Nachricht
07:00 Uhr, 17.04.2009

Synthetik statt Original – ETFs setzen immer mehr auf Derivate

Von Martin Wambach und Dr. Gunnar Stark

Traditionelle ETFs
Exchange Traded Funds (ETFs) sind passiv gemanagte Indexfonds, deren Anteilsscheine primär über den börslichen Handel zum Anleger finden. Ihr vornehmliches Ziel ist ein kosteneffizientes, diversifiziertes Investment in ein wohldefiniertes Marktsegment.
Die traditionelle finanzwirtschaftliche Technik zur Erreichung dieses Ziels ist einfach: Das Fondsvermögen wird aus genau jenen Wertpapieren gebildet, die dem zugrunde liegenden Index in dessen Gewichtung entsprechen. So besteht das Vermögen eines Dax-ETFs traditionellerweise aus Aktien der 30 deutschen Aktiengesellschaften des Deutschen Aktienindex Dax – mit ihrem jeweiligen prozentualen Gewicht. Jeder Anteilsschein verbrieft damit einen Miteigentumsanteil an allen 30 Dax-Aktien.

Der swapbasierte ETF
Doch die ETF-Welt hat sich geändert. Die Mehrzahl der ETFs ist mittlerweile swapbasiert, das heißt, der ETF hält ein beliebiges Wertpapierportfolio, das durch einen sog. Total Return Swap ergänzt wird. Dieser Swap ist eine schuldrechtliche Vereinbarung, die das Fondsmanagement der Kapitalanlagegesellschaft für Rechnung des Fondsvermögens mit einem auf solche Geschäfte spezialisierten Swapkontrahenten abschließt. Danach „schuldet“ der Fonds dem Swapkontrahenten eine Zahlung in Höhe des Wertzuwachses seines Wertpapierportfolios, sofern dieser positiv ist bzw. erhält einen Zahlungsanspruch, sofern dieser negativ ist. Zugleich schuldet der Kontrahent dem Fonds jedwede positive Indexperformance bzw. erwirbt einen Zahlungsanspruch gegen den Fonds im Betrag einer etwaigen negativen Indexperformance, jeweils bezogen auf den Nominalbetrag des Swaps. (Tatsächlich wird ein Netting in Höhe der Differenz von Index- und Portfolioperformance durchgeführt, weil aus der beschriebenen Vereinbarung per Saldo regelmäßig genau eine Partei als Nettozahler und die andere als Nettozahlungsempfänger hervorgeht.)
Ein einfaches Zahlenbeispiel verdeutlicht das Prozedere: Ein Dax-ETF hält ein Fondsvermögen von 1 Mrd. Euro, das in japanische Aktien investiert ist, so wie es eine Kapitalanlagegesellschaft in der Tat für sämtliche ihrer ETFs praktiziert hat. Es wird ein Total Return Swap über einen Nennbetrag von einer Mrd. € abgeschlossen. Angenommen, das japanische Aktienportfolio entwickelt sich um fünf Prozentpunkte besser als der Dax, z. B. 15% versus 10% Performance. Dann ist das Aktienvermögen des Fonds 50 Mio. Euro mehr wert als wenn es tatsächlich in Dax-Aktien investiert hätte. Doch zugleich besteht eine Verbindlichkeit von (0,15 – 0,1)*1 Mrd. = 50 Mio. € gegenüber dem Swapkontrahenten, so dass netto das Fondsvermögen um genau die zehn Prozent der Dax-Performance angewachsen ist. Im alternativen Szenario einer fünfprozentigen Underperformance des Wertpapierportfolios entsteht dem Fonds ein Zahlungsanspruch von 50 Mio. gegen den Swapkontrahenten, so dass im Saldo von Portfoliowert und Wert des Swaps wiederum eine Fondsvermögensentwicklung in Höhe der Indexperformance gegeben ist.
Wann genau Zahlungsanspruch bzw. -verpflichtung aus dem Swap zahlungsmäßig ausgeglichen, also von der Buch- in die Zahlungsebene überführt werden, ist Sache der Vereinbarung zwischen den Swapparteien. Aus investmentrechtlichen Gründen wird das spätestens getan, wenn der Swapwert 10% des Nettofondsvermögens erreicht. Dann wird der Total Return Swap aufgelöst und sogleich ein neuer Swap kreiert, der wieder „bei null“ startet.
Durch die Swapbasierung gleicht die Anteilsscheinperformance eines ETFs konzeptionell stets der Indexperformance, auch wenn der Fonds nicht eine einzige der Indexaktien erworben haben sollte.

