen.

Tatsächlich scheint der Rentenmarkt bereits erste Signale einer Renditewende bei US-Staatspapieren einzupreisen. Und da der US-Anleihemarkt für die globalen Rentenmärkte der unbestrittene Leithammel ist, sind auch leichte Renditesteigerungen in Deutschland zu beobachten. Überhaupt, eine seit 1981, also mittlerweile seit 35 Jahren andauernde Anleihehausse schreit doch förmlich nach Trendumkehr, oder?

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Ginge der Umkehrschub bei Renditen unvermindert weiter, wären vor allem große Kapitalsammelstellen und Vermögensverwalter gezwungen, ihre gewaltigen Anleihebestände vorbeugend zu verkaufen. Sie sind ohnehin starkem Konkurrenzdruck ausgesetzt. Sie werden dann nicht warten, bis aus Buchgewinnen Buchverluste werden. Und je mehr Good Bye zu Anleihen sagen, umso mehr steigen die Renditen. Die Rentenbaisse nährte die Rentenbaisse.

Zinserholungen sind auch Gift für die größte konkurrierende Anlageklasse „Aktien“. Der deutsche Leitindex DAX befindet sich auf dem aktuell relativ hohen Kursniveau nicht aus fundamentalen Gründen, sondern vor allem wegen der seit 2008 stark gesunkenen Renditen der größten Alternativanlage „Zinsvermögen“. Früher, als es für deutsche Staatspapiere noch was gab, hatte der DAX keine Chance, nachhaltig über 8.000 Punkte zu steigen. Warum auch bei risikolosen und attraktiven Brot und Butter-Renditen von vier bis fünf Prozent. Sollte es zu einer klaren Renditeumkehr nach oben kommen, hätte der Aktienmarkt heute erneut schlechte Karten.

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Ist ein Anleihe-Crash möglich?

Kein Anleger muss sich vor einer amerikanischen Zinspolitik mit Schaum vor dem Mund wie zwischen 2004 und 2006 fürchten. Mit einem Anstieg von einem auf 5,25 Prozent hatte die Fed damals nicht nur die ungeliebte Immobilienblase wie eine Schmeißfliege auf der Vase zerschlagen, sondern die Vase gleich mit: Mit einem Schlag hat auch die Weltkonjunktur den Löffel abgegeben. Eine Wiederholung wäre mit „dämlich“ noch nett umschrieben.

Trumps staatliche Konjunkturoffensive ist ohne stramme weitere Neuverschuldung nicht möglich. Laut Daten vom IWF wird die US-Staatsverschuldung bis zur nächsten Präsidentenwahl 2021 um etwa fünf Billionen US-Dollar steigen. Das ist noch einmal ein Viertel mehr als der bisherige Schuldenkönig Barack Obama hinterlässt. Wer sonst außer der Fed kann eine renditegünstige Finanzierung garantieren, die den US-Staatshaushalt nicht völlig ruiniert. Es sollte auch nicht vergessen werden, dass Frau Yellen eher als Konjunkturunterstützerin, weniger als Inflationsbekämpferin gilt. In ihr schlummert deutlich mehr Taube als Falke.

Auch Japan oder China haben keine Chance, aus der Happy Hour der geldpolitischen Freizügigkeit zu entkommen. Ansonsten droht die Deflation. Und die Briten? „Dank“ Brexit und damit verbundenem Umbau ihrer Volkswirtschaft werden die Schulden sprießen wie Unkraut im Vorgarten. Wenn da der kanadische Chef der Bank of England nicht hört, werden die britischen Kreditmärkte fühlen müssen.

Und in der Eurozone hat die EZB ohnehin noch keinen konjunkturellen Durchbruch erreicht. Für geldpolitischen Umkehrschub gibt es also keine Berechtigung. Im Übrigen würden übermäßige Renditeerhöhungen die Bedienung der aus dem Ruder gelaufenen Staatsverschuldung unmöglich machen. Alternativ müssten Schulen oder Krankenhäuser geschlossen und Sozial- und Rentenleistungen gekürzt werden. Dann allerdings würden die Straßen nicht mehr den Flaniergästen und Kaufhausbummlern gehören, sondern enttäuschten Wut- und Wahlbürgern mit jeder Menge sozialem Sprengstoff. Zur Erinnerung: 2017 finden mindestens drei und mit Italien - wenn Ministerpräsident Renzi am 4. Dezember sein Verfassungsreferendum verliert - eventuell sogar vier Nationalwahlen in Euroland statt.

Weiter so! Die Illusion „stabiler“ Finanzmärkte muss genährt werden
Vor diesem Hintergrund ist der EZB auch eine konsequente Inflationsbekämpfung der Marke Deutsche Bundesbank nicht mehr möglich. Stabilitätspolitik heißt heutzutage nicht mehr Stabilität von Preisen, sondern Stabilität von Finanzmärkten und der Eurozone.

Insgesamt werden die Anleiherenditen zwar keine neuen Tiefstände mehr erreichen. Doch müssten unsere geldpolitischen Rettungsengel mit der Muffe gepufft sein, wenn sie eine teuflische Renditewende zuließen. Damit zerstörten sie ihr eigenes Rettungswerk. Sie wissen genau, dass man gezähmte Kreditmärkte nicht einfach wieder in die freie Wildbahn entlassen kann. Spekulanten würden sie auffressen wie Füchse arglose Käfighühner, denen man plötzlich Freigang erlaubt hat. Im Extremfall drohte Weltkonjunktur und Weltfinanzsystem aufgrund der globalen Überschuldung der finale Systemkollaps. Ohnmächtig sind die Notenbanken gezwungen, das Zinsänderungsrisiko überschaubar zu halten.

Der große anlagetechnische Strukturbruch bleibt erzwungenermaßen aus. Die Konkurrenz von Anleihen im Vergleich zu Aktien und nicht zuletzt ihren Dividendenrenditen hält sich in Grenzen. Und ein bisschen Rotation von Renten in Aktien kann da nicht schaden, im Gegenteil.

Robert Halver, Leiter Kapitalmarktanalyse der Baader Bank AG

Rechtliche Hinweise/Disclaimer und Grundsätze zum Umgang mit Interessenskonflikten der Baader Bank AG:

http://www.baaderbank.de/disclaimer-und-umgang-mit-interessenskonflikten/

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