Kommentar
18:00 Uhr, 26.08.2024

Telegram-Gründer droht Knast: Er zeigt der Politik den Mittelfinger

Unbeugsam, mit einem Ziel: für Freiheit kämpfen. Pavel Durov legte sich dafür mit allen an, von Putin bis zum Westen. Ein Porträt. BTC-ECHO

Die Geste, die Telegram-Gründer Pavel Durov am schnellsten beschreibt: der ausgestreckte Mittelfinger. Als russischer Staatsbürger zeigte er ihn 2011 seinem Präsidenten, Wladimir Putin. Metaphorisch gesehen und nach seiner Flucht aus Russland: der ganzen Politikwelt. Der Milliardär und Telegram-Gründer, 39, sieht sich als Rebell und Freiheitskämpfer auf Mission: die Privatsphäre und das Recht auf Meinungsfreiheit bewahren, um jeden Preis. “Um wirklich frei zu sein, solltest du bereit sein, alles für die Freiheit zu riskieren”, so einer seiner radikalen Glaubenssätze. Er könnte ihm jetzt seine eigene Freiheit kosten.

Pavel Durov wurde gestern, am 25. August 2024, von französischen Behörden in Paris verhaftet. Ihm drohen angeblich 20 Jahre Gefängnis. Die Vorwürfe: mangelnde Moderation auf Telegram und die Weigerung, mit französischen Strafbehörden zusammenzuarbeiten. Beides soll die Organisation von Verbrechen auf Telegram ermöglicht haben, von Terrorismus bis Drogenhandel. Und Durov sei somit mitschuldig. Offizielle Anklage muss noch erhoben werden.

Pavel Durov gründet das russische Facebook

Ein Mann im ewigen Konflikt mit der Politik, so könnte man die erfolgreiche Karriere vom “russischen Zuckerberg” lesen. Schon in Russland ist er ständig im Clinch mit den Behörden. Er gründet 2006 die Plattform VKontakte, das russische Pendant zu Facebook, bald das größte soziale Netzwerk des Landes.

Der Kreml fordert von ihm, dass er bestimmte Gruppen schließt, zum Beispiel vom russischen Oppositionsführer, Alexej Nawalny, oder von Protestlern gegen die Parlamentswahlen in 2011. Pavel Durov widersetzt sich, veröffentlicht damals sogar ein Foto, in dem er Wladimir Putin den Mittelfinger zeigt.

Der Telegram-Gründer zeigt Wladimir Putin 2011 den Mittelfinger I Quelle: Instagram

Die Folge: Schikanen und Hausdurchsuchungen. Der Tech-Gründer wird aus dem Unternehmen gedrängt, das unter kremlfreundlicher Leitung weiterläuft. Er verlässt seine Heimat und beantragt die französische Staatsbürgerschaft. 2013 gründet er den Messenger-Dienst Telegram. Mit utopischen Visionen.

Volle Privatsphäre, das totale Recht auf Meinungsfreiheit, Gemeinnützigkeit und Zensurresistenz: Das sind die Werte, denen sich Pavel Durov mit Telegram verpflichtet. Keine Überwachung. Kein Weiterverkaufen oder Aushändigen von Daten an Unternehmen oder Regierungen wie bei Facebook und Co. Eine starke Verschlüsselung. Telegram wächst unter seiner Aufsicht zu einem der größten und umstrittensten sozialen Netzwerke weltweit, mit fast einer Milliarde Nutzern aktuell. 2018 fügt er Toncoin in den Dienst ein, allerdings liegt das Projekt 2020 nach einem Rechtsstreit mit der SEC zunächst auf Eis. Unabhängige Entwickler greifen TON später auf und formen es zu einer der schnellsten wachsenden Kryptowährungen der Welt.

Der Konflikt mit Regierungen, ein ewiges Thema in der Laufbahn des Tech-Visionärs: China und der Iran blocken die Plattform, Russland bis 2020 auch. Als der Kreml von Telegram die Schlüssel zur Kryptografie von Telegram fordert, schickt Pavel Durov einen sarkastischen Brief nach Russland – mit einem Paar Türschlüsseln.

Pavel Durov schickt dem Kreml 2020 die “Schlüssel” zu Telegram I Quelle: Instagram

Auch das gehört zu ihm: ein zutiefst exzentrischer Charakter. Manche ehemaligen Kollegen sprechen davon, dass er einen Kult um seine Person schüre und sich für eine Art modernen Napoleon Bonaparte halte – mit ähnlichen Ego-Komplexen. Er jettet durch die Welt mit Instagram-Models, inszeniert sich als disziplinierter und starker Mann: stoisch im Eisbad, beim Gewehrschießen, folgt einer strengen Diät. Und präsentiert sich, trotz seines Milliardenvermögens, als Minimalist: “Der Besitz von Dingen versklavt dich.“ In Russland wird er so Vorbild für eine Generation junger und rebellischer Männer.

Podcast

Umso stärker Telegram wächst, umso mehr werden der “russische Zuckerberg” und seine Plattform auch dem Westen ein Dorn im Auge: Die USA behaupten, dass die Kapitolstürmer von 2021 sich dort ungestört organisierten, so wie viele andere extremistische Gruppen auch. Betrug, Drogenhandel, Terrorismus, Falschinformationen, Kindesmissbrauch: So lauten die Vorwürfe der Verbrechen, die auf Telegram toleriert und organisiert werden. Und für all das gibt es auch genügend Beweise durch Studien.

Damit immer wieder verbunden ist die Forderung nach stärkerer Kooperation mit Behörden oder härterem Eingreifen der Plattform. Ein Tanz zwischen zwei Bedürfnissen, dem Drang nach Kontrolle auf der einen und dem Recht auf Privatsphäre auf der anderen Seite.

Kann Telegram an seinem Kurs festhalten?

Telegram gab dem Druck immer wieder nach, vor allem in extremen Fällen. So sperrte man ab 2018 Accounts und Inhalte von Terrorgruppen wie ISIS, kooperierte dafür mit Strafbehörden. Scheinbar nicht genug. An der Person von Pavel Durov wird in den nächsten Wochen und Monaten eine der zentralsten Fragen unserer Zeit verhandelt werden: Wie viel Privatsphäre und Meinungsfreiheit verträgt ein soziales Netzwerk? Es wird auch ein Stresstest für die ursprüngliche Vision von Telegram, so dezentral und zensurresistent wie möglich zu sein.

#FreePavel
pic.twitter.com/B7AcJWswMs

— Elon Musk (@elonmusk) August 25, 2024

Verbündete hat der Milliardär auf jeden Fall. Der Hashtag “Free Pavel” trendet auf X, gerade beim Lager der staatskritischen Denker und Promis und besonders der Kryptobranche. Elon Musk, Vitalik Buterin oder auch Tucker Carlson machen sich für seine Freilassung stark.

Source: BTC-ECHO

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