Vorteile der Swapbasierung
Oft ermöglicht die Swapbasierung eine Steueroptimierung, etwa bei Quellensteuerabzügen auf Dividendenzahlungen ausländischer Aktien, die im Falle eines ausländischen Index bei der traditionellen Nachbildungsmethodik anfielen, bei entsprechend freier Bildung des Wertpapierportfolios aber womöglich vermieden oder vermindert werden können.
Zudem ergeben sich in der Regel Zeitvorteile bei der Vereinnahmung ausländischer Dividenden, die im Falle der Swapbasierung unmittelbar im Swapwert Niederschlag finden, während bei der traditionellen Replikation oftmals Verzögerungen hinzunehmen sind, die bis zu ca. zehn Wochen andauern.
Ein weiterer Vorteil zeigt sich bei Umbasierungen in der Zusammensetzung oder Gewichtung des Index. Während bei der traditionellen Methode aufwändige Portfolioanpassungen erforderlich werden, erübrigen sich diese bei einem swapbasierten ETF gänzlich. Dieser Transaktionskostenvorteil besteht auch generell bei der anfänglichen Implementierung einer ETF-Strategie bzw. jeder Veränderung in der Anzahl der umlaufenden Anteilsscheine.
Auch im Zusammenhang mit dem gern genutzten Instrument der Wertpapierleihe kann sich ein Vorteil ergeben, falls auf dem Wertpapierleihemarkt für Papiere des Fondsportfolios höhere Leihgebühren zu erzielen sind als für Papiere des Indexportfolios.

Die Swapgebühr
Bei den meisten dieser und verwandter Vorteile der Swapbasierung ist ein zentraler Aspekt zu beachten: Die Vorteile entstehen schlicht dadurch, dass die vermiedenen Lasten einer direkten Indexnachbildung auf den Swapkontrahenten verlagert werden. Dieser kontrahiert den Swap als finanzintermediäre Dienstleistung und wird bestrebt sein, sich seinerseits der (Netto-) Risiken aus dem Swap an anderen Märkten vermittels eines Hedgings zu entledigen. Das heißt vereinfacht, er muss nun in die Indexpapiere investieren und die Portfoliopapiere leerverkaufen, sei es durch herkömmliche Kauf- und Leerverkaufstransaktionen oder wiederum durch andere Derivate (Futures etc.). Daher fordert der Swapkontrahent regelmäßig eine Swapgebühr, die neben seiner Gewinnmarge die Kosten der beschriebenen Absicherungsmaßnahmen abdecken soll.

Ob dem ETF aus einer solchen „Arbeitsteilung“ per Saldo, also nach Berücksichtigung der Swapgebühren, ein Effizienzgewinn verbleibt, ist eine vorab offene Frage. Zumindest ist das denkbar, etwa wenn man unterstellt, dass der Swapkontrahent aufgrund seiner Spezialisierung und/oder größeren Geschäftsvolumina einschließlich der Möglichkeit interner Positionskompensationen ein Hedging betreiben kann, das kostengünstiger ist als der direkte Aufbau und die Bewirtschaftung eines Portfolios von Indexaktien innerhalb des ETFs. Eine zwangsläufige Folge ist ein solcher Nettovorteil für den ETF aber keineswegs, sondern er hängt im Einzelfall von der Höhe der Swapgebühr sowie der Struktur des per ETF erschlossenen Marktsegmentes ab.

Nachteile der Swapbasierung
Der Swap kann seine Funktion der künstlichen Performancenachbildung nicht erfüllen, falls der Swapkontrahent einer Verpflichtung aus dem Swapvertrag nicht nachkommt. Es besteht also ein Kontrahentenrisiko. Als Swapkontrahenten fungieren in der Regel Banken. Deren Bonität wird aktuell skeptisch beurteilt; am Markt für Bankanleihen werden Risikoprämien in der Größenordnung von 200 Basispunkten p.a. registriert. Eine vergleichbare Risikoprämie wird innerhalb eines Total Return Swaps aber kaum gewährt, obgleich das involvierte Gläubigerrisiko dieselbe Natur aufweist: die Gefahr, dass ein Zahlungsanspruch nicht (vollständig) erfüllt wird.
Allerdings betrifft dieses Risiko nur einen Bruchteil des Fondsvermögens. Zum einen wird es auch im Falle einer Kontrahenteninsolvenz nur mit etwa 50% Wahrscheinlichkeit schlagend werden, weil der Swapwert dem natürlichen Lauf der Dinge nach (sprich dem Vorzeichen der Performancedifferenz zwischen den Portfoliowertpapieren und den Indexwertpapieren) mit derselben Wahrscheinlichkeit einen negativen Wert aufweisen wird, also eine Zahlungsverpflichtung gegenüber dem Swapkontrahenten. Zum anderen wird praktisch nie der investmentrechtliche Maximalsatz von 10% erreicht werden. Somit ist von einem Kontrahentenrisiko auszugehen, das durchschnittlich einen Betrag in Höhe von ungefähr drei bis vier Prozent des Fondsvermögens ausmacht.
Denken wir gleichwohl einmal den rechtlich schlechtestmöglichen Fall zu Ende: Der Swapwert beträgt zehn Prozent zugunsten des ETFs und der Kontrahent fällt vollständig aus. Dann verliert der ETF zehn Prozent seines Fondsvermögens unwiederbringlich und wird mit einem anderen Kontrahenten einen neuen Swapvertrag abschließen müssen – mit neuerlichem Kontrahentenrisiko (oder man kehrt reumütig zur traditionellen Replikation zurück).

Eine weitere Risikoerhöhung könnte die Swapbasierung indirekt auslösen, wenn das frei zu bildende Wertpapierportfolio nach Gesichtspunkten der Maximierung des potenziellen Wertpapierleiheertrages ausgerichtet würde. Es sind Marktsituationen vorstellbar, in denen sehr volatile Aktien die höchsten Leiherträge versprechen (wenngleich das Marktvolumen dort geringer sein dürfte). Das könnte insbesondere dem erfolgsentlohnten Management eines kleinen ETFs den Anreiz geben, eine entsprechende Portfoliokonstruktion vorzunehmen. Die Gefahr liegt darin, dass der Entleiher, der die entliehenen Papiere ja regelmäßig veräußert (Leerverkauf, z. B. durch einen Hedgefonds als entleihende Partei), bei einem starken Kursanstieg womöglich erhebliche Verluste erleidet und nicht mehr in der Lage ist, die entliehenen Wertpapiere zu beschaffen.
Mit diesem Extremszenario entstünde für den ETF eine sehr unangenehme Position: Die Forderung aus der Wertpapierleihe fällt aus und zugleich sind aus dem/den Total Return Swap(s) tendenziell sehr hohe Beträge an den Swapkontrahenten fällig geworden bzw. noch zu zahlen, weil wegen des starken Kursanstiegs die Performance der entliehenen Papiere die des Index beträchtlich übersteigen könnte.

Um Missverständnissen vorzubeugen: Dies ist eine Betrachtung möglicher Gefahren einer Swapbasierung und kein Bericht der tatsächlichen Praktiken bestimmter ETF-Akteure. Jedoch sehen sich schon heute Kapitalanlagegesellschaften zu dem Hinweis veranlasst, dass sie von ihren Entleihern die Stellung von Sicherheiten verlangen. Das ist in der Tat kein nebensächlicher Aspekt, zumal für das Kontrahentenrisiko bei Wertpapierleihegeschäften keine 10%-Grenze wie beim Swap besteht und für den Anleger eine mindestens ebenso hohe Intransparenz bezüglich der Gegenpartei vorliegt.

Nichtfinanzielle Nachteile
Jenseits finanzwirtschaftlicher Aspekte mögen zum Beispiel ethische, politische oder patriotische Motive gegen eine Swapbasierung sprechen. So könnte einer Stiftung etwa die Anlage in Aktien aus der Rüstungs-, Tabak- oder Glücksspielindustrie nicht genehm bzw. gar untersagt sein oder ein heimatverbundener Anleger verbindet mit seinem Investment nicht nur Renditewünsche, sondern möchte auch die Eigenkapitalkraft der heimischen Wirtschaft befördern. Der traditionell replizierte ETF entspricht diesen Investitionsmotiven fast hundertprozentig. Anders als auch bei jedem herkömmlichen, aktiv gemanagten Aktienfonds ist durch die Bindung des Fondsportfolios an den jeweiligen Index exakt bekannt, an welchen Aktiengesellschaften ein Fondsanteil Miteigentum verbrieft; als einzige Unsicherheit verbleibt ein Wechsel im Bestand der Indexgesellschaften, der anders als bei Entscheidungen des Fondsmanagements aber sogleich öffentlich wird. Bei einem swapbasierten ETF ist dieser Aspekt nun zu 180 Grad verkehrt: Es gibt kaum einen sicheren Anhaltspunkt, worin der Fonds investieren wird.

Fazit
Der swapbasierte ETF ist ein womöglich kosteneffizienterer Weg auf der Suche nach einer perfektionierten Nachbildung der Indexperformance bei überschaubarem Kontrahentenrisiko. Jedoch büßt die Anlageklasse ETF durch die Swapbasierung von ihrer ansonsten gepriesenen Einfachheit ein gutes Stück ein. Die Komplexitätssteigerung geht mit einer erhöhten Intransparenz einher, hinter der sich neue Risiken verbergen können. Der Investor muss wieder einmal noch gründlicher hinschauen, welch einem Investitionskonstrukt er seine Mittel anvertraut.

Melden Sie sich kostenfrei für das Portfolio-Journal an und erhalten Sie weitere Informationen zum Thema ETFs und Portfolio Allokation. Weitere Infos: [Link "www.portfolio-journal.de" auf www.portfolio-journal.de%20/... nicht mehr verfügbar]

Keine Kommentare

Du willst kommentieren?

Die Kommentarfunktion auf stock3 ist Nutzerinnen und Nutzern mit einem unserer Abonnements vorbehalten.

  • für freie Beiträge: beliebiges Abonnement von stock3
  • für stock3 Plus-Beiträge: stock3 Plus-Abonnement
Zum Store Jetzt einloggen

Das könnte Dich auch interessieren

Über den Experten

Jochen Stanzl
Jochen Stanzl
Chefmarktanalyst CMC Markets

Jochen Stanzl begann seine Karriere in der Finanzdienstleistungsbranche als Mitbegründer der BörseGo AG (jetzt stock3 AG), wo er 18 Jahre lang mit den Marken GodmodeTrader sowie Guidants arbeitete und Marktkommentare und Finanzanalysen erstellte.

Er kam im Jahr 2015 nach Frankfurt zu CMC Markets Deutschland, um seine langjährige Erfahrung einzubringen, mit deren Hilfe er die Finanzmärkte analysiert und aufschlussreiche Stellungnahmen für Medien wie auch für Kunden verfasst. Er ist zu Gast bei TV-Sendern wie Welt, Tagesschau oder n-tv, wird zitiert von Reuters, Handelsblatt oder DPA und sendet seine Einschätzungen über Livestreams auf CMC TV.

Jochen Stanzl verfolgt einen kombinierten Ansatz, der technische und fundamentale Analysen einbezieht. Dabei steht das 123-Muster, Kerzencharts und das Preisverhalten an wichtigen, neuralgischen Punkten im Vordergrund. Jochen Stanzl ist Certified Financial Technician” (CFTe) beim Internationalen Verband der technischen Analysten IFTA.

Mehr über Jochen Stanzl
Mehr Experten